Buchcover LIT Verlag

Wien - Lange bevor sich die Vampire in der modernen Populärkultur festgebissen haben, übten die blutsaugenden wiederkehrenden Toten große Faszination auf weite Bevölkerungsschichten aus. Mit der historischen Entwicklung des Diskurses zu Vampirismus im Habsburgerreich und im östlichen Europa setzte sich der Wiener Historiker Christoph Augustynowicz wissenschaftlich auseinander. Dabei stellte sich heraus, dass sich das Bild des Vampirs im 18. und 19. Jahrhundert stark gewandelt hat und der vermeintlich vampirgläubige Osteuropäer oft beispielhaft für die Rückständigkeit des Raumes stand. In Koproduktion mit Ursula Reber vom Institut für Germanistik der Uni Wien hat Augustynowicz im November des vergangenen Jahres das Buch "Vampirglaube und magia posthuma im Diskurs der Habsburgermonarchie" herausgegeben.

Der Historiker vom Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien befasst sich vor allem mit Stereotypen und "Bildern des östlichen Europa in der westlichen Wahrnehmung", wie er im Gespräch erklärte. Dabei gehe es um die Analyse der "Bilder von Rückständigkeit oder vormodernen Verhältnissen", die in diesen Raum projiziert wurden. Gerade geografische Randräume seien Orte "wohin man das Monströse hinverortet", so Augustynowicz.

Bram Stokers "Dracula" ursprünglich in der Oststeiermark

Dass solche Randräume allerdings meistens ein Produkt der Perspektive sind, zeigt sich darin, dass der Autor des bekannten Romans "Dracula", Bram Stoker, die Handlung des Buches ursprünglich in der Oststeiermark ansiedeln wollte. In den 1890er Jahren sei dann allerdings Transsylvanien in den medialen Blickpunkt gerückt, was Stoker dazu bewegte auf diesen Zug aufzuspringen. Viele frühe Vampirerzählungen würden aber tatsächlich in der Steiermark spielen, so der Historiker. Darin zeige sich auch, dass Österreich auch damals schon die "Naht zwischen Westen und Osten" dargestellt habe.

Augustynowicz hat sich für die wissenschaftlichen Analysen in ausgewählte Texte vertieft und auch die Häufigkeiten gewisser Worte, die mit Vampirismus in Zusammenhang stehen, aufgezeichnet. Dabei habe sich gezeigt, dass es eine "Stereotypisierung des Ostens als Raum der Vampire" gegeben habe. Vampirismus stand "sehr stark für wirtschaftliche und gesellschaftliche Rückständigkeit" und für die Resistenz gegenüber tiefgreifenden Veränderungen und Modernisierungen im 19. Jahrhundert. Das "Befangensein in einer vormodernen Lebenswelt" sei über den Vampirismus als "Vorwurf des Westens an den Osten" gerichtet worden. Auch Juden und Vampire wurden damals mehrfach miteinander in Bezug gesetzt.

Von der Debatte zum Mainstream der klaren Fiktion

Die Diskussion sei im 18. und 19. Jahrhundert sehr unterschiedlich abgelaufen, so der Historiker. Im 18. Jahrhundert habe es tatsächlich eine wissenschaftliche Diskussion darüber gegeben, ob es "wiederkehrende Tote" gibt. Diese Debatte fand allerdings in einem kleinen Kreis statt und wurde ab der späten Mitte dieses Jahrhunderts von Gelehrten mit einem klaren "Nein" beantwortet. Zentren der Diskussion seien die Städte der großen Verlage wie Wien, Leipzig, Paris oder London gewesen. Von dort aus verbreitete sich der Diskurs aber schon Ende des 18. Jahrhunderts in den "neuen Medien" der damaligen Zeit.

Im 19. Jahrhundert sei dann klar gewesen, dass es sich hier um Fiktion handelt. Zu dieser Zeit veränderte sich auch das Bild des Vampirs hin zur literarischen Figur des Verführers, des Gentlemans oder des Dandys, wogegen im 18. Jahrhundert noch das Bild des "monströsen" Vampirs vorgeherrscht habe. Auch der Akt des Trinkens von Blut oder die Fangzähne seien vor 1800 noch tabu gewesen und werden erst später explizit thematisiert. Große Verbreitung fand die Thematik dann über Groschenromane, die für damalige Verhältnisse hohe Auflagen erreichten. Auch in der Literatur waren die Blutsauger präsent.

Prägende Figur im Film

In weiterer Folge entwickelte sich der Vampir zur prägenden Figur des modernen Mediums Film. Das sei er im Hinblick auf moderne filmische Umsetzungen, wie etwa in der aktuellen "Twilight"-Filmreihe, bis heute auch geblieben, so der Forscher. Die Anzahl einschlägiger Filmproduktionen sei weltweit äußerst umfangreich und spanne einen weiten Bogen von "ganz edel bis ganz trashig". Die Bearbeitung des Themas in der "Twilight"-Saga sieht der Forscher aber etwas unkritischer als manche Kollegen, die von einem "Tiefpunkt in der Vampirismuskultur" sprachen. Augustynowicz: "Ich denke mir, die Postmoderne hat so vieles gemischt, warum nicht einmal Vampirismus und Highschool-Drama".

Gründe für die weltweite Sogwirkung des Themas sieht der Historiker darin, dass es existenzielle Zusammenhänge, wie die "Sehnsucht nach dem Leben nach dem Tod" berührt. Auch die Verbildlichung von repressiven Herrschaftsformen könne damit gut dargestellt werden. Das Bild des wiederkehrenden Toten lehne sich möglicherweise auch an landwirtschaftliche Kreisläufe wie das alljährliche Erwachen des Lebens auf den Feldern an. Da dieser Kreislauf das Leben in vielen Gesellschaften auf der Erde noch immer stark prägt, sei es denkbar, dass der Mythos in vielen Weltgegenden sozusagen "auf fruchtbaren Boden fällt". (APA/red, derStandard.at, 16.4.2012)