Monyer steuert Nervenzellen per Lichtsignal.

Foto: Lüthi

Sollte Hollywood planen, sich für einen Wissenschaftsthriller in der Realität zu bedienen - hier gäbe es filmtauglichen Stoff: Die Lebensgeschichte der deutschen Neurowissenschafterin Hannah Monyer ist zumindest außergewöhnlich.

Ihre Kindheit verbrachte sie als Mitglied der sächsischen Minderheit in Siebenbürgen, Rumänien, mit 17 fasste sie ohne das Wissen ihrer Eltern den Entschluss zur Flucht. "Ich wollte in ein Land, das mir eine gute Ausbildung bietet. Das war im totalitären Rumänien nicht möglich."

Die Behörden gewährten in Ausnahmefällen sogenannte Audienzen, bei denen man die Ausreise beantragen konnte. Der für die Genehmigung verantwortliche General war offenbar vom Auftreten der 17-Jährigen beeindruckt: "Ich sagte ihm, dass ich in das Land meiner Vorfahren reisen wolle - und er besorgte mir innerhalb von drei Tagen einen Pass. Dann fuhr ich nach Deutschland und blieb dort." Zumindest war der Bruch kein endgültiger. Im Gegensatz zu anderen Ostblockländern konnten illegale Auswanderer nach einigen Jahren wieder zurück in ihre Heimat reisen.

Danach studierte sie Medizin in Deutschland, Dissertationsthema: "Das Phänomen Eifersucht bei Marcel Proust und in der Psychiatrie seiner Zeit." Proust ist bis heute eine Inspirationsquelle für sie. "Vieles, was wir heute über das Gedächtnis wissen, hat er intuitiv vorweggenommen." Nach Stationen in der Kinderpsychiatrie und -neurologie folgte ein Aufenthalt in den USA, wo sie mit der Grundlagenforschung in Kontakt kam - und sie nie wieder verließ.

Die Faszination für das Gehirn, erzählt Monyer, sei viel früher entstanden. "In der Volksschule haben wir gelernt, wie Schmerz entsteht. Das hat mich schwer beeindruckt. Ich kam nach Hause und sagte zu meiner Mutter: Wenn ich auf die heiße Herdplatte fasse, dann entsteht der Schmerz nicht hier auf der Hand, sondern im Gehirn! Danach wollte ich unbedingt Medizin studieren."

Hannah Monyer hat kürzlich im Fachblatt Science eine Arbeit veröffentlicht, die Einblicke in das orchestrale Kollektiv der Nervenzellen ermöglicht: Gedächtnisinhalte werden durch die synchrone Aktivität von Nervennetzen angelegt. Und für die Synchronisation sorgen "Dirigentenzellen", Interneuronen genannt, die ihrerseits von Superdirigenten gesteuert werden.

Diese Entdeckung gelang ihr mithilfe einer jungen und spektakulären Methode namens Optogenetik. Sie ermöglicht es, einzelne Nervenzellen durch ein im Hirn von Mäusen implantiertes Glasfaserkabel per Lichtsignal zu steuern. Die Methode wurde unter anderem vom Österreicher Gero Miesenböck (Universität Oxford) entwickelt und gilt als letzter Schrei in der Neurowissenschaft.

Nature Methods wählte die Erfindung zum Durchbruch des Jahres 2010, Science sogar zu einem der Durchbrüche des Jahrzehnts. Die Optogenetik wird wohl noch weitere wichtige Erkenntnisse abwerfen. Lernen als synchrone Partitur von Nervenzellen zu betrachten sei bis vor kurzem nur eine Hypothese gewesen, sagt Monyer. "Nun können wir sie gezielt testen und nach Ursachen suchen." (cz, DER STANDARD, 11.4.2012)