Janssen: "Das Abkommen mit Deutschland erscheint mir eher als ein Knebelvertrag."

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STANDARD: Sie haben das Steuerabkommen der Schweiz mit Deutschland und Österreich analysiert. Worin liegen die wesentlichen Unterschiede?

Martin Janssen: Der größte Unterschied liegt in der Stimmung der beiden Verträge. Das Abkommen mit Österreich hinterlässt den Eindruck, dass sich die beiden Länder vertrauen. Das Abkommen mit Deutschland erscheint mir eher als ein Knebelvertrag, wo der Große den Kleinen in einen Vertrag hineindrängt.

STANDARD: Wie äußerst sich das in Ihren Augen konkret?

Janssen: Zum Beispiel darin, dass die Deutschen kontrollieren können, ob die Schweizer keine Fehler machen. Da wurden Stichproben vereinbart, erst 1300, dann ist eine Steigerung um 20 Prozent möglich. Da reicht die Angabe eines Namens, es muss also nicht wie beim auf OECD-Ebene vereinbarten Informationsaustausch einen begründeten Verdacht geben. Die Schweiz muss dann Deutschland die Kontendaten liefern. Zudem kann die deutsche Bankenaufsicht BaFin zusammen mit der Schweizer Aufsicht vor Ort überprüfen, ob Schweizer Banken deutsche Verbraucherbestimmungen einhalten. Ich finde das mehr als störend. Wenn ich einen Vertrag mache, sollte ich davon ausgehen, dass sich der Partner an die Vereinbarung hält.

STANDARD: Es geht ja immerhin um Steuerflüchtlinge. Ist es nicht verständlich, dass Deutschland auf die lückenlose Nachversteuerung von Anlagen drängt?

Janssen: Das Abkommen mit Deutschland kommt mir wie ein Ehevertrag vor, wo der Mann eine Frau zwar heiraten will, ihr aber doch abgrundtief misstraut, sodass er sie mit Handy und GPS laufend überprüfen möchte, ob sie ihm auch wirklich treu ist. Dann soll er doch die Frau lieber gar nicht heiraten.

STANDARD: Rechnen Sie nun mit dem Abfluss von Anlegergeldern aus der Schweiz?

Janssen: Es wandern schon einmal Kundengelder ab, weil Vermögen versteuert wird. Der wichtigste Grund dürfte die Höhe der Erbschaftssteuer sein. Hier hat die Schweiz den Fehler gemacht, einem Satz von 50 Prozent zuzustimmen. Stellen Sie sich vor, ein älterer Herr hat zehn Millionen Franken in der Schweiz liegen. Jetzt liefert er für die Vergangenheit 41 Prozent ab, weil er in Deutschland nicht offenlegen will. Da bleiben ihm noch knapp sechs Millionen. Dann stirbt er, und die Erbschaft wird noch einmal halbiert. Unter dem Strich bleiben von zehn Millionen weniger als drei Millionen.

Die Schweiz hatte mit ihren Kunden einen Vertrag, der lautet: Die Schweiz wird sich nicht in die Steuerpflicht ihrer ausländischen Kunden einmischen. Nun werden diese Verträge rückwirkend geändert. Deshalb erhalten die Kunden ein paar Monate Zeit, damit sie wegziehen können.

STANDARD: Gerade bei größeren Schweizer Banken besteht die Möglichkeit, Gelder in Niederlassungen in anderen Steuerparadiesen zu verschieben. Rechnen Sie mit derartigen Schritten?

Janssen: Das werden die sicher nicht tun, das wird die Finanzmarktaufsicht mit Sicherheit verhindern.

STANDARD: Am härtesten gehen die USA gegen die Schweiz vor. Wie beurteilen Sie hier die Reaktion der Regierung in Bern?

Janssen: Ich finde es schade, dass die Schweiz so wenig Widerstand leistet. Das halte ich für einen Fehler, auch wenn der Druck sehr hoch ist. Es ist ja nicht so, dass die Amerikaner im Recht sind und wir im Unrecht. Die amerikanischen Steueroasen in Delaware und Miami sind um vieles größer als der Finanzplatz Schweiz. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 20.4.2012)