In Luxemburg-Stadt blickt man von der Oberstadt auf die dörflich wirkende Unterstadt, durch die sich das Flüsschen Alzette schlängelt.

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Anreise: Direktflüge Wien- Luxemburg zum Beispiel mit der Luxair; Literatur: Tom Hillenbrand, "Teufelsfrucht" KiWi Nr. 1204. Hillenbrands zweiter kulinarischer Krimi "Rotes Gold" ist dieser Tage ebenfalls bei KiWi (Nr. 1262) erschienen.
Unterkunft: Das Hotel Vauban ist mehr auf der einfacheren Seite, dafür aber an der zentralen Place Guillaume II in Sichtweite des großherzoglichen Palais und der Kathedrale Unserer Lieben Frau und natürlich des Reiterstandbilds gelegen. Dieses bezieht sich übrigens nicht auf den deutschen Kaiser, sondern auf einen Großherzog dieses Namens.

Foto: Hotel Vauban

Kulinarisches: das Restaurant Léa Linster: Die namensgebende Léa hat zwar nur einen Michelin-Stern, diesen aber seit 25 Jahren. In ihrem etwas außerhalb der Hauptstadt gelegenen Restaurant bekommt man beispielsweise Schweineterrine oder gebratene Entenbrust, also definitiv nichts "Molekulares".

Boutique Léa Linster Delicatessen, 4, Rue de l'Eau: Léas Confiserie ist nur wenige Schritt vom Regierungssitz entfernt, und man kann sich gut vorstellen, dass Jean-Claude Juncker gelegentlich ausreißt, um sich das bittere Geschäft der Politik mit ein paar Madeleines zu versüßen.

Foto: Léa Linster

Da gibt es eine Columbo-Folge, in der ein Koch mit dem Gift des Kugelfisches Fugu ermordet wird. Für derlei Dinge ist der Fugu wie geschaffen, denn in Japan gilt er zwar einerseits als Delikatesse, wenn man aber bestimmte Teile wie Darm oder Leber nicht fachgerecht auslöst, kann einen das darin enthaltene Nervengift Tetrodotoxin umbringen. In Japan kommt das unter Laien immer wieder vor (in Restaurants, nachdem nur noch entsprechend ausgebildete Köche den Fugu zubereiten dürfen, mittlerweile weniger).

Ein Lebensmittel, das zugleich auch ein Gift sein kann: So etwas setzt, wenn schon nicht kriminelle Energien, so zumindest die Fantasie von Krimiautoren in Gang, siehe Columbo. Siehe auch den jungen deutschen Autor Tom Hillenbrand, in dessen soeben erschienenem Krimi Rotes Gold Tetrodotoxin, das sich grundsätzlich in verschiedenen Meerestieren findet, eine todbringende Rolle spielt. Diesfalls ist es in den Tentakelspitzen eines Oktopus enthalten. Der stand auf der Speisekarte eines Diners des Pariser Bürgermeisters, das der berühmte Sushikoch Ryunosuke Mifune kulinarisch ausrichten sollte. Doch dieser bricht noch während der Zubereitung der Speisen tot zusammen. Zunächst wird vermutet, er habe sich mit Tetrodotoxin vergiftet, aber jene, die ihn kannten, bezweifeln das: Mifune, einer der besten drei unter den japanischen Köchen in Europa, wusste ganz genau, wie mit Fugu, Oktopoden und dergleichen umzugehen war und hätte sich niemals damit vergiftet.

Bei diesem nun abgeblasenen Diner ist auch Xavier Kieffer anwesend, der ja eigentlich nur ein regional ausgerichtetes kleines Restaurant in Luxemburg betreibt, aber dank seiner Freundin Valérie, der Herausgeberin des Gourmetführers Guide cabin, immer wieder an den großartigsten kulinarischen Ereignissen teilnimmt. Und damit sind wir auch schon mitten in der Handlung, denn Kieffer, der schon einmal, nämlich in Tom Hillenbrands Erstling Teufelsfrucht Erfolg damit hatte, beginnt zu "ermitteln".

Das führt ihn durch Frankreich und Luxemburg bis nach Palermo und bringt ihn nicht nur mit japanischen Köchen, einem spanischen Fischereifunktionär, einem sizilianischen Winkeladvokaten und einem portugiesischen Fischzüchter zusammen, sondern auch auf seine Spur, das titelgebende rote Gold. Es bezieht sich auf den Bluefin, eine besonders rare und teure, weil schwer überfischte Tunfischart, die vor allem in der Sushi- und Sashimiküche stark verwendet wird. So ein fetter Bluefin von 200 bis 300 Kilo kann schon mal 500 Euro pro Kilo kosten, und wenn man ihn als Ganzes kauft, kommen Beträge zusammen, die für alle Beteiligten interessant sind, vor allem, wenn sie mit krimineller Energie ausgestattet sind.

Tatort Küche

Da kann es dann Leute geben, die den ohnehin immer schwieriger zu fischenden Bluefin lieber gleich züchten und dem Laichverhalten durch illegale Hormonbeigaben auf die Sprünge helfen wollen. Da kann es sein, dass man die Zucht vor der sizilianischen Küste ansiedelt und sich damit bei der örtlichen Cosa Nostra keine Freunde macht. Und da kann es auch sein, dass ein berühmter Sushikoch den so gewonnenen Zuchtfisch mitten auf dem Pariser Lebensmittelmarkt Rungis verächtlich als "koosatte" (jap. für "vergammelten Fisch") bezeichnet, was ihm, siehe oben, nicht gut bekommt - und weiteren Sterneköchen auch nicht.

Sinistre Fädenzieher, die zweifelhafte Lebensmittel auf die Menschheit loslassen und, wenn es sein muss, auch den einen oder anderen Aufdecker aus dem Weg räumen: Das ist grosso modo das Thema in Tom Hillenbrands im Milieu der Sterneköche angesiedelten Krimis. Sie sind so kulinarisch kenntnisreich geschrieben, so nah am "Tatort Küche" dran, dass ein Rezensent bemerkte, man habe beim Lesen das Gefühl, geradezu selbst in der Kochschürze zu stecken. Hillenbrand will seine Krimis auch ausdrücklich als Kritik an jenen Teilen der Lebensmittelindustrie verstanden wissen, die verschleiern, was in ihren Produkten so alles drin ist, man denke an "Analogkäse" oder Hormon- und Gammelfleisch.

In "Teufelsfrucht" ging es um eine von Food-Scouts im Urwald aufgestöberte Frucht, die einen unglaublichen Wohlgeschmack hat und sich daher ideal zum Geschmacksverstärker eignet. Dass sie eventuell auch gesundheitsschädigende Wirkung entfalten kann, stört die gewissenlosen Protagonisten eines Lebensmittelkonzerns weniger. Etwaige Mitwisser aus der gehobenen Gastroszene werden umstandslos beseitigt - bis der behäbige, aber schlaue Xavier Kieffer auf den Plan tritt.

Hillenbrands ermittelnder Koch wird gewissermaßen als Antipode zur unheilen Lebensmittel- und Gastrowelt eingeführt: ein gemächlicher Mann, früherer Sternekoch, dem die Gourmetszene zu stressig war und der in seinem kleinen Restaurant Deux Eglises oder auch Zweou Kierchen auf dem Kirchberg in Luxemburg die bodenständige Küche seiner Heimat serviert. Das sind so Dinge wie Bouneschlupp (Bohnensuppe), Wäinzossis mat Moschterzooss (Bratwurst mit warmer Senfsauce), Huesenziwwi mit Gromperekichelcher (Hasenpfeffer mit Kartoffelpuffer) oder Judd mat Gaardebounen, will heißen Schweinenacken mit Saubohnen. (Das Letzeburgisch hört sich für Laien vage wie Elsässisch oder Schweizerdeutsch an und ist jedenfalls kaum zu verstehen. Tatsächlich ist es eine moselfränkische Mundart.) Es ist ein Milieu, das auch Tom Hillenbrand interessiert, der sich sowohl in der Kulinarik ausgesprochen gut auskennt als auch im Zuge seiner Ausbildung ein Praktikum bei der EU in Luxemburg absolvierte. Er verliebte sich in die Stadt, in ihre "französisch anmutende Eleganz", wie er sagt, und ihre Küche. Hillenbrand: "Man könnte sagen: französische Küche, deutsche Portionen. Aber nicht nur: Viele Gerichte sind einfach, nicht so überkandidelt." Und, könnte man anfügen, eher auf der herzhaften Seite, weshalb man sich mehr an die elsässische als an die pur französische Küche erinnert fühlt.

Verbrechen im Idyll

Nicht dass Tom Hillenbrand das Subgenre des kulinarischen Krimis erfunden hätte, und schon gar nicht das des regionalen Krimis. Man muss da gar nicht an Südschweden oder Venedig denken, sondern, naheliegender, et-wa an den Köln- oder den Eifel-Krimi. Dessen Erfinder, Jacques Berndorff, sagte einmal: "Als ich in die Eifel zog, war es so ruhig und still, dass ich mir dachte, da legst du jetzt ein paar Leichen rein."

Ein ähnliches Setting fand auch Tom Hillenbrand in Luxemburg vor, denn das Großherzogtum mit seiner halben Million Einwohnern ist einer der sichersten Flecken der Erde. Und so wurde er eben der Erste, der seine Krimis in Luxemburg ansiedelte. Die Einheimischen dankten es ihm, indem sie "Teufelsfrucht" wie wild kauften, um sich dem wohligen Schauer fiktiver Verbrechen mitten in ihrem Idyll hinzugeben: Das Buch führte monatelang die Bestsellerliste an.

Und ein Idyll ist es wirklich: Die atmosphärisch wie architektonisch mehr französisch als deutsch wirkende Stadt Luxemburg - die im Lauf ihrer Geschichte schon beides war - ist von überschauberer Größe (knapp 100.000 Einwohner), die Innenstadt ist zu Fuß bald durchmessen, und man sieht da zum Beispiel ein großherzogliches Palais aus dem 18. Jahrhundert, eine spätgotische Kathedrale (Unserer Lieben Frau von Luxemburg) und die Überreste einer uralten Festung, wozu auch die längsten Kasemattengänge (23 Kilometer) der Welt gehören. Die Stadt wurde mehrmals eingenommen, so von den Franzosen, den Spaniern und sogar den Österreichern, und jede Besatzungsmacht verstärkte die Befestigungsanlagen noch weiter. Sie gehen zum Teil auf Vauban, den bedeutendsten Festungsbaumeister der Barockzeit, zurück.

Von der Anhöhe der Oberstadt blickt man auf die fast dörflich wirkende Unterstadt mit ihrer Abtei von Neumünster (heute ein Kulturzentrum) und ihren Gärten, an der sich das Flüsschen Alzette entlangschlängelt. Ja, und nicht zu vergessen: Luxemburg ist das letzte verbliebene Großherzogtum der Erde, regiert von Henri von Nassau, einem Mann, der von der Schneid her an Clint Eastwood und von der aristokratischen Miene her an Edward VIII. (den abgedankten) erinnert und den man, wenn schon nicht in natura, so wenigstens an allen Kiosken der Stadt von Trauben von Postkarten herunterlächeln sieht. (Harald Sager, Album, DER STANDARD, 21.4.2012)