Chunyi Zhou spricht perfekt Englisch.

Foto: Katharina Seiser / esskultur.at

In ihrem antiken Siheyuan, einem Hofhaus östlich der Verbotenen Stadt, bietet sie Kochkurse an, in denen die Kunst des Jiaozi-Kochens und -Bratens gelernt werden kann.

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Der Taxifahrer würde die Adresse nicht finden. Chunyi Zhous Kochschule liegt östlich der Verbotenen Stadt in einer der engen Gassen Pekings, die sich in den Hutongs (Ansammlungen von zum Teil jahrhundertealten Hofhäusern) von West nach Ost erstrecken. Chunyi Zhou ist gebürtige Kantonesin, sie hat als Laborantin gearbeitet und spricht perfekt Englisch. 2006 besann die zierliche Frau sich auf ihre kulinarischen Wurzeln - die Großeltern waren Gastronomen - seitdem bietet sie Kochkurse an. Letztes Jahr ist Chunyi in ihr eigenes Siheyuan (Hofhaus) übersiedelt.

Jiaozi, gefüllte nordchinesische Tascherln aus Nudelteig, soll es seit mindestens 1000 Jahren geben. Die Zutaten werden gemeinsam mit den Kursteilnehmern auf einem lokalen Markt gekauft. Im reichhaltigen Angebot fallen Gurken mit Stacheln und Blüte besonders auf, vielfältige Zwiebel- und Laucharten, Geflügel mit dunkelblauer Hautfarbe, das, wie stets in China, mitsamt den Krallen verkauft wird. Manche Stände bieten Tofu in absonderlichen Formen an, der an Wischmopps erinnert, oder in Streifen geschnittene Schwammtücher.

Zurück in der Gasse ohne Namen, ist der Schritt über die hohe Schwelle von Chunyis Siheyuan nicht nur Zeitreise, sondern auch eine Art "Mute"-Schalter: Im großen Hof und den angrenzenden Räumen ist es still, mitten im brausenden Abendverkehr.

Temperatur und Neigung

Für den Nudelteig kocht Chunyi Wasser im Kessel. Im Verhältnis 100 Gramm Mehl zu 60 Gramm kochend heißem Wasser entsteht unter Verwendung von Essstäbchen als Rührwerkzeug ein Nudelteig von derart nachgiebiger Konsistenz, dass das Formen der Jiaozi später problemlos gelingt. Dank heißen Wassers speichert der Teig mehr Feuchtigkeit, erklärt Chunyi, er wird daher beim Dämpfen und Pfannenbraten schön weich.

Nach dem Rasten des Teiges zeigen Chunyi und ihr Bruder Chao mit eleganten, stets effizienten Handbewegungen, wie man den Teig mit dem Allzweckbeil in genau gleich große Teile schneidet. Waage wird keine benötigt, bloß die Teigrolle nach jedem Schritt um 90 Grad gekippt. Wer das Beil wie ein Messer hält, wird sofort korrigiert: Daumen und Zeigefinger stabilisieren die Klinge auf beiden Seiten und schonen so das Handgelenk. Die Teigkugeln gehören mit der Handfläche flach gedrückt, die Erhebung in der Mitte ist gewünscht. Mit einem Nudelholz werden die Taler von der Mitte weg dünn ausgerollt und dabei gedreht. Anfänger haben davon am nächsten Tag Muskelkater oder Blasen. Profis wie jene in den Jiaozi-Lokalen Pekings machen zwei Teighüllen synchron mit der rechten und linken Hand.

Jiaozi-Füllungen sind im Prinzip unspektakulär, Faschiertes vom Schwein und Chinakohl oder Pok Choi spielen eine große Rolle, gewürzt wird mit Ingwer, Frühlingszwiebeln, weißem Pfeffer, heller Sojasauce, Reiswein und Sesamöl.

Chinesischer Balsamico

Chunyi erklärt die Qualitätsunterschiede der wichtigsten Würzsaucen. Schwarzer Reisessig der Touristenklasse ist ungereift und ziemlich spitz in der Säure. Der echte Stoff kommt seit 3000 Jahren aus Shanxi, besteht neben Reis auch aus Hirse, Gerste und Erbsen und ist jahrelang gereift: Die Chinesen hatten den Italienern nicht nur die Ravioli, sondern auch den Balsamico voraus.

Für die Fülle der Jiaozi wird das Gemüse gehackt und gesalzen. Dann sollen Faschiertes und Gewürze energisch mit den Stäbchen in eine Richtung gerührt werden, bis die Masse fest wird. Im Westen wäre das aus Sorge um trockenes Faschiertes ein Fauxpas. Das ausgedrückte Gemüse kommt zur Masse. Das ausgetretene, salzige Zellwasser dient erst jetzt zum Binden der Fülle. So behält sie die Feuchtigkeit und bleibt auch nach dem Garen saftig.

Beim Verschließen der Jiaozi sind Kärntner/innen klar im Vorteil: Das Fälteln und Andrücken erfordert Übung wie das Krendeln, aber der chinesische Nudelteig steckt jede ungelenke Annäherung locker weg. Einfacher geht's, wenn man den Teig für "Guotie" oder "Potstickers", so werden die pfannengebratenen und anschließend gedämpften Jiaozi genannt, einfach oben in der Mitte zusammendrückt.

Ohne tierische Fette

Während die Teigtaschen garen, macht Chunyi mit wenigen Handgriffen Gurkensalat nach Sichuan-Art: ganze, ungeschälte Gurken mit dem flachen Beil in Stücke drücken, die Teile grob hacken, mit Salz, Zucker, heller Sojasauce, schwarzem Reisessig und ein paar Tropfen Sesamöl würzen. Gehackten Knoblauch obenauf geben.

Direkt über der Gasflamme kocht Chunyi in wenigen Sekunden Chiliöl: Sie erhitzt in einem Schöpfer etwas Öl und gibt getrocknete Chiliflocken hinein. Das zischend heiße Öl kommt auf den Knoblauch, der damit kurz gegart wird und zu duften beginnt. Frischer Koriander rundet den Salat ab. Er macht aus faden, aber von der Konsistenz perfekten Jiaozi eine Offenbarung. Obwohl: Daran hat auch die Dipsauce ihren Anteil, die hier nicht einfach aus Essig (dem guten), Knoblauch, Sojasauce und Sesamöl gerührt, sondern um ein paar Tropfen Chiliöl aus Chunyis Steinguttopf ergänzt wird.

Dieses Chiliöl riecht intensiv nach warmen Gewürzen wie Sternanis, Cassia-Zimt und Sichuanpfeffer, aber auch irritierend nach Grammelschmalz. Chunyi lächelt. Sie weiß um die Besonderheit des Öls. Für weitere zehn Yuan (1,20 Euro) wechselt das Rezept die Besitzerin. Tierische Fette enthält es keine. Aber es schmeckt im Wiener Altbau genauso gut wie im Pekinger Hutong. (Katharina Seiser, Rondo, DER STANDARD, 13.04.2012)