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Über Literpreise von umgerechnet einem Euro würden sich viele europäische Autofahrer freuen – nicht so jene in den USA.

Foto: Reuters/Prouser

Es gibt Zahlen, die geben US-Normalverbrauchern das Gefühl, dass ihre Welt aus den Fugen gerät. An den Zapfsäulen ist es die Vier oder Fünf: Steht eine dieser Zahlen vor dem Komma, schwärmen die TV-Reporter aus, als ginge es um einen nationalen Notstand.

Eine Gallone (3,78 Liter) Benzin ist nach europäischen Maßstäben noch immer spottbillig: Der Liter kommt auf einen Dollar (0,75 Euro). In den USA ist der Benzinpreis ein Politikum, so wie der Brotpreis in arabischen Ländern. Kein Wunder, dass er heftige und teils skurrile Debatten auslöst.

Die Republikaner legen Barack Obama zur Last, dass er den Preisanstieg nicht stoppt. Worauf der Präsident erwidert, es sei der Weltmarkt, der mit Angebot und Nachfrage den Ölpreis bestimme. Newt Gingrich nennt Obama "Präsident Alge", weil er Forschungen mit Biokraftstoff gutheißt. Rick Santorum, der Favorit der religiösen Rechten, spricht von einer "falschen Theologie", bei der das Wohlergehen der Erde vor dem des Menschen rangiere. Und Mitt Romney verlangt die Entlassung von drei Kabinettsmitgliedern: Steven Chu (Energie), Ken Salazar (Inneres) und Lisa Jackson (Umwelt): Das "Benzinsteuertrio" wolle europäische Verhältnisse und unamerikanisch hohe Mineralölabgaben einführen.

Vergangene Woche scheiterte Obamas Vorstoß gegen die Begünstigung großer Ölkonzerne am Widerstand des Senats. Die Republikaner meinten, eine Kürzung von Steuervorteilen ändere nichts an den Treibstoffpreisen.

Zurzeit zahlen Autofahrer mit jeder getankten Gallone rund 18 Cent an den Fiskus, lächerlich wenig im internationalen Vergleich. Und tatsächlich dachte Chu, im Zivilberuf ein nobelpreisgekrönter Physiker, bereits laut über höhere Steuern nach: Nur über Preisdruck könnten die USA allmählich die Energie-Effizienz der Westeuropäer erreichen. Doch Chus Vorschläge sind längst in der Schublade verschwunden.

"Höhere Benzinsteuern auch nur zu erwähnen, ist hierzulande schon immer politisches Harakiri gewesen", meint Steven Rattner, ein New Yorker Investmentbanker, der die staatliche Rettungsaktion für die Autobauer General Motors und Chrysler organisierte.

Folgerichtig stellt Obama her aus, wie gut er die Sorgen des tankenden Normalbürgers versteht. Er weiß nur zu gut, was ein hoher Gallonenpreis bewirken kann: 2008, als die Vier-Dollar-Schwelle schon einmal überschritten wurde, war es der damalige Kandidat Obama, der George W. Bush dafür verantwortlich machte.

Daher pusht die Politik die Ölförderung: Bundesstaaten wie Texas und North Dakota erleben einen rekordverdächtigen Förderboom, während im Golf von Mexiko zwei Jahre nach der verheerenden Ölpest längst wieder neue Konzessionen vergeben werden. Mussten die USA 2005 noch 60 Prozent ihres Treibstoffbedarfs importieren, so waren es 2011 nur 45 Prozent. Die im Atompoker mit dem Iran verhängten Sanktionen (s. Artikel unten) lassen den Weltmarktpreis jedoch ebenso klettern wie die wachsende Nachfrage in den Schwellenländern.

Obama betreibt nun Symbolpolitik und flog demonstrativ nach Cushing, Oklahoma. Durch dieses Kaff soll einmal eine Pipeline namens Keystone XL führen und die Teersandfelder Kanadas mit den Raffinerien am Golf von Mexiko verbinden - alles gegen Bedenken von Umweltexperten, die sowohl die energieintensive Ölgewinnung aus Teer ablehnen als auch die Verschmutzung von Grundwasserreservoirs im Präriestaat Nebraska fürchten. Im Jänner hatte das Weiße Haus Key stone XL auf Eis gelegt, doch einen Rückzieher schließt inzwischen niemand mehr aus. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, 1.4.2012)