Wien - Der Weltuntergang ist ein Hit. Die Wiener Nomad Labfactory und ihr Moderator Thomas Jelinek haben am Wochenende tief in die Schauderkübel der Apokalypse gegriffen und am Wochenende im Tanzquartier eine "Unter Gang Art" zelebriert, die ihr Publikum alles andere als kalt ließ.

In einem vierstündigen Spektakel mit Künstlern, Wissenschaftlern und Aktivisten beschwor Jelinek als Showmaster ein Pandämonium aus Performances, Videos, Musik, Interviews, Debatten und Aktionen herauf. Und das hätte österreichischer nicht sein können. Wer je geglaubt hat, das Wienerische wäre heute in einer Krise, wurde bei eines Besseren belehrt. Bei "Unter Gang Art" war alles da: das einäugig Weinerliche, mit Ironie verwechselter Zynismus, die narzisstische Geste, zwielichtige Bigotterie mitsamt schwindelerregenden Aufschwüngen der Mittelmäßigkeit bis hin zur entrüsteten Ablehnung und zugleich begeisterten Huldigung von Intelligenz.

Das Straucheln der Hoffnung

Reinster Inländerrum also, von dem sich sogar ein kritisches Kaliber wie der iranisch-schwedische Choreograf Hooman Sharifi abfüllen ließ, der Jelinek in der Moderation unterstützte. Und Doris Uhlich, die sich an Falcos seifiger Stimme in der Nummer Titanic (1992) aus ihrem roten Korsett blätterte. Oder ein Quantenphysiker, der als Virtuose der Formulierung schnell in den Wortmeldungen jener unterging, die sich jetzt einmal zur verbalen Selbstermächtigung berufen fühlten.

Ein Frühpensionist (Selbstbezeichnung) stellte sich vor ein Mikrofon und erklärte, warum sich die "mehr als zwei Millionen NGOs" auf der Welt kein Gehör verschaffen würden: Weil sie nicht miteinander kommunizieren können. Es gab zwar, jedenfalls der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung zufolge, im Jahr 2010 nur 7.600 NGOs, aber egal. Bier und Wein in Plastikbechern, Derek Jarman gedoubelt, Slavoj Zizek auf dem Video, Roland Emmerichs 2012 ebenfalls, Jelinek live als Faktenfreak - " da haben wir einmal gegoogelt" -, allgemeine Erregung und vereinzelte Störenfriede sorgten in der zunehmend erhitzten Halle G für eine " Schwarmintelligenz".

Die Nomad Labfactory hat einen glorreichen Coup durchgezogen und tatsächlich, wie im Untertitel des Projekts behauptet, ihre "Installation des Welttheaters" geschafft. Es ist in Anlehnung an Karl Kraus eine "Versuchsstation des Weltuntergangs" geworden, in der jede Aussage und jedes Statement zum Gag wurde und niemand einem Anderen zuhören mochte. Eine Aufführung der offenkundigen Verunsicherung und der unterschwelligen Panik. Ein aus den Fugen geratenes Kommunikationsfeld als Realtheater über das Straucheln der Hoffnung, dass jenen Irren, die zurzeit die Welt verzocken, das Steuer noch aus der Hand gerissen werden kann.

Gut so. Die Krise der gesellschaftlichen Kommunikation, wie sie im Großen täglich verfolgt werden kann, war hier, wenn auch im Ansatz unfreiwillig, auf den Punkt gebracht: Egotrips machen alle Gemeinschaftlichkeit kaputt. Eine wichtige Message. Ab dem 11. April wird sich das Tanzquartier in seinem Diskursfestival "Scores" fünf Tage lang mit dem Chaos beschäftigen. Dafür war "Unter Gang Art" auf jeden Fall schon einmal die passende Einstimmung. (Helmut Ploebst/DER STANDARD, 2.4. 2012)