Gerlachs 1893 entstandene "Gruppe aus Apfelblüthen mit Schmetterlingen und Füllung aus Apfelblüthen mit Früchten". Die geometrische Form der Blüten inspirierte Jugendstilkünstler.

Foto: Photoinstitut Bonartes 2012

Wien - Insektenflügel, exotische Bockkäfer, Granatäpfel und Schneckenzungen. Was sich liest wie die Zutaten zu einem scheußlich schmeckenden Zaubergebräu, sind vielmehr die Bestandteile von Martin Gerlachs zwischen 1902 und 1904 erschienenem fotografischen Mappenwerk Formenwelt aus dem Naturreiche.

Bis 1930 publizierten der deutsche Fotograf und seine Nachfolger unter dem Titel Die Quelle insgesamt 15 Bände, in denen Gerlach ein buntes Potpourri aus Tier-, Pflanzen- und Mikroskopaufnahmen schuf. Er hegte nicht nur fotografischen, sondern auch einen künstlerisch-gestalterischen Anspruch, als er Früchte und Blätter von Bohne, Gurke, Paradeiser und Zaunrübe zu einer stilvollen, geometrischen Anordnung arrangierte.

Die Geometrie der Natur begeisterte ihn, aber er hatte auch sonderbare Seiten, als er ausgestopfte Vögel, Jagdgeräte und Gemüse zu skurrilen Girlanden kombinierte. Wie Gerlach waren auch Vertreter des um die Jahrhundertwende entstandenen Jugendstils von den Formen und Mustern der Natur fasziniert. Wiener Künstler wie Koloman Moser und Max Benirschke holten sich bei Gerlachs Fotografien ihre Inspiration.

In Form von Drucken werden sie nun erstmals im Photoinstitut Bonartes gewürdigt. Sie setzten Schmetterlingsflügel oder Kastanienblätter in florale Ornamente und geometrische Formen um, die sich als dekorative Randleisten in Büchern oder als Buchschmuck wiederfinden.

Die für seine Zeit wirklich spektakulären Aufnahmen stellte Gerlach mithilfe eines Wissenschafters an einem Mikroskop her. Durch Ausschnitt und Vergrößerung setzte er Aufnahmen von Insektengebeinen, Eisblumen und Holzquerschnitten zu einem Mikrouniversum zusammen. Filigrane Poren, die bei vergrößerten Laubholz-Querschnitten sichtbar werden, finden sich oft als Elemente in der Jugendstil-Architektur.   (Michael Ortner, DER STANDARD, 20.4.2012)