Der Bau einer Gaspipeline ist heute wie in den Anfängen harte körperliche Arbeit. 

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Hajo Obuchoff u. a.: "Die Trasse. Ein Jahrhundertbau in Bildern und Geschichten". Verlag Das Neue Berlin, 2012

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Berlin/Wien - Wie selbstverständlich sehen wir das Gaspipelinenetz an, über das sibirisches Gas nach Europa gepumpt wird. Regen uns immer dann auf, wenn aus irgendwelchen, meist nicht gleich durchschaubaren Gründen der stete Fluss an Erdgas in den Westen gestoppt wird. Doch war der Bau der ersten Trassen keine Selbstverständlichkeit und ein wirtschaftspolitisches Abenteuer, das gar nicht so lange zurückliegt. Viele Menschen in der ehemaligen DDR denken mit etwas Sentimentalität daran zurück.

Denn zum Bau der Druschba-(Freundschaft)Trasse wurden junge DDR-Bürger angeworben. Viele der heute 60-Jährigen gingen ostwärts, in die Ukraine, die damals zur Sowjetunion gehörte, oder noch weiter in die Steppen Kasachstans. Reisen in den Westen waren ja nicht erlaubt, und so lockten die Weiten der Sowjetunion.

Höhere Gehälter als zu Hause und ein Trabi-Auto bei Rückkehr wurden in Aussicht gestellt. Taktisch klug hatte die DDR-Führung den Pipelinebau als zen-trales Jugendprojekt ihrer staatlichen Jugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend) ausgerufen und köderte die jungen Männer mit typischen propagandistischen Parolen wie "Unsere Barrikade ist die Trasse".

Ab Mitte der 1970er-Jahre gingen Tausende - Vermessungstechniker, Schlosser, Dreher, Mechaniker, Köche - in die Sowjetunion. Ein riesiger Arbeitertross wanderte mit den Rohren mit, die im Winter in die eisharte und im Sommer in die matschige (Permafrost-)Erde versenkt wurden. Von den DDR-Medien wurden die Arbeiter als "Revolutionäre im Blauhemd" bezeichnet.

Doch war der Trassenbau fast von Anfang an nicht das "antifaschistische" Projekt, als das er gerne hingestellt wurde. In der Kernidee sollte die Pipeline die Energieversorgung des Ostblocks absichern. Der Kalte Krieg war auf seinem Höhepunkt, und die USA regelten über ein strenges Exportregime (Cocom, Koordinationsausschuss für mehrseitige Ausfuhrkontrollen), was an die UdSSR und deren Allierte geliefert werden durfte. Technische Ausrüstung von Westkonzernen wie Mannesmann oder neueste Bautechnik aus Japan, die man für den Trassenbau benötigt hätte, waren nicht darunter.

Schon bald kamen weitere Interessen dazu. Die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem wachsenden Energiehunger zeigte sich an Gasabnahme interessiert. Über Drittländer wurde das Cocom-Embargo so unterlaufen, sodass sogar mit amerikanischer Technik gebaut werden konnte.

Es ist Ironie der Geschichte, dass die DDR zerfiel, während noch immer ostdeutsche Ingenieure an den Trassen werkten. Bis heute ist historisch nicht geklärt, ob das teure Projekt ein wesentlicher Sargnägel der DDR war. (West)Deutschland übernahm die Gas-Verträge der DDR nach einigem Zögern und wird heute heilfroh darüber sein. (ruz, DER STANDARD, 3.4.2012)