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Benedikt XVI. hat in den vergangenen sieben Jahren sein Amt zwar im Alltag gewissenhaft erfüllt. Er verdränge aber brennende Probleme, sagen Kritiker.

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Ist Joseph Ratzinger, wie er unmittelbar nach seiner Wahl versicherte, "nur ein bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn?" Oder ist der Bayer, der am Montag, seinen 85. Geburtstag feiert, "ein verlorener Hirte in einer Welt, die ihn nicht mehr versteht", wie der Spiegel mutmaßt? Kaum einer seiner Vorgänger hat so polarisiert wie Benedikt XVI.

Dem Charisma und kraftvollen Auftreten von Vorgänger Johannes Paul II. hatte der linkisch wirkende Präfekt der Glaubenskongregation nur eine unbeholfen anmutende Herzlichkeit entgegenzusetzen. Woitylas schauspielerische Begabung, seine Überzeugungskraft und Spontanität - all das geht dem greisen Kirchenmann aus Marktl am Inn ab.

"Es ist so, als würde ihn eine unsichtbare Hand dazu drängen, ständig neue Konflikte anzuzetteln", analysiert der italienische Vatikanexperte Marco Politi. Sein US-Kollege John L. Allen pflichtet ihm bei: "Ein von Desastern bestimmtes Pontifikat."

Verpasste Gelegenheiten

Ein drastisches Urteil angesichts der Begeisterung, mit der Benedikt XVI. letzthin in Mexiko bejubelt wurde? Ratzingers ehemaliger Tübinger Kollege Hans Küng präzisiert: Dass der Papst "seine alltäglichen Pflichten gewissenhaft erfüllt", will er nicht bestreiten. Aber was "die großen Herausforderungen unserer Zeit betrifft, stellt sich sein Pontifikat als eines der verpassten Gelegenheiten heraus."

Kritiker werfen Benedikt XVI. ungeschicktes Agieren auf vielen Ebenen vor. Die rüde Islam-Schelte seiner Regensburger Rede, die Wiederaufnahme des antisemitischen Bischofs Richard Williamson, die unnütze Provozierung der Juden durch die Karfreitagsfürbitte, die endlosen Versöhnungsgesten gegenüber den erzkonservativen Pius-Brüdern, die Rückkehr zur lateinischen Messe und anfängliche Zögerlichkeiten im Missbrauchsskandal - all das ließ die Sympathien für den deutschen Papst zunehmend erlahmen und festigte den Eindruck eines intellektuellen Theologen mit wenig Führungsqualität.

Während Johannes Paul II. sein Amt mit Begeisterung und Freude annahm, empfindet es der zögerliche Bayer als Bürde, die ein gehorsamer Gottesmann zu tragen hat. Seine Worte sind liebenswert, aber selten kraftvoll. Meistens vermittelt der schlohweiße Pontifex den Eindruck eines Papstes, der sich selbst im Wege steht.

Maulwürfe im Vatikan

Ratzingers ungeschickte Personalpolitik und das Festhalten an dem als ungeeignet geltenden Staatssekretär Tarcisio Bertone führte zu einer in der Geschichte des Vatikans einmaligen Pannenserie. Wo über Jahrzehnte totale Verschwiegenheit herrschte, spielten Maulwürfe Medien plötzlich geheime Dokumente zu, ließen das unter Woityla wie geschmiert laufende Staatssekretariat unvermittelt als Schlangennest und Hort bösartiger Intrigen erscheinen.

In langen Richtigstellungen musste sich der Vatikan gegen Vorwürfe der Geldwäsche, Korruption und Unterschlagung verteidigen, drohte dem TV-Sender La7 gar mit einer Presseklage - ein Novum in der Geschichte des Kirchenstaats. Die Vati-leaks-Serie ließ eine bange Frage aufkommen: Hat der furchtsame Dogmatiker das Steuer der Kirchenführung fest in der Hand? Der deutsche Kardinal Walter Kasper sprach aus, was viele denken: In der Kurie herrsche "schlechter Stil und Mangel an Loyalität".

Der gebildete Theologe bleibt ein Mann der Worte, nicht der Taten. Das war er schon immer: "Oft erscheint uns deine Kirche wie ein sinkendes Boot, das schon voll Wasser gelaufen und ganz und gar leck ist."

Diese bittere Einsicht ängstigte Joseph Ratzinger zu Ostern 2005 - wenige Wochen vor seiner Wahl zum Papst. Dass er selbst als Steuermann des lecken Schiffes zu mutigen Entscheidungen berufen wurde, hat er bisher erfolgreich verdrängt.

Dass ihn leere Kirchen, akuter Priestermangel und wachsende Abkehr der Gläubigen in Europa weniger bewegen als weltfremde Dogmatik, beweist der oberste Glaubenswächter just in diesen Tagen. Zum Geburtstag krönt der älteste Papst seit 100 Jahren seine antikonziliare Politik mit einem willkommenen Geschenk: Eine Einigung mit den ultraorthodoxen Pius-Brüdern steht unmittelbar bevor. (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD, 16.4.2012)