Jung, schmal, rot: Kate Moss im fernen 1996 in Mode von Versace. Fotografiert hat sie Richard Avedon, entnommen ist das Bild dem Band "The Naked & The Dressed" (Schirmer/Mosel).

Foto: Schirmer/Mosel Verlag

Der Italiener Gian Giacomo Ferraris (54) ist seit drei Jahren CEO von Versace. Er hat viele Jahre bei Gucci gearbeitet, von 2004 bis 2009 als CEO bei Jil Sander.

Foto: Versace

STANDARD: Die vergangenen Versace-Männershows waren sehr flamboyant: viel Glitzer, viele Nieten, viel Leder. Das ist nicht gerade Ihr Stil, oder?

Ferraris: Schauen Sie, ich trage heute Versace. Als ich mein erstes Gespräch mit Donatella Versace führte, war mir wichtig zu wissen, ob sie meine Einstellung, wie die Firma geführt werden müsse, teile. Versace ist eine ikonische Marke. Nur leider hat die Marke genau das im Laufe der Zeit verloren. Wir müssen die Seele von Gianni wiederfinden - und uns fragen, wie sie sich im 21. Jahrhundert darstellen könnte.

STANDARD: Bedeutet das: Zurück in die 80er?

Ferraris: Ja, das war die Zeit, als Versace groß wurde. Aber gleichzeitig muss man nach vorne schauen. Es hilft uns gerade sehr, dass die 80er wieder in der Luft liegen.

STANDARD: Der Glamour und die Sexyness, für die Versace steht, könnten aber schnell wieder unmodern werden.

Ferraris: Glamour wird immer gefragt sein, wir leben in einer globalisierten Welt, in der es viele unterschiedlichste Bedürfnisse gibt. Wir sind immer noch eine Firma, die 340 Millionen Euro Umsatz macht im Jahr, deren Name beinahe jeder kennt. Das verschafft uns einen Riesenvorteil gegenüber unseren Mitbewerbern. Japan, Korea, Südamerika, das sind die Märkte, die wir gerade intensiv beackern. Auch der Umsatz in den USA zieht wieder stark an.

STANDARD: Kann Donatella jenen Glamour ausstrahlen, den Gianni seinerzeit verkörperte?

Ferraris: Es hat jeden überrascht, dass Donatella nach der Ermordung von Gianni in der Lage war, wichtige Managementaufgaben in der Firma zu übernehmen. Sicher sie hatte ihre Probleme, aber sie ist eine harte Arbeiterin. Das ist das Um und Auf in der Modewelt. Es gibt kein einziges Teil, das die Firma verlässt, das nicht vorher von Donatella abgesegnet wurde. Seitdem wir zurück in den schwarzen Zahlen sind, haben wir sogar die Couture in Paris wieder aufgenommen.

STANDARD: Wie kann ein einzelner Mensch in einer Firma dieser Größe alles überblicken? Ist das nicht ein Mythos?

Ferraris: Natürlich hat Donatella ihre Teams. Als ich vor drei Jahren in die Firma kam, leiteten wir riesige Restrukturierungsmaßnahmen ein. Wir mussten 350 Mitarbeiter entlassen. Aber ich habe Donatellas Kreativbereich nicht angerührt, das Atelier ist die Seele des Unternehmens. Donatella macht die Trends, und wir als Manager sorgen dafür, dass sie damit Erfolg hat.

STANDARD: Wie schwierig ist es, mit ihr zu arbeiten?

Ferraris: Donatella ist eine jener Personen, deren Ruf so überhaupt nicht mit dem übereinstimmt, wie sie wirklich ist. Sie ist eine zutiefst warmherzige, selbstkritische, disziplinierte Frau.

STANDARD: Letzteres war sie offensichtlich nicht immer. Als Gianni 1997 ermordet wurde, lag der Umsatz bei über einer Milliarde.

Ferraris: Ja, aber das waren Dollar.

STANDARD: Trotzdem: Das war wesentlich mehr als heute. Unter Donatella ging es steil bergab. Zu welchem Zeitpunkt hat sich die Firma wieder gefangen?

Ferraris: Das war ein längerer Prozess. Aber ich kann sagen, dass wir heute an einem wichtigen Punkt in der Firmengeschichte stehen. Wir wurden 2011 profitabel, wir haben Lizenzen zurückgekauft, wir kontrollieren endlich wieder die Herzstücke unseres Unternehmens.

STANDARD: Sie haben für Gucci gearbeitet, dann für viele Jahre als CEO bei Jil Sander. Wie stark unterscheiden sich die Häuser überhaupt?

Ferraris: Jedes Unternehmen ist in sich ein eigener Kosmos. Versace ist ein Maison im Unterschied zu Gucci. Das ist ein großer Unterschied. Unsere Sprache ist die Mode, das fehlt bei Gucci.

STANDARD: Obwohl in Ihrer Zeit bei Gucci Tom Ford dort Designer war?

Ferraris: Bei Gucci gab es kein Atelier, das ist eine ganz eigene Welt, da geht es um Accessoires. Bei Versace dreht sich alles um Mode.

STANDARD: Versace ist im Unterschied zu Gucci ein Familienbetrieb. Inwieweit merkt man das?

Ferraris: Die Familie sitzt im Vorstand, das einzige Mitglied der Familie, mit dem ich arbeite, ist Donatella. Ich selbst habe ein internationales Team, unter anderem Andreas Bergbaur aus Wien, der das Marketing leitet. Seit sechs Monaten sitzt jetzt auch die 25-jährige Allegra im Vorstand, und nebenbei macht sie auch ihre ersten konkreten Schritte im Unternehmen.

STANDARD: Was genau macht sie?

Ferraris: Sie arbeitet im kreativen Bereich.

STANDARD: Wird sie irgendwann die Rolle Donatellas einnehmen?

Ferraris: Donatella ist erst 56, sie strotzt vor Energie, diese Frage stellt sich nicht.

STANDARD: Themenwechsel: Versaces Zweitlinie Versus soll wieder wichtiger werden. Wie unterscheiden sich die beiden Marken?

Ferraris: Versus ist keine Zweitlinie, sondern eine zweite Marke. Das Verhältnis ist wie Prada zu Miu Miu. Versus ist die erste Marke, die Donatella Versace in den Neunzigern kreativ geleitet hat. Auch heute noch führt sie die Marke, aber in Kooperation mit dem jungen englischen Designer Christopher Kane. Versus richtet sich an jüngere Konsumenten. Wie viele Menschen können sich schon Versace leisten?

STANDARD: Versus hat es nicht geschafft, eine Identität zu erlangen. Warum soll das jetzt funktionieren?

Ferraris: Versus war eine Lizenzmarke, wir haben sie zurückgekauft. Jetzt liegt es wieder in unseren Möglichkeiten, ihr ein Gesicht zu geben. Der Plan ist, dass Versus in den nächsten fünf Jahren mindestens 30 Prozent des Umsatzes von Versace ausmacht.

STANDARD: Letzte Frage: Sie haben Raf Simons zu Jil Sander gebracht. Wie erging es Ihnen, als Sie von seinem Rauswurf erfuhren und von der Rückkehr der Person Jil Sander?

Ferraris: Ich war überrascht. Ich habe großen Respekt vor Jil Sander. Aber mehr möchte und kann ich dazu nicht sagen.

(Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 20.4.2012)