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Angst vor Matura, in "Der Schüler Gerber" noch lehrerbedingt.

Foto: Archiv

Es gibt wohl nicht allzu viele, die mit Freude an ihre Matura zurückdenken und vermutlich noch weniger, die von der Qualität der derzeit praktizierten Form überzeugt sind. Diese Prüfung ist zwar ein wichtiges Initiationsritual, doch ist sie weder objektiv noch nachhaltig, zu wenig vergleichbar und außerdem stark schultypenspezifisch ausgerichtet. All das führt u. a. auch dazu, dass die Hochschulen und Universitäten sich immer weniger darauf verlassen können, dass ihre StudienanfängerInnen das nötige Rüstzeug mitbringen, um auch nur die Studieneingangsphasen zu bewältigen, geschweige denn ein Studium auch abzuschließen.

Auch die meisten Lehrerinnen und Lehrer finden, zumindest im informellen Gespräch, kein gutes Haar an der Matura alter Ausprägung. Angesichts dieser Ausgangslage sollte man meinen, dass die neue (teil)zentralisierte Matura allseits mit offenen Armen aufgenommen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Je mehr sich die Zentralmatura bzw. ihre vergleichsweise bescheidene österreichische Ausprägung nähert, desto aufgeregter wird die Debatte.

Versuchsdurchgänge

Tatsächlich gibt es rund um die neue teilzentrale Matura noch eine ganze Reihe offener Fragen. Da wäre einmal der Faktor Zeit. Auch wenn das Gegenteil beteuert wird: Die Vorlaufzeiten waren alles andere als optimal. Nicht für alle Fächer, wohlgemerkt. So wurde die Umstellung der Englischmatura, deren Struktur ebenso grundlegend geändert wurde wie jene anderer schriftlicher Prüfungsfächer, seit Jahren sorgfältig vorbereitet; es gab Versuchsdurchgänge, die unaufgeregt über die Bühne gingen.

Zugegeben, der sogenannte europäische Referenzrahmen, der die Sprachkenntnisse im jeweiligen Lernjahr genau definiert, hat die Arbeit erleichtert, doch damit allein lässt sich das Gelingen nicht erklären. In anderen Fächern, insbesondere bei Mathematik und Deutsch, war die Vorlaufzeit nicht optimal, dennoch greift es zu kurz, die Schwierigkeiten allein darauf zurückzuführen. Es geht hier um weit tiefer liegende Ängste und Unsicherheiten.

Gerade das Angstfach Mathematik, bei dem man bis jetzt mit viel Ausdauer, Fleiß und vor allem Drill bei der Matura reüssieren oder zumindest bestehen konnte, auch wenn man nichts verstanden hat, soll jetzt anders abgeprüft werden - dahingehend, ob man auch verstanden hat, worum es bei einer Aufgabe geht. Und damit haben auch viele LehrerInnen ihre Schwierigkeiten. Gerade hier wäre eine Vorbereitung über mehrere Jahre notwendiger gewesen als etwa für die EnglischlehrerInnen, von denen viele schon gemäß dem europäischen Referenzrahmen unterrichten.

Lehrer haben Sorgen

Mehr als die mangelnde Vorbereitungszeit ist es der grundlegende Paradigmenwechsel, der bei vielen für eine tiefe Verunsicherung sorgt. Man bedenke nur, dass ab jetzt die Lehrpersonen selber in einem weit höheren Ausmaß auf dem Prüfstand stehen, als dies bisher der Fall war. Schon bis jetzt mussten die Themenstellungen von zentraler Stelle, nämlich den Landsschulräten, genehmigt und die Korrekturen den jeweiligen Vorsitzenden der Reifeprüfungen vorgelegt werden. Dennoch: Man war Herr oder Herrin über das, was abgefragt wurde.

Damit ist jetzt ein für alle Mal Schluss, denn erstmals in der Geschichte der österreichischen Schule wird von externer Stelle das im Laufe von acht Jahren erworbene Wissen überprüft und somit der Wissensvermittler. Diese Umstellung ist als radikal zu bezeichnen und betrifft das ganze System: Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in Österreich für LehrerInnen nach ihrem ersten Dienstjahr im Normalfall wenig bis gar kein Feedback. Sich vorzustellen, was die neue Matura vor diesem Hintergrund für äl- tere LehrerInnen bedeutet, dazu braucht es nicht viel Fantasie.

Bei allem Gerede über die zu knappe Vorbereitungszeit kommt ein weiterer grundlegender Aspekt viel zu kurz, nämlich die Problematik der Kompetenzorientierung an sich. Zweifellos spricht so manches für die sogenannte Output-Orientierung, und es wird wenige geben, die sich ernsthaft als Apologeten des mechanischen Auswendiglernens bekennen. Dennoch: Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass der Grundsatzdiskurs über die Bildungsinhalte noch gar nicht geführt wurde. Bei aller Konzentration auf die Kompetenzen sind die Inhalte völlig ins Hintertreffen geraten. Abgesehen davon halte ich es für problematisch, mit der neuen zentralen Prüfungsform zugleich auch einen weiteren Systemwechsel einzuführen. Muss Österreich bei der Kompetenzorientierung wirklich vorpreschen?

Abgesehen davon stellt sich die Frage, warum man bei der Erstellung der Prüfungsfragen nicht in erster Linie auf jene zurückgreift, die das professionelle Wissen haben, nämlich die Lehrerinnen und Lehrer. Dennoch gilt es den Kredit nicht zu verspielen: Die meisten ÖsterreicherInnen stehen der neuen Prüfungsform ziemlich positiv gegenüber, haben aber wenig Verständnis für die Form, in der derzeit die Debatte geführt wird. Die teilzentrale Matura ist grundsätzlich eine gute Sache, dass sich dennoch so viele davor fürchten, wie unter anderem eine aktuelle Umfrage zu Schülereinstellungen zeigt, sollte zu denken geben. Diese Ängste ernst zu nehmen könnte der erste Schritt für eine gemeinsame Lösung sein. (Heidi Schrodt, DER STANDARD, 14./15.4.2012)