Zum Davonrennen: James Tyrones (Helmuth Lohner, Mitte) und seiner Söhne (Michael Dangl, Markus Gertken, rechts) Heim.

Foto: Moritz Schell

Wien - Die Welt des Neureichen James Tyrone ist Grau in Grau. Von seinem weiträumigen, aber düsteren Loft im Theater in der Josefstadt schaut er hinüber auf die betrübliche Fassade eines riesigen Wohnblocks (Bühne: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos). Tyrone ist so einer, der zweck Status zwar gern im Dachgeschoß wohnt, dafür aber nur das Allernötigste zahlen will.

Der familiäre Despot aus Eugene O'Neills biografisch motiviertem Drama Eines langen Tages Reise in die Nacht (geschrieben 1941, aber erst 1956, drei Jahre nach O'Neills Tod, freigegeben) gehört zu jenen kraftmeiernden Helden der US-amerikanischen Dramenliteratur, die stur auf der Welle des individuellen und beruflichen Erfolgs reiten und auf diese Weise völlig verblendet ihrer eigenen Familie den Garaus machen.

Spärlich möbliert

In Torsten Fischers zunehmend lähmender Josefstädter Inszenierung spaziert dieser Tyrone (Helmuth Lohner) mit dynamischen Schritten durch die menschlichen Verwüstungen, die sein Heim offenbart: Eine Frau (Ulli Maier), die einmal eine blühende Schönheit war und nun als Morphinistin ihr Dasein fristet; Sohn Jamie (Markus Gertken), ein in den Familienbetrieb des vazierenden Schauspielertums gezwungener Hüne, der noch mehr trinkt als sein Vater; und der junge Edmund (Michael Dangl), dessen Tuberkulose aufgrund von Vaters unumschränktem Geiz keine adäquate Heilung zuteilwerden wird.

Die deutlichsten Behauptungen dieses eindreiviertelstündigen Abends liegen alsdann im Bühnenbild. Es offenbart den Geiz dieser nur scheinbar großzügigen Welt: die ohnehin spärlichen Möbel sind entweder zu klein (Couch) oder richtig billig, wie der Esstisch, um den sich verschiedenartige, zusammengeknauserte Sessel gruppieren. Er ist immerhin das Kernmöbelstück eines intakten Heims; und an diesem Tyroneschen Esstisch, der aussieht, als wäre er in einem Wartesaal übrig geblieben, lässt sich der Zerfallszustand der Familie ablesen.

Sprich, die materielle Ausgemergeltheit steht hier auch für die emotionale: Vater, Mutter und Söhne sind einander nicht mehr 'verbunden', sondern lediglich in gegenseitiger Abhängigkeit vereint. Ein fataler Zustand, den Regisseur Torsten Fischer in einer knapp zweistündigen Schreckstarre belässt. Und das ist das Verhängnis des Abends.

Schon der erste Satz (ein Vorwurf des Vaters an den Sohn) trifft jene laute, bellende Tonlage zwischen diesen vier Menschen, die sich im Verlauf des Abends nicht mehr ändern wird: Fischer zeichnet ein tiefgraues, gellendes Gemälde, als wären es Tableaux vivants, an denen alsbald aber nichts mehr "vivant" ist. Grausame Anschuldigungen werden mit billigen Komplimenten abgewürgt, Teller zerschellen am Boden und zigfach schreit jemand "Hör auf!" Diese konstante Heftigkeit macht den Abend stumpf.

Trotz veritabler Schauspielerleistungen (vor allem Ulli Maier als nervös-haltloser Schatten einer einst stolzen Frau) entzieht sich dem Betrachter das Drama dieser Entzweiungen weitgehend. Fischer verlässt sich auf das klassische psychologische Sprechtheater, sorgt aber nicht dafür, dass das Publikum auch mitziehen kann: Wie soll man mit einer Familie Mitgefühl haben, die nie als Familie nachvollziehbar wurde? Alle vier gehen - die getrennten Auftritte gleich zu Beginn machen es deutlich - eigene Wege; sie sind von Anfang an isolierte Menschen. Warum sie sich weiter arg bekriegen, ist eine Frage, die die Inszenierung offen lässt.

Irgendwann ertönte eine Südstaatenfanfare und der Schnürboden hebt sich - das fächelt dem sich über einen ganzen Tag erstreckenden Konflikt schließlich ein wenig Luft zu. Davon hätte diese mit nur zurückhaltendem Schlussapplaus bedachte Inszenierung wesentlich mehr benötigt.  (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 21./22.4.2012)