Die erste Studie zur wichtigsten politischen Kommunikationsplattform im Internet ist fertig: Twitter hebt in Österreich die Trennlinien zwischen "Politik-Profis" und der Zivilgesellschaft auf
Ansichtssache
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Wien - 75.000 User in Österreich nutzen Twitter. Die virtuelle Nachrichtenbörse ist damit im Vergleich zu Facebook, das hierzulande 2,8 Millionen Nutzer hat, ein kleines und elitäres Netzwerk - aber ein sehr einflussreiches. "Das glaub ich jetzt nicht! APA meldet eben, Niko Pelinka wird Wrabetz-Büroleiter. Warum nicht gleich Laura Rudas?" Mit diesem Tweet brachte ORF-Anchorman Armin Wolf im vergangenen Dezember eine riesige Diskussion ins Rollen, die sich rasch auf die Massenmedien ausweitete.
Wolf ist mit knapp 45.000 Followern in Österreich der Twitter-Superstar. Innerhalb von vier Wochen wurde er fast 5000-mal von den Nutzern des sozialen Netzwerks direkt erwähnt. der Standard ist mit seinen vielen twitternden Redakteuren das bestvernetzte Medienunternehmen.
374 Polit-Twitterer untersucht
Dies fand die "Twitterpolitik"-Studie heraus, deren Ergebnisse am Donnerstagabend im Designforum des Museumsquartiers präsentiert worden sind. Ein halbes Jahr lang haben die Studienautoren Axel Maireder, Julian Ausserhofer und Axel Kittenberger alle Tweets der 374 aktivsten Polit-Twitterer - eine bunte Melange aus Politikern, Journalisten, und Bürgern - in Österreich untersucht. Sie wollten herausfinden, über welche Themen diskutiert wird, welche Interaktionen entstehen und wie sich der Diskurs auf Twitter im Verhältnis zu klassischen Medien verhält.
Vom Geschlechterverhältnis ist die politische Twittersphäre mit knapp 80 Prozent stark von männlichen Akteuren dominiert. Von den 69 auf Twitter aktiven Politikern sind 31 von den Grünen und 17 von der SPÖ. Von der ÖVP sind nur sieben Politiker vertreten, von den Freiheitlichen gar nur zwei. Dabei kann prinzipiell jeder direkt mit Politikern und Journalisten in Kontakt treten und diskutieren. Aktivster Grün-Politiker ist der Burgenländer Michel Reimon, für das BZÖ hält Stefan Petzner allein auf weiter Flur die Fahne hoch.
Persönliche Interessen
Von den 145.000 untersuchten Tweets handelte fast ein Fünftel von innenpolitischen Themen. Die dominierenden Diskurse des jeweiligen Untersuchungszeitraums (vier nicht zusammenhängende Wochen innerhalb des letzten Halbjahres) bildeten vor allem die Korruptionsaffären, die Occupy-Bewegung, die Causa Niko Pelinka und der Protest rund um den WKR-Ball. Besonders komplexe, langatmige Themen wie beispielsweise das Sparpaket waren auf Twitter im Vergleich zu den Massenmedien stark unterrepräsentiert. "Bei Twitter spielen die persönlichen Interessen des Journalisten eine größere Rolle - weniger der Auftrag, die Allgemeinheit zu informieren", erklärt Axel Maireder die Themenwahl.
Twitter (englisch von Gezwitscher) kam im Mai 2006 auf den Markt. Mittlerweile sollen nach Angaben des Unternehmens rund 100 Millionen Menschen weltweit die Microblogging-Anwendung verwenden. Das Prinzip ist simpel: Jeder Nutzer kann Textnachrichten von 140 Zeichen, vergleichbar mit der Länge eines SMS, in Echtzeit an seine Follower versenden. Diese wiederum können die Meldungen, meist Verweise auf Medieninhalte oder persönliche Erlebnisse, entweder retweeten, also weiterschicken, oder kommentieren. So entstehen niederschwellige Diskurse unter den Nutzern, bei denen im Prinzip jeder mit jedem in Kontakt treten kann - ob Politiker, Fußballprofi oder Schüler. Tweets zu veröffentlichen ist wie einen Stein ins Wasser werfen: Manche versinken spurlos, andere ziehen weite Kreise.
Lady Gaga ist Rekordhalterin
Wer interessante Tweets sendet, wird sukzessive mehr Anhänger erhalten. Personen des öffentlichen Interesses haben es dabei leichter: Absolute Twitter-Rekordhalterin weltweit ist die Sängerin Lady Gaga mit knapp 22 Millionen Followern. Armin Wolf begann das Twittern einst als Marketingtool für die ZIB 2, mittlerweile ist das soziale Netzwerk längst zur wichtigsten Nachrichtenagentur für den Nachrichtensprecher geworden. "Ein Journalist ohne Twitter-Account kommt mir langsam vor wie jemand ohne Telefon", sagte Wolf bei der Studienpräsentation.
Parteienforscher Hubert Sickinger, seit drei Jahren auf Twitter angemeldet, nützt das Medium täglich etwa anderthalb Stunden, vor allem als Nachrichtenkanal. Verbrachte er früher die Straßenbahnfahrt mit der Lektüre von Zeitungen, verfolgt er heute mittels Smartphone die Links auf seiner Twitter-Timeline. Sickinger: " Dort lande ich dann meist wieder auf den Webseiten der Nachrichtenzeitungen." Auch Studienautor Julian Ausserhofer sieht Twitter weniger als Konkurrenz denn vielmehr als "Ergänzung zum klassischen Medienangebot". (Fabian Kretschmer, DER STANDARD, 30.3.2012)
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