Ulrich Delius: "Der Sudan ist jetzt schon im Prinzip bankrott und der Südsudan steht vor der Pleite, wenn nicht in wenigen Monaten wieder die Ölförderung aufgenommen wird."

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Zerstörte Ölförderanlagen in Heglig an der Grenze zwischen dem Sudan und dem Südsudan. Der Grenzverlauf wurde nie definitiv geklärt, deswegen erheben beide Länder Anspruch auf das wichtige Ölfeld.

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Der Sudan und der Südsudan steuern auf einen Krieg zu. Seit Wochen wird an der Grenze heftig gekämpft. Hauptkonfliktherde sind das Erdöl und der umstrittene Grenzverlauf. Auf internationalen Druck zog der Südsudan zwar am Freitag sein Militär aus dem umkämpften Ölfeld Heglig zurück, der Sudan setzte seine Angriffe im Südsudan aber fort. Der südsudanesische Staatschef Salva Kiir Mayardit sprach am Dienstag erstmals von einer "Kriegserklärung".

Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker erklärt, warum sich weder der Sudan noch der Südsudan einen Krieg leisten kann und dass ein offener Krieg eine Katastrophe für die ohnehin angespannte humanitäre Situation in beiden Ländern wäre.

derStandard.at: Der Angriff des Sudan auf sein Land käme einer Kriegserklärung gleich, sagte der südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit am Dienstag. Es sei nur eine Frage der Zeit bis zur offiziellen Kriegserklärung. Ist ein Krieg noch abwendbar?

Delius: Die Hoffnung, dass die Situation sich nach dem Rückzug der südsudanesischen Truppen beruhigt, war definitiv verfrüht. Wir bewegen uns auf einer Eskalationsspirale hin zu einem offenen Krieg. Trotzdem ist auch viel Kriegsrhetorik im Spiel. Der Sudan kann sich einen Krieg eigentlich nicht leisten und hat eine weitestgehend müde Armee. Im Südsudan treffen sie auf eine hochmotivierte Armee.

derStandard.at: Warum hat der Sudan nach dem Rückzug des Südsudan seine Angriffe fortgesetzt?

Delius: Das hat vor allem innenpolitische Gründe. Sudans Präsident Omar al-Bashir steht derzeit unter enormem Druck, wird von vielen Landsleuten und Teilen des Militärs für unfähig gehalten. Er trat die Flucht nach vorne an nach dem Motto: "Führe ich einen Krieg, ist mir die Unterstützung sicher." Dass der eigene Machterhalt als Kriegsgrund herhalten muss, ist besonders vor dem Hintergrund der angespannten humanitären Situation sehr makaber.

Allein im Südsudan ist die humanitäre Situation katastrophal. 2,7 Millionen Menschen sind derzeit schon von ausländischer Hilfe abhängig. Sollte es tatsächlich zu einem Krieg kommen, stellt sich die Frage, wie diese Leute noch versorgt werden können. Daneben haben wir auch immer noch die schwierige Situation in den Provinzen Südkordofan und Blauer Nil, die zum Sudan gehören. Dort müssten ebenfalls etwa 400.000 Personen versorgt werden. Diese Gebiete werden von der aufständischen SPLM-North (Sudan People's Liberation Movement, Abspaltung im Norden, Anm.) kontrolliert.

Es gibt immer wieder Erklärungen des Sudan, dass es demnächst für internationale Hilfsorganisationen möglich sein wird, vor Ort zu helfen, bisher hat sich aber noch nichts getan. Internationale Hilfe ist deshalb derzeit nur über sudanesische Organisationen möglich. Das heißt natürlich automatisch, dass man nicht in die von Aufständischen kontrollierten Gebiete vordringen kann. Diese "humanitäre Blockade" durch den Sudan ist eigentlich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

derStandard.at: Werden internationale Sanktionen die Lage weiter verschlimmern?

Delius: Das ist schwer zu sagen. Aber ein neuer Krieg wäre ein Desaster für die Zivilbevölkerung. Ein Staatsmann, der das in der jetzigen Situation vorantreibt, begeht ein Verbrechen an der eigenen Bevölkerung. Er nimmt in Kauf, dass zehntausende Menschen sterben, weil sie nicht versorgt werden können. Deswegen muss die internationale Gemeinschaft beiden Seiten noch sehr viel deutlicher machen, dass es hier keine Sieger geben kann und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch die einzige Option ist. Für einen Krieg darf es auch von den Partnern keinerlei Unterstützung geben.

Wenn schon das humanitäre Argument kein Grund für die Verstärkung des Drucks ist, dann vielleicht der Kostenpunkt. Es muss der internationalen Gemeinschaft klar sein, welche zusätzlichen Kosten für humanitäre Hilfe auf sie zukommen.

derStandard.at: Ist es für einen diplomatischen Eingriff nicht schon zu spät?

Delius: Nein. Der Rückzug des Südsudan am Freitag war ja auch nicht freiwillig, sondern erfolgte auf Interventionen der US-Regierung, europäischer Regierungen und anderer Staaten wie zum Beispiel China. Dem Südsudan wurde klar, dass ohne Gelder der Geberländer kein langfristiger Krieg möglich ist. Dass jetzt der Sudan nicht auf den Rückzug reagiert, ist eine Provokation und unverantwortlich.

derStandard.at: Wie ist die wirtschaftliche Situation in den beiden Ländern?

Delius: Der Sudan ist jetzt schon im Prinzip bankrott und der Südsudan steht vor der Pleite, wenn nicht in wenigen Monaten wieder die Ölförderung aufgenommen wird. Wirtschaftlich würde ein Krieg beide Länder wieder um Jahrzehnte zurückwerfen.

derStandard.at: Die Ölförderung wurde ja im Februar im Südsudan wegen des Streits um die gemeinsam zu nutzenden sudanesischen Ölpipelines gestoppt. Ist eine Aufnahme der Ölförderung jetzt überhaupt noch möglich?

Delius: Das wird sehr schwer sein angesichts der absolut zerrütteten Beziehungen. Südsudans Präsident Salva Kiir ist ja auch deshalb derzeit in China, um dort über die Finanzierung einer alternativen Pipeline zu reden. Der Bau so einer Pipeline dauert. Die Idee, die Produktion in der Zwischenzeit auf dem Landweg zu transportieren - das wurde zumindest diskutiert -, ist auch eher ein populistisches Aufbäumen als eine echte Alternative. Aber das weiß man in Juba. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 24.4.2012)