Nach dem Zerfall Österreich-Ungarns wird in Maribor/Marburg die Tegetthoff-Straße in Aleksandrova cesta umbenannt. Dokument zu sehen in der Ausstellung "Nemci in Maribor".

Foto: Herwig Höller

Die Ausstellung war als zentrales Projekt der Europäischen Kulturhauptstadt 2012 angekündigt worden, und es handelt sich in der Tat um den Beginn einen breiteren, längst überfälligen Aufarbeitung der Lokalgeschichte. Vor hundert Jahren noch Mehrheit, nach dem Zerfall Österreich-Ungarns unter Druck geraten, nach Naziwahnsinn und titoistischer Reaktion vertrieben und völlig verschwunden - ohne seine deutschsprachige Bevölkerung ist das ehemalige Marburg an der Drau nicht vorstellbar. Lange Zeit waren diese Aspekte der Geschichte jedoch aus politischen Gründen weitgehend ausgeblendet worden.

Im Theresienhof untergebracht, einem ehemaligen, 1913 eröffneten Kaffeehaus am Hauptplatz, möchte Nemci in Maribor ("Die Deutschen und Maribor") der Lokalhistorie zwischen 1846 und 1946 gerecht werden. In der text- und fotolastigen Schau verstören manche Details: So wirkt etwa die überbordende Verwendung von Hirschgeweihen unmotiviert und erinnert an provokante Jägermeister-Ästhetiken, die von den slowenischen Politrockern Laibach kultiviert worden waren. Bei Letzteren sollten sie etwas Deutsch-Nazi-Autoritäres andeuten.

Warum die Ausstellung nicht bis in die Gegenwart reicht, bleibt ebenso rätselhaft. Das Jahr 1946 bezieht sich auf die letzten größeren Deportationen der deutschen Volksgruppe nach dem Zweiten Weltkrieg. 1846 ist allenfalls das Jahr, in dem die Südbahn in die Stadt kam und ein industrieller Aufbruch seinen Anfang nahm. Die wirtschaftliche Potenz eines deutschsprachigen Bürgertums und die absolut dominierende deutsche Umgangssprache sorgten für die Assimilierung von Slowenischsprachigen, die aus dem Umland in die Stadt gezogen waren. Was im 19. Jahrhundert zunehmend zu nationalen Spannungen führte: "Die slowenische Seite bekam den Eindruck, es handle sich bei der wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung um nationale Entfremdung", schreiben die Ausstellungsmacher.

Ausgesparte Geschichte

Revanchen des 20. Jahrhunderts sorgten für wiederholtes Blutvergießen: 1919 erteilte der slowenische Heerführer General Rudolf Maister bei einer Demonstration deutscher Marburger den Schießbefehl, 1941 errichteten die Nazis in der annektierten Untersteiermark ein Terrorregime, 1945 folgte die Vertreibung der deutschen nunmehrigen Minderheit.

Nemci in Maribor verzichtet auf Zuspitzungen, die Schau steht sichtlich am Beginn einer Entwicklung: Nicht angetastet wird etwa der Nationalheld Maister, bei dem sich eine Moderatorin während der Eröffnungszeremonie von Maribor 2012 gar bedankt hatte - dafür, dass in der Stadt Slowenisch gesprochen wird. Aber auch kritische Verweise auf hochrangige Nazis aus Marburg, die in der NS-Zeit in der Steiermark wichtig waren, bleiben ausgespart.

Dafür fokussiert man auf eine vergessene Alltagskultur, berichtet über Robert Stolz' Gastspiel als Kapellmeister im Stadttheater, erinnert an den aus der Region stammenden Komponisten Hugo Wolf und erwähnt aus Marburg gebürtige Literaten. Dazu zählt auch Hardcore-Nationalist Ottokar Kernstock (1848-1928), der bereits 1923 ein Hakenkreuzlied verfasst hatte.

Kernstock sorgte zuletzt für politische Diskussionen in Maribor - ein Indiz dafür, dass für den Umgang mit der eigenen Geschichte bislang Mechanismen fehlen: Nachdem ein oststeirischer Lokalpolitiker auf die seit 1908 bestehende Ehrenbürgerschaft des Literaten in der europäischen Kulturhauptstadt verwiesen hatte, setzte die Tageszeitung Vecer, das wichtigste Medium der Stadt, zur Ehrenrettung Kernstocks an. Die Entziehung der Ehrenbürgerschaft wäre ein Akt der Intoleranz. Diese irrationalen Reaktionen seien Ausdruck eines gewissen Mariborer Unbehagens, meint der Soziologe Boris Vezjak.

Für Kernstock selbst besteht allenfalls kein Grund zur Sorge. Es gebe, so die Sprecherin der Mariborer Stadtverwaltung, weder einen Präzedenzfall noch eine gesetzliche Möglichkeit zur Entziehung der Ehrenbürgerschaft. Nie habe es bisher einen derartigen Antrag gegeben.  (Herwig Höller aus Maribor, DER STANDARD, 23.4.2012)