Eine zeitgenössische Familie, deren Unbeschwertheit verloren geht: Valérie Donzelli und Jérémie Elkaim in "Das Leben gehört uns".

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Bert Rebhandl traf die Regisseurin zum Gespräch.

Wien - Es ist Liebe auf den ersten Blick zwischen Juliette und Roméo, zwei jungen, coolen Franzosen, die Hals über Kopf in eine Beziehung stürzen und bald darauf ein Kind bekommen. Dieser Adam gibt aber Grund zur Sorge, und so sehen sich diese beiden unerfahrenen Eltern plötzlich in unvermuteten Situationen bei Therapeuten und Ärzten und schließlich vor große Entscheidungen gestellt. Valérie Donzelli hat in ihrem zweiten abendfüllenden Spielfilm eigene Erfahrungen als Ausgangspunkt genommen.

Standard: Ihrem Film Das Leben gehört uns liegen persönliche Erlebnisse zugrunde: Ihr eigener Sohn ist an Krebs erkrankt. Wie kommt man zum nötigen Abstand zu solchen Erfahrungen?

Donzelli: Unser Sohn ist wieder gesund geworden, das hat es uns erlaubt, uns von der Geschichte ein wenig zu entfernen. Dass Gabriel nicht mehr in Gefahr war, gab uns erst die Freiheit, davon zu erzählen. Zugleich muss ich aber auch betonen, dass es bei Das Leben gehört uns (La guerre est déclarée) nicht einfach um das von uns Erlebte geht. Ich wollte einen Film zur Welt bringen, der darüber hinausgeht.

Standard: Sie haben das Drehbuch gemeinsam mit Jérémie Elkaim geschrieben, der auch die zweite Hauptrolle spielt und der im richtigen Leben der Vater des gemeinsamen Sohnes Gabriel ist. Mittlerweile sind Sie getrennt.

Donzelli: Gerade weil ich auch Schauspielerin bin, verstehe ich das Bedürfnis sehr gut, mit der eigenen Materie zu arbeiten. Aber es ist trotzdem die Geschichte eines Films, auch wenn vieles so auch in der Wirklichkeit geschehen ist.

Standard: Das berührt einen wichtigen Punkt. Denn es gibt in Das Leben gehört uns ja immer noch diese Spannung, ob der Junge im Film, Adam, überleben wird. Ist Ihnen daran gelegen, dass das Publikum diese Spannung durchlebt?

Donzelli: Wir wollten ganz und gar nicht vom Schmerz oder von der Krankheit als solcher erzählen, deswegen habe ich auch überhaupt kein Interesse an dem Spannungsfaktor. Das Leben gehört uns ist ein Film, der die Perspektive der Eltern einnimmt, der bei den Eltern bleibt und mit ihnen durch Erfahrungen hindurchgeht.

Standard: Als distanzierendes Moment haben Sie Erzählerstimmen eingefügt, die, wenn ich das richtig verstanden habe, nicht irgendwelchen Figuren im Film zugehören.

Donzelli: Es sind drei Stimmen im Film. Diese schaffen Distanz und Objektivität. Dass es drei Erzählerstimmen geworden sind, war anfänglich nicht geplant. Beim Schneiden erst haben wir gemerkt, dass etwas nicht ganz gestimmt hat. Unsere Cutterin hat dann versuchsweise diese Texte gesprochen, daraus wurden mehrere Stimmen. Sie übergeben sich die Geschichte wie beim Staffellauf.

Standard: So wie Juliette und Roméo mit Ihrem Sohn von Abteilung zu Abteilung müssen, werden sie auch von der gesellschaftlichen Anteilnahme begleitet?

Donzelli: So weit würde ich gar nicht gehen. Für mich ist das in erster Linie ein filmisches Mittel. Es verstärkt die Konzentration, eine zusätzliche Beschreibung von außen gibt dem Film ein Relief, eine größere Tiefe. Wir bekommen dadurch die Neutralität des Blicks, ohne diese starken Gefühle, mit denen wir durch Roméo und Juliette konfrontiert werden. Das funktioniert wie der Chor in einer griechischen Tragödie.

Standard: Die Erzählerstimme ist wegen der allgemeinen Ebene der Geschichte interessant. Da steckt auch ein Porträt des französischen Gesundheitssystems drin, das schon Michael Moore als vorbildlich gerühmt hat, das aber wie alle sozialen Systeme im Moment unter Druck steht. Sind die positiven Erfahrungen, die Juliette und Roméo machen, verallgemeinerbar?

Donzelli: Das Gesundheitssystem in Frankreich beruht auf Solidarität. Alle zahlen ein, aber wenn man dann wirklich krank wird, kostet die Behandlung nichts. Die Krankheit von Gabriel hat uns nicht einen einzigen Euro gekostet. Wenn man so eine schreckliche Situation durchmacht, ist es wichtig, dass man nicht auch noch in eine finanzielle Katastrophe gerät. Eine Krebserkrankung bei einem Kind kostet ungeheuer viel Geld. Das wird einem in der Regel nicht bewusst, was dieses System leistet. Natürlich gibt es Fälle von Verschwendung und Ineffizienz, aber trotzdem spricht alles für ein solches System und dafür, dass wir uns bemühen, es zu erhalten.

Standard: Bei aller Dramatik ist Das Leben gehört uns doch geprägt von einer Popsensibilität, von dieser Haltung, auch in Schwierigkeiten nach Leichtigkeit zu suchen.

Donzelli: Das ist der entscheidende Punkt: dass es junge Menschen sind, denen das passiert, dass sie unsere Generation vertreten, von der wir etwas verstehen. Es trifft zwei Menschen, die unglaublich weit von so etwas entfernt sind. Sie sind jung, attraktiv, verliebt. Ihre Unbeschwertheit wird erschüttert.

Standard: Gibt es im französischen Kino Vorbilder für Sie?

Donzelli: Eigentlich nicht. Aber einen Film gab es, der für mich sehr wichtig war: Jérémie gab mir vor den Dreharbeiten Stanley Kubricks Full Metal Jacket zu sehen. Das habe ich sofort verstanden. Die Intimität des Kampfes, das betraf auch unseren Film: die Intimität eines Paares, das in einen Marathonlauf gezwungen wird; die Erfahrung, dass man zu zweit besser kämpfen kann, dass man sich manchmal aber trennen muss, um durchzukommen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 21./22.4.2012)