Imre Lichtenberger-Bozoki tüftelt derzeit an Musik für das Theater im Bahnhof. Premiere von "Graz Alexanderplatz" ist am 19. 4. im Dom im Berg; auch Peter Alexander wird eine Rolle spielen.

Foto: Lichtenberger

Wien - Engagements im Sandy Lopicic Orkestar haben den Jazzmusiker Imre Lichtenberger-Bozoki vor über zehn Jahren an das Theater geführt. Damals suchte Johann Kresnik Musiker für eine Produktion am Grazer Schauspielhaus. Es war ein Initiationserlebnis - und seither komponiert Imre Lichtenberger-Bozoki als freier Theatermusiker. Unter anderem am Burgtheater (in Inszenierungen von Niklaus Helbling), am Volkstheater (derzeit Die Dreigroschenoper und bald Kinder der Sonne) und ganz aktuell mit dem Theater im Bahnhof (TiB), das Alfred Döblins Stadtroman Berlin Alexanderplatz auf das gegenwärtige Graz umgemünzt hat.

Standard: Wann ist Theatermusik gut?

Lichtenberger-Bozoki: Nur dann, wenn auch die Inszenierung gut ist. Und es gibt natürlich ganz unterschiedliche Prinzipien. Sehr schwierig ist etwa das Doppeln, d. h. wenn ich ein Gefühl auf der Bühne versuche mit Musik zu unterstreichen. Genau das, was im Film sehr gut funktioniert, geht am Theater ganz schwer. Dem Film gelingt durch die Tonmontage, also durch das Abmischen der Stimmen mit der Musik, eine einheitliche Stimmung. Im Theater ist das nicht gegeben, da sind die Schauspieler visuell wie stimmlich ortbar, und die Musik kommt meist aus Boxen, da wirkt das eher wie eine Störung, wie eine gegenseitige Auslöschung.

Standard: Was ist dabei das Schwierigste?

Lichtenberger-Bozoki: Die Königsdisziplin ist es, Musik unter Bühnentext unterzulegen. Da muss man sehr reduktionistisch vorgehen und eine eigene Dimension erfinden, die man dann vielleicht gar nicht so bewusst wahrnimmt. Das Einfachste sind Zwischenmusiken, also Musik zwischen den Szenen.

Standard: Der Regisseur ist dabei ihr wichtigstes Gegenüber?

Lichtenberger-Bozoki: Ja, und das ist ganz unterschiedlich. Man darf jedenfalls nicht eitel sein. Es kann leicht passieren, dass man dreißig, vierzig Arbeitsstunden in eine Komposition investiert hat und sich dann auf der Probe herausstellt, dass es doch nicht passend ist. Dafür gibt es dann den Resteordner am Computer.

Standard: Wie gehen Sie an die jeweiligen Stücke heran? Recherchieren Sie selbst, oder arbeiten Sie nach Vorgaben?

Lichtenberger-Bozoki: Die Musiker bekommen üblicherweise schon Monate vor Probenbeginn eine erste Stückfassung. Es gibt Regisseure, die sich selbst Gedanken über die Musik machen, sei es weil sie selbst sehr musikalisch sind und viel über Musik wissen, dann können sie auch ihre Ziele besser formulieren und sagen "Machen mir Musik wie Frank Zappa". Gut klauen können ist ein wichtiger Teil der Arbeit. So funktionieren vierhundert Jahre Musikgeschichte.

Standard: Wie ist das bei "Graz Alexanderplatz"? Ist da für Sie der Originaltext von Döblin und die Zeit der Weimarer Republik wichtig?

Lichtenberger-Bozoki: Nein, nicht so sehr der Ursprungstext. Autorin Pia Hierzegger hat Döblins Roman ganz auf Graz umgemünzt. Da sind die Bauelemente, mit denen Döblin gearbeitet hat, ja schon weiterentwickelt. Das darin enthaltene Prinzip der Montage ist für mich ausschlaggebend. Und weil das Theater im Bahnhof eine lustige Gruppe ist, ist sogar Peter Alexander eine Musikinspiration geworden.

Standard: Wie viel bringt dann die Probe noch? Wird improvisiert?

Lichtenberger-Bozoki: Viel von der Musik entsteht auf bzw. zwischen den Proben. Eine szenische Idee hat eine musikalische zur Folge, so zirka. Ich setze die Kopfhörer auf, nehme mein Keyboard und bastel spontan etwas.

Standard: Es ist also sehr wichtig, bei den Proben dabei zu sein?

Lichtenberger-Bozoki: Es ist meist sehr wichtig. Allerdings, das klingt jetzt blöd: Das kostet.

Standard: Kusej hat einst Leonard Cohens "Take This Waltz" bei " Geschichten aus dem Wiener Wald" eingesetzt. Gute Idee?

Lichtenberger-Bozoki: Das ist Geschmacksache und kommt ganz darauf an. Ich schreibe lieber selber. Billig würde ich es finden, etwa zu einem Stück über eine Vergewaltigung Falcos Jeannie aufzudrehen. Die Musik sollte den Grad der literarischen Komplexität nicht unterschreiten. Außerdem lässt man - egal ob das Bohemian Rhapsody ist oder Leonard Cohen - ungefiltert die ganze Welt auf die Bühne, das sollte einem bewusst sein. Rock und Pop finde ich deshalb sehr schwierig, das mache ich mir am Rechner im Homestudio lieber selbst. Hingegen ist es nicht ganz so einfach, ein Weihnachts-Oratorium à la Bach zu schreiben (lacht ).

Standard: Oft hat das Theater ein Problem, sich auszudrücken, und landet dann bei der Musik. Ist deshalb Theatermusik in den letzten Jahren mehr geworden?

Lichtenberger-Bozoki: Ja, ich glaube auch, dass das wächst. Diese zwölf Töne versteht ein jeder. Schwere Inhalte sind leichter in gesungener Form zu transportieren. Und: Musik fungiert auch oft als Ventil, um sich von Gedanken zu entspannen, ohne sich emotional auszuklinken. Nicolas Stemann macht das sehr gut mit den Jelinek-Texten.

Standard: Manche Theaterabende könnten auch als Konzerte gelten.

Lichtenberger-Bozoki: Ja, ich denke, es beschäftigen sich heutzutage mehr Musiker mit dem Theater. Früher, in der Zeit vor der Verarmung der Gastwirtschaften und vor dem Zeitalter der Clubs und des DJ-Kults, wurde viel mehr live gespielt. Die Musiker der 1960er-Jahre haben eine Woche da gespielt und dann eine Wochen dort. Da hatte man dann sicher keine Lust mehr, auch noch im Theatergraben zu klimpern. Heute sind die Theaterjobs die mitunter bestbezahlten für einen Musiker. Auch wenn man eine erfolgreiche Band hat. Eine andere Entwicklung ist auch das Neue Musiktheater, mein Erweckungserlebnis war Heiner Goebbels, der mit Heiner-Müller-Texten Gesamtkunstwerke geschaffen hatte, da zerfließen Text und Musik. Oder Bob Wilson und Tom Waits. Ich wollte was Ähnliches versuchen und die drei Die Hard-Filme vertonen, doch es gab vonseiten des Kulturamts eine Absage. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 4.4.2012)