Der Verfassungsgerichtshof erklärte die Ausweisung des 27-jährigen Ousmane C. für widerrechtlich. Von rechts wird dagegen Stimmung gemacht.

Foto: Christian Fischer

Ousmane C., jener 27-Jährige aus dem westafrikanischen Guinea, der sich am 15. Dezember 2011 an Fuß der Gangway in den Abschiebeflieger erfolgreich gegen seine In-die-Maschine-Schaffung zur Wehr setzte, hat vergangene Woche vom Verfassungsgerichtshof ein höchst erfreuliches Schreiben erhalten. Seine Ausweisung war widerrechtlich, erkannte das Höchstgericht: Der Asylgerichtshof habe geschlampt, indem er C.‘s Vorbringen ignorierte, er habe Österreich vor mehr als 18 Monaten verlassen. Wird ein Asylverfahren so lange unterbrochen, werden Entscheidungen dessen Verlauf hinfällig.

Somit hat das Höchstgericht erkannt, dass C.‘s Fortschaffung Verfassungsrecht gebrochen hätte. Es war also richtig, dass es nicht dazu kam. Doch das geschah nur, weil Ousmane C. Widerstand übte: Ein Fakt, der seinen „Fall" zu einem der politisch brisantesten unter den vielen umstrittenen, drohenden oder knapp vereitelten Abschiebungen macht, die es in Österreich aufgrund der unfairen „Fremden"-Gesetze gibt.

Das haben auch Rechte erkannt, die die Kontroversen um Asyl- und Ausländerthemen bekanntlich gern als Vehikel ihrer politischen Interessen benutzen. Auf der von einem Verein im Umfeld des dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf (FPÖ) betriebenen Internetplattform unzensuriert.at nimmt Ousmane C.‘s „Fall" schon seit der vereitelten Abschiebung viel Platz ein.

Der Lüge bezichtigt

Unter Bezugnahme auf dubiose „Rechercheergebnisse" wurde der Guineer seither in einer Reihe von Artikeln der Lüge bezichtigt. Man nennt ihn den „afrikanischen ‚Baron Münchhausen‘, der „täglich neue Verfolgungsgründe" vorbringe - und daher „Asylbetrug" begehe; gegen Letzteres geht sein Anwalt Georg Zanger vor. Warum das erstaunlich breite Interesse von rechts? Weil sich im „Fall" Ousmane C.‘s möglicherweise weitere Entscheidungen und allgemeine Erkenntnisse anbahnen, die den Sichtweisen und Planungen von Blau, Orange und Braun entgegenstehen.

Erstens die Erkenntnis, dass es richtig, ja, aus rechtlichen Gründen notwendig sein kann, wenn man sich dem Wirken der Fremdenbehörden widersetzt. Selbst aus einer scheinbar aussichtlosen Situation heraus: Ousmane C. war vor der Szene an der Gangway über vier Monate in Schubhaft gesessen.

Zweitens, dass womöglich auch ein Schwarzer, ein Flüchtling - also eine von asylwerberfeindlichen Rechten höchst verachtete Person - dieses Recht auf Widerstand hatte, gegen vier weiße Polizisten. Über letzteres wird im Strafverfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt entschieden, das am Landesgericht Korneuburg gegen Ousmane C. läuft: Die vier Polizeibeamten wiesen nach dem Gezerre an den Gangway leichte Blessuren auf, so wie C. selber auch. Wenn sein Widerstand nötig war, um eine unrechtmäßige Abschiebung zu verhindern - kann man C. dann bestrafen?

Schwarzes Loch Schubhaft

Drittens die mögliche Erkenntnis, dass die lange Schubhaft, in die C., nachdem er im August 2010 als Dublin-Rückschiebefall aus London nach Wien kam, bis 15. Dezember gesteckt wurde, widerrechtlich war. War dies so, muss C. dafür Haftentschädigung erhalten. Auch das Thema der Schubhaft als schwarzes Loch, in der "Fremde" wehrunfähigvverschwinden, wird hier aktualisiert. Denn es war reiner Zufall, dass auch Robert Zahrl, ein asylpolitikkritischer Österreicher, kurz in Polizeihaft war, und nur durch dessen Engagement war es C. möglich, „draußen" an einen Anwalt zu kommen. Es stellt sich die Frage, ob die inzwischen eingeführte verpflichtende Schubhaftrechtsberatung diesbezüglich Grundlegendes verbessert hat.

Viertens der Umstand, dass der offizielle Abschiebstopp aus Europa kam, ja, kommen musste, vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof, acht Stunden nach der Gangway-Szene: eine vergleichbare Notbremse gab - und gibt - es im österreichischen Rechtssystem nicht. Sowie, fünftens, dass der Reflex, den jungen Guineer nach der Schubhaftentlastung wegen Widerstands gleich in U-Haft zu setzen, womöglich hinterfragenswert war; nur auf Kaution kam C. später frei.

All dies sind neuralgische Punkte des österreichischen Asyl- und Fremdenwesens , des Umgangs mit "Fremden". Alles Themen, die Rechte wie aus dem Umfeld des Blauen Grafs, statt anzusprechen, wohl lieber ausklammern, ja zensieren würden. Von anderen politischen Standpunkten aus kann man auf die weitere Entwicklung dieser vielschichtigen Causa jedoch höchst gespannt sein. (Irene Brickner, derStandard.at, 31.03.2012)