Jede Jahreszeit hat ihre Nebenscherereien. Unter einer Nebenschererei verstehe ich eine relativ kleine Schererei, die aber kraft ihrer andauernden Wiederkehr das Jahr unerfreulich rhythmisiert und bereits in der bloßen Vorstellung Unlust bereitet.

Eine klassische Doppelschererei ist der Frühlingstransport von Winterreifen in den Keller bzw. der Herbsttransport von Winterreifen aus dem Keller. Der Weg vom Haustor in den Keller führt zuerst durch einen langen breiten Gang, durch die Tür in den Hof, ein paar Meter nach links, mit dem Lift einen Stock nach unten, durch einen langen schmalen Gang und ein paar Meter nach rechts zum Kellerabteil.

Lege ich diesen Weg zurück, um mir ein Fläschchen Veltliner zu holen, ist er lieblich wie ein Osterspaziergang. Lege ich ihn mit Winterreifen zurück, ist er beschwerlich wie eine Matterhorn-Besteigung. Denn: Tückischere Objekte als Winterreifen wurden noch nicht erfunden.

Tücke eins: Der Winterreifen ist auf hinterhältige Art schmutzig. Ein Winterreifen besteht nur zu einem Drittel aus Winterreifenmaterial, zu zwei Dritteln aber aus allen erdenklichen Drecksorten, die sich in Ritzen, Rillen und Felgen verbergen. Wer einen Winterreifen zur Hand nimmt, wird von diesem blitzartig von Kopf bis Fuß besudelt.

Tücke zwei: Der Winterreifen ist auf hinterfotzige Weise klobig. Er ist nicht offensiv klobig wie Arnie Schwarzenegger oder ein Amboss, sondern er verleitet durch seine rundliche Form zum Irrtum, man könne ihn gemütlich des Weges rollen. Kann man auch, aber nur, wenn man nichts gegen einen feschen Bandscheibenvorfall einzuwenden hat.

Tücke drei: Wenn man den Winterreifen nicht rollt, muss man ihn tragen, obwohl er in Wahrheit so untragbar ist wie KHG als Finanzminister. Trägt man ihn trotzdem, wird man schmutzig wie ein Wiedehopf und macht einen idiotischen Eindruck dazu. Wer links und rechts einen Reifen trägt, sieht aus wie ein Volldepp, der sich als Auto verkleiden will.

Je älter ich werde, desto mehr hasse ich Winterreifen. Während ich sie ächzend und schwitzend durch Gänge, Höfe und Türen wuchte, beschimpfe ich sie als Gummischweine, Kautschukkretins und Felgenflegel. Den Winterreifen ist das egal. Sie schweigen und freuen sich insgeheim drauf, dass ich sie im Herbst wieder nach oben schleppen muss. Typisch Gummischwein eben. (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 31.3./1.4.2012)