Es ist nicht immer schlecht, was auf den ersten Blick so aussieht. Wie das schlechte Wetter, während ich die Honda Crosstourer endlich ausführe. Es ist kalt und es regnet. Die Lust jetzt herumzugondeln, liegt bei minus irgendwas. Trotzdem fahr ich dann doch eine viel längere Runde, als ich gedacht habe: Weil mir das Wetter auf einmal ganz recht war.

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Kann sein, dass die Crosstourer ihre Stärken umso besser ausspielen kann, je patscherter das Wetter ist. Kann aber auch sein, dass sie bei Sonne und Grip noch mehr Spaß macht. Ich werde das bei Zeiten herausfinden, aber jetzt bin ich fürs Erste schon einmal ziemlich desperat.

Die Freunde der Traktionskontrolle

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Der "Little" – einer meiner größten Freunde – schwärmt mir ja regelmäßig von der Traktionskontrolle seine Diavel vor. Da schildert er, wie er sich mit den Knöpfen spielt und die dicke Duc am Slide aus den Kurven zieht. „Mit der Traktionskontrolle geht das total leicht, und du bist immer auf der sicheren Seite." Ich hab alleine beim Gedanken daran die Hosen voll.

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Auch die Supersportler, die sich jetzt mit der Traktionskontrolle mit Vollgas aus dem Kurvenscheitel feuern lassen, sind mir nicht geheuer. Wenn ich mir vorstelle, dass ich dem System vertraue, blind das Gas aufreiße und dann schmiert mir der Hinterpatschen doch so weit weg, dass sich ein astreiner Highsider ausgeht, dann fahr ich lieber weiter in 5:29 Minuten um den Pann. Sicher ist sicher, und die meisten Ringradeln haben eh keine Hupen drauf, mit denen man mich aus der Ruhe bringen könnte.

Erzwungener Selbstversuch

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Aber jetzt, wo es kalt und nass ist, bin ich quasi gezwungen, mich mit der Traktionskontrolle zu beschäftigen, wenn ich nicht als Staugrund in die Verkehrsnachrichten will. Nach wenigen Minuten reiße ich das Gas auf, als wäre es eh trocken. Über Bodenmarkierungen und Straßendeckel leuchtet dann im Cockpit ein oranges Lamperl, das mir bestätigt, dass ich alles richtig mache.

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Verblüffend ist, wie sehr man herumeiert, nur weil es ein bisserl nass ist. Mit dem elektronischen Helferlein merkt man erst, wie viel Grip man ohnedies hat. Aber wie sagt schon Berndt Spiegel frei nacherzählt: "Die Engländer brennen uns im Regen deswegen so her, weil sie es einfach gewohnt sind, locker bleiben und fahren, statt sich zu fürchten."

Crossover war noch nie so gut

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Fahren, das ist es jetzt auch, was ich mit der Crosstourer mache. Combined ABS und Traktionskontrolle halten schützend die Hand über meinen geschundenen Körper. Und obwohl es regnet, mir das Wasser vom Hals her schon kitzelnd und eiskalt über den Bauch rinnt, hab ich eine richtige Freud am Bock. Das ist erst recht bewundernswert, weil ich ja an und für sich kein Freund der Crossover-Idee von Honda bin. Man muss nicht mit Gewalt zusammenführen, was vorher noch niemandem eingefallen ist.

Bei der Crosstourer ist das der V4-Motor der VFR1200F im Gestell einer Big-Enduro. Natürlich wurde der Motor etwas modifiziert, hat nun mehr Punch im unteren und mittleren Drehzahlbereich, während er mit immerhin noch 129 PS gut im Futter steht. Die Ansaugtrichter wurden für jeden Zylinder im Durchmesser um 4 Millimeter verringert, der Weg um 40 Millimeter verlängert. Am Auspuff hat Honda ein wenig gebastelt, einen Palladium-Kat eingebaut und ich bin froh, dass ich grad nicht mit meinen Palladiums am Feuerstuhl sitze.

Musik zwischen den Beinen

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Der V4 ist sowieso ein Gedicht. Allein der Sound eines V4 lässt mich schon ins Schwärmen kommen. Der 1.237 Kubikzentimeter große Motor hat übrigens gar keine Ausgleichswelle. Die ist nicht nötig, weil Honda die Hubzapfen auf der Kurbelwelle um 28 Grad versetzt hat.

Versetzt haben die Ingenieure auch die Aufnahme der Schwinge am Rahmen. So kann die Kardanwelle darunter direkt zum Getriebeausgang geführt werden. Damit wird die ganze Konstruktion leichter und stabiler, verspricht Honda.

Steherqualitäten

Das Einzige, was jetzt nicht zur gepflegten Tour im Regen passt, ist das Windschild. Ja, es hält mehr ab, als es vermuten lässt, aber ab 160 km/h sitzt man trotzdem ganz schön in der Dusche. Und sich hinter der kleinen Scheibe zu verstecken, ist demütigend. Dafür scheint die Crosstourer auch im leichten Gelände ziemlich angenehm zu fahren zu sein. Nein, ich hab die fast neue Honda nicht in die nasse Wiese gestellt, auf dass sie darin bis zum Lenker versinkt. Aber sie lässt sich auch im Stehen angenehm fahren und fein dirigieren. Darauf vergessen nämlich einige Hersteller, wenn sie sich zu sehr um die Sitzposition bemühen und hoffen, dass eh nie Schotterstraßerl unter die Räder der neuen Big-Enduro kommen. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 23.4.2012)