"Zu Märdistan, im Walde von Kulub

liegt einsam, tief versteckt,

die Geisterschmiede."

"Da schmieden Geister?"

"Nein, man schmiedet sie!" Karl May

Copyright by Karl-May-Verlag, Bamberg

 Als Carl Friedrich Benz (1844-1929) 1886 beim Reichspatentamt seinen Motorwagen Nummer 1 zum Patent anmeldete, war das Automobil geboren, sein Erfinder aber ein noch wenig bekannter Ingenieur. Sein sächsischer Zeitgenosse Karl May (1842-1912) hatte es da bereits zu beachtlicher Öffentlichkeitswirkung gebracht, seine populärsten Figuren - Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef Omar, Old Shatterhand, Winnetou - waren in Position gebracht. Heute ist es mit dem Ruhm praktisch umgekehrt, die Welt ist ungerecht.

Das allerletzte Bild, das den Schriftsteller lebend zeigt, wurde übrigens in Wien aufgenommen, ein letzter Schuss sozusagen, am 20. März 1912, es zeigt den würdevollen 70-Jährigen mit seiner zweiten Frau Klara vor einem Automobil; am 30. März war er tot. Seine letzten Worte lauteten: "Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot." 

Wien-Besuche

Daneben verblasst selbst Goethens legendäres "Mehr Licht!" Es blieb dem Friedensfreund der große Krieg erspart, schön, dass er nicht erleben musste, wie in Europa die Lichter ausgingen. Und warum Wien? In der Reichshaupt- und Residenzstadt hatte er bereits 1898 Station gemacht. Eingeladen von Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, soll er die Begegnung mit den Worten eröffnet haben: "Kaiserliche Hoheit, soll ich als Cowboy oder Schriftsteller die Unterhaltung führen?"

Diesmal kam er auf Einladung des Akademischen Verbands für Literatur und Musik, um am 22. März einen Vortrag in den Sophiensälen zu halten, ein Vortrag, der ihm "jubelnde Anerkennung" brachte, Titel: "Empor ins Reich der Edelmenschen". Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843-1914) - die beiden kannten und schätzten sich seit 1905 - saß im Publikum, und May las, auf Bitte der Freundin hin, auch Auszüge aus ihrem Werk.

Suttner und Martin Walser über May

Suttner über May: "Wenn ich nur eines dieser Werke hätte gestalten können, dann hätte ich mehr erreicht." Und Martin Walser rückt Jahrzehnte später Mays Stellenwert zurecht, mit folgender Analyse: "Goethe und Karl May ähneln einander in ihrem lebenslänglichen Bedürfnis mehr, als literaturkritische Einteilungen vermuten lassen. So wie in jedem Iphigenie-Vers und in jedem Meister-Satz das Optimum dirigiert und die schließliche Lösung schon durch alles Dazwischenkommende durchschimmert, so wissen wir, je furchtbarer Karl May seinen Stellvertreter beutelt, desto schöner und edler wird die Rettung sein ...

Der späte Karl May geht so stofflich ins Religiöse über wie der Goethe der 'Wanderjahre'."Im Zugang zur rasant sich entwickelnden Technik war Karl May ein Kind seiner Zeit. Nie zählte er zu den Furchtsamen, er war von allem Neuen im technischen Fortschritt fasziniert, in Winnetou IV findet das (vor allem sein Interesse an den frühen Flugpionieren) auch literarischen Niederschlag. 1909 besuchte er die "Große Berliner Flugwoche" am Flugplatz Adlershof-Johannisthal. Und Fotos dokumentieren, dass er sich gern in knatternden Automobilen chauffieren ließ, etwa, als er 1908 - anlässlich seiner Amerikareise - den Schulfreund Ferdinand Pfefferkorn besuchte, siehe Bild oben. 

Willi Zwo

Aber auch Willi Zwo (Kaiser Wilhelm II.) konnte er verstehen, "Das Auto hat keine Zukunft, ich setze aufs Pferd!" (wenn das so weitergeht, behält der noch recht), jedenfalls den letzten Teil dieser seiner Aussage. Pferdestärken, mythisch maximal aufgeladen: Diese Texte zählen zum Faszinierendsten in seinem Oeuvre, vom Frühwerk bis zum mystisch-symbolistischen Spätwerk, von den Rappen Hatatitla, Iltschi, Rih bis zu den Lanzenreitern von El Hadd (Ardistan und Dschinnistan).

Und wem nässt es nicht heut' noch das Auge, wenn er noch einmal liest, wie der edle Rappe Rih sein Leben opfert für seinen Herrn, Kara Ben Nemsi Effendi? Zuletzt ein Buchtipp: Der verdienstvolle Karl-May-Verlag hat ein wahren Prachtband herausgegeben, in gewohntem Erscheinungsbild und ungewohntem Großformat. "Karl May und seine Zeit. Bilder, Dokument, Texte" heißt das opulente Werk von Gerhard Klußmeier und Hainer Plaul. ISBN: 978-3-7802-0181-2, ca. 50 EURO. (Andreas Stockinger; DER STANDARD, 7.04.2012)