ModeratorIn: Wir begrüßen Astronom und Science-Blogger Florian Freistetter, der in seinem heute erschienen Buch "Krawumm" ein Plädoyer für den Weltuntergang abgibt.

Florian Freistetter: Hallo! Ich freue mich schon auf die Fragen und einen netten Chat!

UserInnenfrage per Mail: Sind Sie der Meinung, dass die Bevölkerung in den letzten Jahren zunehmend empfänglicher geworden ist für Mystisches, Verschwörungstheorien, esoterisch angehauchte Pseudowissenschaften?

Florian Freistetter: Vielleicht nicht unbedingt zunehmend empfänglicher. Aber es ist immer leichter, an entsprechende esoterische oder verschwörungstheoretische Ideen und Produkte zu kommen. Ich denke, die Bereitschaft der Menschen, Unsinn zu glauben, ist relativ gleich geblieben. Aber es ist immer leichter geworden, Unsinn zu vermarkten und zu verkaufen.

UserInnenfrage per Mail: Womit hängt Ihrer Meinung nach die Skepsis gegenüber den Naturwissenschaften (Stichwort "Schulmedizin") zusammen?

Florian Freistetter: Vermutlich mit dem "Wissenschaftsanalphabetismus". Immer weniger Menschen wissen Bescheid, was Wissenschaft ist und wie sie funktioniert. Und das, obwohl die Wissenschaft unser Leben immer stärker prägt. Je weniger die Leute wissen, desto eher verstehen sie Dinge falsch. Das Unbekannte bzw. Unverstandene macht immer Angst.

UserInnenfrage per Mail: herr freistetter, werter florian, jedesmal wenn ich eso-verschwörungsgeschwurbbel lese, kündigt sich ein kurzschluss in meinen gehirn an. wie machen sie das, dass sie immer ruhige, sachliche antworten auf hunderte solcher posts auf ihrem blog finden

Florian Freistetter: Gute Frage! Ein bisschen gewöhnt man sich daran. Aber ich muss mich auch sehr oft zusammen reißen und ab und zu ein bisschen Pause und Abstand vom geballten Unsinn gewinnen. Ein paar Stunden Spazierengehen helfen da meistens recht gut.

Meine Meinung passiert einfach: Was sind Entwicklungen oder Neuheiten im Feld der Astronomie aus den letzen Jahren&Jahrzent, die Ihrer Meinung nach jeder wissen sollteß

Florian Freistetter: Ich denke, die wichtigste Entwicklung in den letzten 10 bis 20 Jahren hat auf dem Gebiet der Exoplaneten stattgefunden. Wir wissen heute, dass Planeten völlig normal sind. Unser Sonnensystem ist völlig normal. Die Milchstraße ist voll mit Planeten, im Schnitt hat fast jeder Stern einen Planeten. Wir wissen heute so viel mehr über die Exoplaneten als noch vor 5 oder 10 Jahren. Und in 5 oder 10 Jahren werden wir noch viel mehr wissen. Wenn es irgendwo tatsächlich echte erdähnliche Planeten gibt, dann werden wir die bis dahin gefunden haben.

Ludwig van Spraydosen: sie haben sicher das video über sie gesehen (florian freistätter allwissender......) bekommt man da nicht ein bischen angst vor gewissen gestallten in der esoszene? wurden sie schon mal persönlich von so jemanden angesprochen?

Florian Freistetter: Persönlich noch nicht. Aber ich bekomme ab und zu "Drohbriefe" mit ähnlichem Inhalt. Und die einschlägigen Esoterik- bzw. Pseudowissenschaftsforen sind ebenfalls voll mit solchen Äußerungen über mich (und andere Wissenschaftler/Autoren die sich entsprechend äußern). Insofern ist das YouTube-Video nichts besonderes. Es ist halt das erste Video. Angst erzeugt das nicht wirklich. Ich bemühe mich, so etwas zu ignorieren. Die Leute sind die Aufmerksamkeit nicht wert (und sie wollen ja nur Aufmerksamkeit und mir auf die Nerven gehen...)

rattlesnake87: Was halten Sie von der "seriösen" Suche nach Außerirdischen? Ist es sinnvoll die Suche nach außerirdischen Leben über Radiowellen durchzuführen (SETI)?

Florian Freistetter: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, seriös nach außerirdischem Leben zu suchen. Einmal ist das die Suche nach habitablen Exoplaneten und die Analyse deren Atmosphären. Das wird in ~5 Jahren realistisch sein. SETI ist an sich nicht unseriös. Wenn es irgendwo intelligente Aliens gibt, dann können sie durchaus so auf sich aufmerksam machen. Es ist halt nur ein großes Universum und sehr unwahrscheinlich, dass wir solche Nachrichten auffangen.

fuhardgasse 5: Wie erklären Sie sich die in esoterischen Kreisen ausgeprägte Warnung vor Mikrowellen-Geräten?

Florian Freistetter: Das liegt vermutlich am schon erwähnten Wissenschaftsanalphabetismus. Die Leute, die Angst vor Mikrowellen haben, wissen wahrscheinlich nicht wirklich, was das eigentlich ist. Das ist wohl eher eine generelle Angst vor allem, was irgendwie wissenschaftlich klingt. Eine Mikrowelle macht das Essen nur heiß. Das ist nicht anders als am normalen Herd.

Gegen Geistlose Eigentümlichkeiten: Denken sie, es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Zustand des Bildungssystems und der Bereitschaft, Unsinn zu glauben?

Florian Freistetter: Das kann gut sein. Wer gelernt hat, kritisch und vor allem selbständig zu denken, der wird nicht so leicht auf Unsinn reinfallen. Wenn das Bildungssystem das nicht fördert, dann werden vermehrt leichtgläubige Menschen produziert.

Nachbar Totti: Verstehen Sie die Skepsis gegenüber zum Beispiel Atomwissenschaftlern, die behaupten, eine völlig sichere Atomanlage berechnet zu haben, die sich als letzlich untauglich und gefährlich herausstellt - Stichwort: Kugelhaufenreaktor, Tschernobyl, Fukus

Florian Freistetter: Selbstverständlich ist das verständlich. Wenn Wissenschaftler so etwas tatsächlich behauptet haben, dann waren es auch Wissenschaftler, die die Wissenschaft nicht wirklich verstanden haben. Es gibt keine absolute Sicherheit, nirgends. Auch nicht in der Wissenschaft. Alles hat immer ein gewisses Risiko. Wissenschaftler sollten das eigentlich wissen und entsprechend handeln. Bei den Leuten/Politikern die Atomkraftwerke betreiben bzw. in Auftrag geben kann ich mir allerdings durchaus vorstellen, dass sie das nicht wissen und unsinnige Aussagen über "absolut sichere" Anlagen von sich geben.

Rigglerobber: Herr Freistetter, können Sie sich mit Science Fiction eigentlich noch unterhalten oder stören Sie die wissenschaftlichen Ungenauigkeiten? Wenn nein, haben Sie einen Buch- oder Filmtipp?

Florian Freistetter: Ich bin ein großer Fan von Science-Fiction. Und die wissenschaftlichen Ungenauigkeiten sind nur dann störend, wenn sie plump und dumm sind. "Beamen" beim Raumschiff Enterprise ist zum Beispiel wissenschaftlich ungenau; genauso wie viele andere Dinge dort. Aber es ist trotzdem unterhaltend. Was Bücher angeht, kann ich z.B. die "Night's Dawn" Trilogie empfehlen, von Peter F. Hamilton, eine klassische und wunderbare Space-Opera. Was Filme angeht, geht nichts über Doctor Who. Der IST zwar oft wissenschaftlich ungenau - aber es stört in diesem Fall überhaupt nicht.

.oO: Wie erklären sie sich, dass Menschen an Gott, eine Seele undsoweiter glauben, jedoch an evidenten wissenschaftlichen Tatsachen (zB Klimawandel) zweifeln?

Florian Freistetter: Wer an Gott glaubt, der muss gelernt haben, gewisse Tatsachen über die Realität zu ignorieren. Das trifft dann natürlich auch auf die "Klimaskeptiker" zu.

Le Spectateur: Wie erklären sie sich den Erfolg von Homöopathie?

Florian Freistetter: Homöopathie ist deswegen so erfolgreich, weil damit hauptsächlich "Krankheiten" behandelt werden, die auch ohne jede Behandlung verschwunden wären. All die Leute, die bei Kopfschmerzen oder Erkältungen Globuli einwerfen, wären auch ohne sie gesund geworden. Und Homöopathie profitiert natürlich auch enorm vom Image der "sanften Pflanzenmedizin" (was sie natürlich in Wahrheit nicht ist).

Rigglerobber: Herr Freistetter, glauben Sie an die Selbstreinigungskräfte von Wikipedia und anderen Informationsquellen mit Seriositätsanspruch oder nehmen die halbgebildeten Esoteriker und Verschwörungstheoretiker im Netz überhand?

Florian Freistetter: Ich habe früher bei Wikipedia selbst mitgeschrieben und habe da eigentlich erlebt, dass am Ende der schlimmste Blödsinn immer rausgeflogen ist. Natürlich ist der Drang nach "Ausgewogenheit" bei Wikipedia (und anderen Informationsquellen) immer etwas gefährlich. Manche Dinge sind schlicht und einfach falsch; die Wahrheit liegt NICHT immer in der Mitte. Man muss nicht jedem Unsinn eine Plattform bieten; man muss nicht bei jeder medizinischen Diskussion einen Homöopathen mit dazu einladen, usw. Esoterik & Co bekommen teilweise wirklich eine zu große Plattform geboten.

fuhardgasse 5: Es heißt: Ein Esoteriker kann in 5 Minuten mehr behaupten als ein Wissenschafter sein ganzes Leben lang widerlegen kann. Dachten Sie sich bei Ihrem Buch Challenge Accepted

Florian Freistetter: Mein aktuelles Buch hatte eigentlich nicht den Anspruch, esoterische Aussagen zu widerlegen. Das war das Thema von "2012 Keine Panik". Da hätte ich natürlich noch locker weitere 10 Bände mit den Widerlegungen von esoterischen Unsinnstheorien füllen können. Das neue Buch, "Krawumm!", handelt von echter Astronomie und von echter Wissenschaft. Da geht es um die kosmischen Kollisionen und die Frage, welche Rolle (egal ob positiv oder negativ) sie für uns und das Universum spielen. Esoterik kommt da eigentlich nicht. Theoretisch könnten es also auch die Esoterikfans mit Gewinn lesen ;)

UserInnenfrage per Mail: Wie stufen Sie den Journalismus hinsichtlich Esoterik ein? Ist er zu wenig kritisch, zu wissenschaftsfeindlich?

Florian Freistetter: So pauschal kann man das nicht beantworten. Es gibt durchaus Medien, die sehr kritisch über Esoterik und Pseudowissenschaft berichten und guten Wissenschaftsjournalismus betreiben. Aber auch leider viele, bei denen es mehr auf die "Quote" ankommt und die dann keine Hemmungen haben, auch dem wildesten Unsinn eine Plattform zu bieten. In meinem Blog bringe ich dafür - leider - jede Menge Beispiele; immer wieder.

Nachbar Totti: Wäre es nicht einfacher für alle, wenn Sie "alternative" Ideen und Vorstellungen nicht pauschal als Humbug abtäten und mit der gebotenen Neutralität an gewisse Thematiken (beispielsweise "Chemtrails") herangingen?

Florian Freistetter: Inwiefern geschieht das denn nicht? "Chemtrails" werden genauso "neutral" angegangen, wie z.B. Astrologie, Homöopathie oder Verschwörungstheorien. Nur ist halt an den Chemtrails (da solle ja angeblich die Regierung oder eine andere fiese Organisation aus ebenso fiesen Gründen irgendwelche Chemikalien großflächig mit Flugzeugen versprühen) genauso wenig dran wie an Astrologie, Homöopathie oder Verschwörungstheorien. Das nach entsprechender Analyse auch ganz klar anzuerkennen, hat nichts mit mangelnder Neutralität zu tun.

Miss Flanders: Inwiefern ist die Hysterie um den 21.12.2012 vergleichbar mit dem Jahr 2000, wo uns der technische Showdown (zusammenbrechen aller pcgesteuerten systeme etc.) hätte blühen sollen/können?

Florian Freistetter: Die beiden Daten lassen sich nur bedingt vergleichen. Das Y2K-Problem war ja zumindest theoretisch tatsächlich vorhanden. Und man hat in der Zeit davor viel investiert, um es zu lösen. Am 2012-Unsinn ist überhaupt nichts dran. Nichtmal die Grundlage ("Der Kalender der Maya endet am 21.12.2012") ist korrekt; genauso steht es mit den ganzen Katastrophenszenarien. Natürlich waren auch die wilden Y2K-Szenarien oft extrem überzogen. Aber sie hatten zumindest eine reale Grundlage.

Ludwig van Spraydosen: welche literatur würden sie empfehlen um sich als absulter neuling in die astronomie etwas einzulesen?

Florian Freistetter: In meinem Blog ("Astrodicticum Simplex" auf Scienceblogs.de) habe ich genau dazu einen eigenen Artikel geschrieben. Der Titel lautet "Bücher über Astronomie" (einfach googeln). Da gibt es eine lange Liste mit guten Büchern. Alternativ kann ich einen Besuch in der Bücherei empfehlen. Die haben da auch eigentlich immer eine gute Auswahl an populärwissenschaflichen Astronomiebüchern.

Meine Meinung passiert einfach: Zu dem Stichwort Wissenschaftsanalphabetismus, wie könnte man Wissenschaft im Schulsystem besser unterrichten, und wäre ein Fach das einfach nur Wissenschaft an sich zum Thema hat sinnvollß

Florian Freistetter: Es wäre wichtig, nicht nur die reinen wissenschaftlichen Ergebnisse zu vermitteln, sondern auch die wissenschaftliche Methode. WIE kommt man zu den Ergebnissen? Welche Methoden verwenden die Wissenschaftler, um objektive Erkenntnisse zu erlangen? Usw. Wenn diese Aspekte stärker in den Lehrplänen präsent wären, dann wäre schon viel gewonnen.

higgs - wozu?: wann haben sie sich das letzte mal geirrt - und wobei?

Florian Freistetter: Falls hier kein trivialer Irrtum, wie das Verwechseln des Bahnsteiges am Bahnhof gemeint ist - das ist mir heute morgen passiert - dann unterscheide ich mich in der Hinsicht sicherlich nicht von anderen Menschen. Menschen irren sich. Auch Wissenschaftler und Wissenschaftsautoren. In einer meiner wissenschaftlichen Arbeiten hatte ich z.B. zuerst den Output einer Computersimulation falsch interpretiert. Ein Inputfehler hatte zufällig genau das Ergebnis erzeugt, das ich mir gewünscht hatte. Glücklicherweise ist es in der Wissenschaft üblich, seine Ergebnisse von Kollegen überprüfen zu lassen. So wurde der Fehler noch rechtzeitig vor der Publikation entdeckt und korrigiert.

kanalräumer: Warum haben sie aufgehört, bei Wikipedia mitzuarbeiten?

Florian Freistetter: Das war mir irgendwann zu stressig. Die Streitigkeiten dort haben aus meiner Sicht überhand genommen. Außerdem hatte ich Lust, Texte für mich selbst zu schreiben und nicht mehr für die Wikipedia und habe deswegen mein eigenes Blog gegründet.

Maria Lankowitz: Welche Errungenschaft/Entdeckung sollte bei Ihrem Wikipedia-Eintrag in einigen Jahren stehen?

Florian Freistetter: Ich habe keinen Wikipedia-Eintrag. Ansonsten hoffe ich, dass meine Bücher recht erfolgreich werden. Aber das würde ich nicht wirklich als "Errungeschaft" bezeichnen. Und da ich als Astronom immer in der Theorie gearbeitet habe und kein Beobachter war, habe ich leider auch nichts entdeckt...

letterman1: In meinem Umfeld ist zunehmend von der "freien Energie"(Tesla) die Rede&von verschwörungstheoretischen Methoden diverser Mächte, die angeblich versuchen, den Durchbruch dieser Technologie "geheim zu halten" usw... Sind Sie mit diesem Phänomen be

Florian Freistetter: Das ist vermutlich der Versuch, die eigene Ideologie im Angesicht der harten Realität aufrecht zu erhalten. Wenn die tolle, weltverändernde Erfindung vom Rest der Welt nicht toll gefunden wird und die Welt nicht verändert, dann kann man daran natürlich nicht selbst schuld sein sondern irgendwelche fiesen Mächte müssen den Erfolg verhindern. Gleiches gilt auch für die revolutionäre wissenschaftliche Theorie, die nur deswegen nicht anerkannt wird, weil die Weltverschwörung sie unterdrückt... Den Leuten, die solche Argumente verwenden, fehlt meistens ein halbwegs objektiver Blick auf ihre eigene Arbeit.

Zelvik: Herr Freistetter, glauben Sie, dass die österreichische Gesellschaft besonders anfällig für pseudowissenschaftliche und esoterische Erklärungsansätze ist? Laut einer Eurostat Umfrage von vor einigen Jahren, liegt Österreich auf den hintesten Plätzen

Florian Freistetter: Das Phänomen ist mir auch schon aufgefallen. Rein gefühlsmäßig scheint mir Österreich wirklich sehr anfällig für esoterischen Unsinn und Wissenschaftsfeindlichkeit. Es gibt auch eine EU-Studie, die das bestätigt (ich habe mal drüber gebloggt). WARUM das so ist, ist eine gute Frage. Ich habe darauf nicht wirklich eine Antwort. SO schlecht kann das Bildungssystem ja auch nicht sein... Und leider schützt auch ein akademischer Titel nicht davor, auf esoterischen Unsinn reinzufallen.

3be8a5a4-ddfd-417b-9d0b-b88a90224e70: Welche "Tatsachen (!) über die Realität" ignoriert denn nun jmd, der an Gott glaubt, genau? Oder anders: Führt WS in Ihrem Verständnis zum Atheismus (und warum)?

Florian Freistetter: In meinem Verständnis sind Wissenschaft und Religion tatsächlich Widersprüche. In der Wissenschaft geht es darum, Dinge NICHT einfach nur zu glauben sondern immer kritisch zu hinterfragen und vor allem Aussagen immer zu belegen. Glaube basiert darauf, Dinge zu glauben, selbst dann (oder gerade dann), wenn sie nicht belegt sind. Ich persönlich verstehe nicht, warum es Wissenschaftler gibt, die trotzdem gläubig sind. Ich weiß, dass es viele von ihnen gibt. Irgendwie können sie die unvereinbaren Aspekte anscheinend vereinen. Ich selbst kann das aber nicht - und habe auch nicht das Bedürfnis dazu. Ich bin als Atheist sehr glücklich.

XFactory: Herr Freistetter, können Sie pers. als Wissenschaftler auch noch an "etwas glauben" im religiösen Sinne?

Florian Freistetter: "Glauben" tut zwangsläufig jeder Mensch. Im engeren "religiösen" Sinn glaube ich allerdings nichts.

letterman1: Ich bin ein verfechter wissenschaftlicher Arbeitstechnik, muss aber feststellen, dass homöopatische Präperate beide meine Hunde davon abgehalten haben, sich im Auto zu übergeben. Und das gleich beim ersten Mal. Wenn ich ihnen keine gebe, ist ihnen w

Florian Freistetter: Fragen dieser Art lassen sich meistens schwer beantworten, vor allem via Chat und aus der Entfernung. Generell gibt es aber auch bei Tieren einen Placebo-Effekt. Die Tiere spüren, wenn sich der Besitzer besonders um sie kümmert und spüren, wenn der Besitzer selbst ruhig ist und wird. Die Globuli für die Tiere erzeugen auch beim Besitzer eine Erwartungshaltung, die sich auf die Tiere überträgt (dazu findet man in der Fachliteratur jede Menge Artikel). Generell sind aber Anekdoten dieser Art nicht geeignet, irgendwas zu belegen. Damit will ich diese Ankedoten natürlich nicht geringschätzen. Aber sie sind eben nur Einzelfälle und damit nicht allgemein aussagekräftig. Ich hatte mal Ohrenschmerzen und der Apotheker hat mir Globuli verpasst (was ich nicht gemerkt hatte). Sie haben nicht geholfen. Aber das belegt natürlich auch nichts. Die Wirkung von Homöopathie lässt sich verläßlich nur in randomisierten Doppelblindstudien untersuchen. Und da hat die Homöopathie bis jetzt noch jedesmal versagt.

Kater Murlimann vom Loch: Wozu braucht es eine Doppelblindstudie wenn Plazebos (Homöapatie) eh nicht wirken?

Florian Freistetter: Placebos sind nicht "unwirksam". Sie wirken eben nur nicht spezifisch oder verläßlich. Wenn ich Kopfschmerzen habe, und eine Tasse Tee trinke und meine Kopfschmerzen danach verschwinden: War der Tee verantwortlich oder etwas anderes? Um das zu beantworten muss man erst die anderen Einflüsse ausschließen. Und genau dazu braucht man Doppelblindstudien. Erst sie machen es möglich, wirklich NUR den potentiellen Wirkstoff selbst zu untersuchen.

fuhardgasse 5: Was ist Ihre Meinung zu 9/11-Verschwörungstheorie. Alles humbug, teilweise wahr, glaubhaft?

Florian Freistetter: Ich beschäftige mich mit diesem Thema eigentlich selten. Es ist allerdings eine klassische Verschwörungstheorie und so gut wie nichts von dem, was die "Truther" so erzählen, hat etwas mit der Realität zu tun oder kann entsprechend belegt werden.

keep: Es gibt hunderte Realitäten und Sie berufen sich immer nur auf "die Eine"? Was ist denn das bitte für eine Realität und wieso sollte die universal gültig sein? Neue Erfindungen werden von "Machthabern" zurückgehalten, das ist ein Fakt. Nicht zuletzt

Florian Freistetter: Wenn es "ein Fakt" ist, dann sollte man dafür auch Belege haben. Ansonsten macht es keinen Sinn, darüber zu diskutieren. Die Realität ist übrigens das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört daran zu glauben.

unsere geliebte wirtschaft: Mit welchen Mitteln können Verschwörungstheorien als Verschwörungstheorien identifiziert werden ?

Florian Freistetter: Ganz einfach: Man betrachtet die Aussagen der (Verschwörungs)theoretiker und sieht nach, ob sie durch ausreichend Belege gedeckt sind.

highscoreberndb: Mich fasziniert die Tatsache, dass wir Menschen zu einem Großteil aus Sternenstaub bestehen und nur existieren, weil Sonnen explodieren. Warum ist das gesellschaftliche Interesse an so einem kosmologischen Weltbild relativ gering?

Florian Freistetter: Vermutlich, weil so wenig Menschen darüber Bescheid wissen. Astronomie ist z.B. in Österreich (und in den meisten Teilen von Deutschland) kein Schulfach und taucht nur am Rande im Physikunterricht auf. Man kann schwer von Dingen fasziniert sein, von denen man nichts weiß. Darum ist auch die wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit so wichtig. Wer nichts über unsere Welt und das Universum weiß, der verpasst jede Menge Faszination!

FlXII: Wie sehen Sie die finanzielle Ausstattung neuer astronomischer wissenschaftlicher Forschungsprojekte in den kommenden Jahren? Und welche der kommenden Projekte werden Ihrer Meinung grundlegend neue Erkenntnisse bringen?

Florian Freistetter: Natürlich können Wissenschaftler immer mehr Geld gebrauchen ;) Es gäbe jede Menge tolle Projekte, die es wert wären, finanziert zu werden. Neben den Experimenten am Teilchenbeschleuniger LHC am CERN, die unser Weltbild in den kommenden Jahren sicherlich noch einmal ordentlich durchrütteln werden, sind es vor allem die Weltraumteleskope, die wichtige neue Erkenntnisse bringen. GAIA wird z.B. nächstes Jahr gestartet und - wenn es erfolgreich ist - wird es Unmengen an bisher unbekannten Exoplaneten entdecken und unser Verständnis der Milchstraße enorm verbessern.

Poschi: Wissenschaftsjournalismus wird aus meiner Sicht immer spektakulöser und inhaltlich flacher - ich denke da jetzt v.a. an TV-Sendungen wie Galielo, Universum etc. Sehen Sie diese Entwicklung auch so? Was halten Sie von ihr?

Florian Freistetter: "Universum" habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich hoffe, dass es nicht wirklich so schlecht geworden ist wie Galileo. In Sendungen dieser Art geht es leider nicht mehr wirklich um Wissenschaft, sondern nur noch darum, möglichst spektakulär zu sein. Große Explosionen, riesige Currywürste und "wissenschaftliche" Untersuchungen von Damenunterwäsche. So etwas hat mit Wissenschaftsjournalismus tatsächlich nichts zu tun. Glücklicherweise gibt es noch Ausnahmen (auf 3sat laufen einige gute Sendungen). Aber es wäre wirklich an der Zeit, ein paar mehr gute Sendungen dieser Art im Programm zu haben. Im Gegensatz zu dem was manche Programmchefs glauben, interessieren sich die Leute nämlich durchaus für echte Wissenschaft. Ich merke das bei der Arbeit an meinem Blog jeden Tag.

ModeratorIn: Wir bedanken uns bei Florian Freistetter für das Beantworten dieser vielen Fragen - leider konnte in der einen Stunde nicht auf alle eingegangen werden - und wünschen ihm viel Erfolg auf seiner Wissenschafts- und Autorenlaufbahn.

Florian Freistetter: Vielen Dank! Mir hat der Besuch bei derStandard.at und der Chat viel Spaß gemacht.