Linz/Wien - Auf atomarer Ebene verhält sich Materie eigenartig, Quanteneffekte dominieren das Geschehen. Es gibt Teilchen, die bei sehr tiefen Temperaturen gleichsam ihre Identität verlieren und regelrecht geselliges Verhalten an den Tag legen. Andere bleiben dagegen lieber Einzelgänger. Linzer Wissenschafter haben nun gezeigt, dass unter bestimmten Bedingungen auch die Einzelgänger in den Gleichschritt kommen können und gleich eine theoretische Erklärung dafür geliefert. Ihre Arbeit wurde nun in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht."

Bosonen sind Teilchen, die sich gerne zusammentun. Im Gegensatz dazu sind Fermionen quasi Einzelgänger", erklärt Helga Böhm von der Abteilung Vielteilchensysteme des Instituts für Theoretische Physik der Johannes Kepler Universität Linz. Alle Teilchen fallen in eine der beiden Kategorien. Fermionen zeigen das kompliziertere Verhalten - ihre Beschreibung erfordert daher einen mathematisch viel höheren Aufwand.

So grundverschieden die beiden Arten sind, bei kollektivem Verhalten reagieren sie erstaunlich gleich. Das Verhalten einer Ansammlung sehr vieler Quantenteilchen kann man mit der Begeisterung von Zuschauern in einem Stadion vergleichen. Diese kann sich als Jubelrufe Einzelner ausdrücken, aber auch als "La Ola" Welle der gesamten Menge. "Wenn ganz unterschiedliche Menschen plötzlich gemeinsam jubeln", so Böhm, "nennen das die Physiker eine kollektive Anregung". Bei Bosonen ist sie von ganz langen bis zu sehr kurzen Wellenlängen möglich. Bei Fermionen hingegen hielt man bisher nur sehr langwellige kollektive Schwingungen für stabil.

Unerwartete Ergebnisse

Die Berechnungen Martin Panholzers beweisen nun das Gegenteil: Während mittlere Wellenlängen tatsächlich stark gedämpft werden, zeigen sehr kurzwellige Fermionen klare kollektive Anregungen. Ein großer Erfolg: "Das könnte zum Verständnis von Hochtemperatur-Supraleitern beitragen", meint Panholzer.

Studien-Leiter Eckhard Krotscheck, Experte für Quantenfluide, und sein Team wurden auf einem internationalen Kongress auf die an der Neutronenquelle in Grenoble gemessenen Daten aufmerksam. "Die französischen Kollegen konnten das Experiment nicht interpretieren", sagt Panholzer, "weil keine gängige Theorie die Ergebnisse erklärt". Die Arbeit der Linzer beweist: Die Messung war nicht nur richtig, sondern zeigt auch einen noch nie beobachteten Effekt. "In Frankreich haben sie sich über unser Ergebnis genauso gefreut wie wir", so Panholzer.

Kollektive Anregungen spielen auch eine wichtige Rolle bei der Bildung von sogenannten Cooper-Paaren, die bei der Supraleitung für den verlustfreien Stromtransport verantwortlich sind. Daher erhoffen sich die Wissenschafter von den neuen Resultaten auch ein besseres Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung. (red, derstandard.at, 31.3.2012)