Der Künstler und sein Werk im Theseustempel: Ugo Rondinone umkreist seinen weiß lackierten Olivenbaum aus Aluminium.

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Wien – Volksgarten. Menschen in der Frühlingssonne. Das Lachen spielender Kinder dringt ins Innere des Theseustempels. Draußen das Leben, verrinnende Minuten. Im Inneren gefrorene Zeit. Eine Zeitkapsel in Gestalt eines mehr als 1.200 Jahre alten Olivenbaums. Im Vergleich mit diesem pflanzlichen Zeitzeugen erscheint ein einziger Augenblick nichtig.

Ugo Rondinone beschreibt seinen mächtigen, weiß lackierten Baum aus Aluminium als "Zeitbehälter" und Speicher von Erinnerungen. Vertraut und doch fremd erscheint das knorrige Objekt, das hier den einst für Antonio Canovas spätklassizistische Theseusgruppe reservierten Platz einnimmt. Denn für diese kraftstrotzende, von Napoleon beauftragte antike Szene mit Theseus und dem Centauren, die heute im Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums steht, wurde der Tempel 1819-23 errichtet.

Mit der Präsentation von Rondinones Arbeit "wisdom? peace? blank? all of this?" folgt man nun dem Konzept, im Bau jeweils nur eine Arbeit solitär zu präsentieren. Der Baum sei eine ideale Skulptur, sagt Rondinone, "sie ist amorph und man kann um sie kreisen. Die Gestaltung hat die Natur bereits für mich erledigt. Die Olivenbäume stehen in einem Landstrich, wo es ständig Wind gibt. Der Wind formt die ganzen Verästelungen."

Der Baum ist ebenso wie der schlafende Clown eines seiner wiederkehrenden Motive. Rondinone, der in vielen Medien zuhause ist, knüpft an Sehnsuchtsmotive der Romantik an und kreiert in seinen Ausstellungen stets emotional aufgeladene Umgebungen zu den Themen Zeit und Vergänglichkeit, zur Dualität von Profanem und Spirituellem, aber auch zum Gegensatz zwischen natürlichen und künstlichen Räumen - wieetwa Museen. Mit groben Holzbrettern hat er den Charakter des Bühne und der Inszenierung verstärkt.

Die offene Tür zwischen Tempel und Park gefällt ihm deshalb besonders gut: Die Barrierelosigkeit macht seine Skulptur zu einer Arbeit im öffentlichem Raum - zu etwas Demokratischem. Der Baum sei für alle leicht als solcher erkennbar. Er mag einfache Symbole. Von allzu großen intellektuellen Windungen hält Rondinone nichts. Ein Kunstwerk sei etwas, das man fühlen müsse.

Das Modell für den poetisch aufgeladenen Olivenbaum fand Rondinone am eigenen Grund: In Basilikata zwischen Neapel und Bari stehen sechzehn solcher Bäume, erzählt er. 1964 in der Schweiz geboren, lebt Rondinone die meiste Zeit in New York, wo dem gefragten Künstler das Moma bereits mehrfach große Ausstellungen widmete. Das Prachtexemplar eines Olivenbaums, das bereits zur Zeit Karls des Großen Wurzeln schlug und bis heute Früchte trägt, wurde direkt vor Ort abgenommen und später in Aluminium gegossen: jede Unebenheit in der Borke blieb sichtbar.

Sechs solcher Exemplare gibt es bereits, an sechs weiteren arbeitet er. 2007 auf der Biennale Venedig zeigte er sie erstmals in der Kirche San Stae; wenig später reckten sich die wie mit Eis überzogenen Äste im Central Park gen Himmel. Ein Ort, den Rondinone seit langem bespielen wollte. "Während rundherum geschäftiges Treiben herrscht, scheint die Zeit im Central Park stillzustehen", sagte er einmal.

In Wien sorgt nun ein uralter Baum für das kurze Innehalten der Zeit. Ein Moment der Erhabenheit inmitten des Alltags. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 20.4.2012)