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Foto: Irina Gavrich

Kleidungsstücke mögen vielleicht nichtssagend erscheinen und verraten doch alles. Sie geben Auskunft über unsere Konsumgewohnheiten, darüber, wie wir uns als Männer und Frauen begreifen, was und wen wir verkörpern wollen. Unsere Kleidung soll dabei individuell bleiben, ganz auf die eigene Person zugeschnitten, nicht allein die Größe muss passen. Und doch kommt Mode von der Stange, ist vorgefertigte Konfektion.

Der Widerspruch ist dabei offenkundig wie produktiv: So geht es zum einen wohl darum, sich vom Mainstream abzusetzen. Zugleich demonstrieren unsere Kleider auch, dass wir irgendwo in dieser komplizierten und vielfältigen Gesellschaft hingehören, uns von den einen unterscheiden und mit den anderen identifizieren wollen. Gegenwärtige Mode soll uns in erster Linie dazu verhelfen, das eigene Selbstbild möglichst unverfälscht nach außen zu kehren.

Kein Hinweis auf den Kontostand

Zeitgemäße Vorstellungen von passender Kleidung verbinden sich mit dem Anspruch, das Selbstbewusstsein eines Menschen zu unterstreichen. Allzu Modisches scheint dem jedoch entgegenzustehen, so, als wäre man gezwungen, die eigene Persönlichkeit hinter einer auffälligen Maske zu verbergen. Genauso wie eine solch wenig souveräne Verkleidung zum Fashion-Victim ist auch jeglicher demonstrative Aufwand, jeder Protz, zu vermeiden.

Ein Kleidungsstück sollte doch bitte keinen Hinweis auf den Kontostand abgeben. Längst hat ein sportlich gestraffter Körper, hat die eine oder andere möglichst diskrete Schönheitsoperation offensichtliche Luxuskleidung als Statussymbol ersetzt. Es reicht, wenn körpernahe Kleiderschnitte und fließende Stoffe erahnen lassen, dass man über einen Personal Trainer und seinen Chirurgen des Vertrauens verfügen kann.

Wenn die Gesellschaftspresse heute selbstverständlich nicht nur über Prominente berichtet, sondern auch über die edlen Kleider, die sie tragen und vorführen, wird nicht vergessen, auf das Design hinzuweisen und darauf, dass nicht teuer eingekauft wurde, sondern der Auftritt "nur" in einer geliehenen Robe stattfindet.

Wer selbst kaufen muss, ist eben auch keine "very important person". Nur auf einer medialen Bühne oder, anders gesagt, aufgrund beruflicher Verpflichtungen werden heute noch opulente Kleider getragen. Als Regieanweisung gilt, so zu tun, als ob Mode immer noch vor allem Reichtum, Schönheit und ein bequemes Leben in traditionellen Geschlechterrollen bedeutete. Das stimmt vielleicht und nur noch für das kurze Blitzlicht auf dem roten Teppich. Um reale Lebenssituationen geht es schon lange nicht mehr.

Prozess der Vereinfachung

Harriet Walker, britische Modeautorin und Kolumnistin für The Independent, beschreibt die Geschichte der Mode des 20. Jahrhunderts als einen Prozess der Vereinfachung. In ihrem Buch Less is More. Minimalismus in der Mode schildert sie, wie Couturiers und Designerinnen Kleidung mit neuen Methoden, ja Erfindungen, vereinfacht und letztlich an ein modernes Frauenleben angepasst haben.

Als sich Coco Chanel 1910 als Hutmacherin in Paris niederließ, waren Damenhüte geradezu grotesk mit Blumen und Federn dekoriert. "Wie sollte unter all dem noch ein Hirn funktionieren?" Chanels schlichte Kopfbedeckungen, die Verwendung von Jersey, die Zitate aus der Herrengarderobe, Schwarz als Farbe für Alltags- und nicht allein Trauerkleidung, revolutionierten weibliche Mode nachhaltig.

Modemacher einer älteren und überholten Generation wie Paul Poiret konnten mit diesem veränderten Körperbild, dieser neuen Schlichtheit, mit der "Armut de luxe", so gar nichts anfangen. Selbst heutige Unentbehrlichkeiten wie frei kombinierbare Einzelteile verdanken sich den Einflüssen amerikanischer Sportswear der 1940er-Jahre wie wiederum den Impulsen durch die schon viel früher modernisierte Männerkleidung. Auch Schnitttechniken wurde völlig neu überdacht.

Ohne Verzierung

Die Entwürfe von Madeleine Vionnet verzichteten in den 1930ern auf alle Verzierungen und Abnäher, sie wurden so am Körper drapiert, dass allein die weibliche Silhouette zu einem Bestandteil eines Kleids wurde, nicht das Kleid den Körper formte. 1968 ließ Pierre Cardin einen festen und knitterfreien Synthetikstoff, "Cardine", patentieren, in den sich Muster und Formen stanzen ließen, anstatt mit mühevoller Stickerei oder aufwändiger Näharbeit.

Die Kollektionen der japanischen Dekonstruktivisten weigerten sich seit den 1980er-Jahren, die "Normteile" - Hüften, Hintern, Busen - westlicher Kleidungsstücke zur Kenntnis zu nehmen, der "nichtreferentielle Modebegriff" Helmut Langs hielt fest, dass er nur an einem zeitgenössischen Einsatz von Kleidern interessiert war.

Die Entwicklung der Mode als einen Prozess der Vereinfachung und letztlich des modischen Fortschritts ist auch als Medium einer Zeitgeschichte weiblicher Selbstbestimmung zu lesen - nicht mehr und nicht weniger. (Brigitte Felderer, Rondo, DER STANDARD, 20.4.2012)