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Michael Gspurning wird bereits an vorderster Front durch die Stadt getragen. Seattle ...

Foto: APA/dapd/Warren

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... ist genau "die Herausforderung, die ich nach fünf Jahren Griechenland brauche und gesucht habe".

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Wien - G'SHPOOR-ning! So steht es auf der klubeigenen Webseite geschrieben, so sollen ihn die Fans aussprechen. Im Dezember 2011 unterschrieb Michael Gspurning bei den Seattle Sounders in der nordamerikanischen Fußball-Profiliga Major League Soccer (MLS). Wenn der 30-jährige Steirer im heimischen CenturyLink Field zwischen den Torstangen steht, wird er von rund 40.000 Fans beobachtet und angepeitscht. Mit Erfolg: Die ersten zwei Heimspiele gegen den Toronto FC und Houston Dynamo konnten gewonnen werden, gegen Houston wurde Gspurning nach einer starken Leistung von den Fans zum "Man of the Match" gewählt. Der ehemalige ÖFB-Teamgoalie unterhielt sich per E-Mail-Korrespondenz mit Philip Bauer.

derStandard.at: Waren Ihnen die Seattle Sounders vor Ihrem Transfer ein Begriff?

Gspurning: Ich hatte Grundkenntnisse über die Stadt und den Verein, aber der erste Griff war natürlich jener zum Laptop, um genauere Informationen einzuholen. Als mein Abschied von Xanthi im Sommer 2011 konkret wurde, waren viele Vereine aus den unterschiedlichsten Ländern ein Thema. Seattle war von Beginn an dabei und gab mir auch die Möglichkeit, fünf Monate vor Ablauf meines Vertrags einen ersten Eindruck vom Verein und der Stadt zu gewinnen. Im Nachhinein war es von ihnen ein kluger Schachzug, da mir das ganze Umfeld und die Vereinsführung auf Anhieb sehr zugesagt haben und es mir schwer machten, bei anderen Anfragen absolut neutral zu urteilen. 

derStandard.at: Wie ist der Kontakt zu den Sounders entstanden, wie wurde der Verein auf Sie aufmerksam?

Gspurning: Coach Sigi Schmid hat als gebürtiger Deutscher natürlich gute Kontakte nach Mitteleuropa. Er wusste seit längerer Zeit, dass Torhüter Kasey Keller aufhören würde, und war in Kontakt mit meinem Berater Hubert Peterschelka. Es hat genau gepasst, wäre mein Vertrag im Winter nicht ausgelaufen, hätte der Transfer nicht stattfinden können.

derStandard.at: Würden Sie den Transfer in die USA als bisherigen Höhepunkt Ihrer Profikarriere bezeichnen?

Gspurning: Ja. Ich denke, die MLS ist eine der wenigen Ligen weltweit, die sich im Wachstum befinden. Neue, reine Soccerstadien und ein stetig steigender Zuschauerschnitt zeigen, dass hier noch lange nicht der Plafond erreicht ist. Nach dem dreimaligen Gewinn des US-Cups will jeder bei den Sounders und in der Stadt auf die Meisterschaft losgehen, auch ich. Das ist ein hochgestecktes Ziel, aber wir können es schaffen. Und deswegen bin ich hier. Das ist genau die Herausforderung, die ich nach fünf Jahren Griechenland brauche und gesucht habe. Wir müssen in der Meisterschaft jedes Team davon überzeugen, dass der Titel nur über die Sounders zu holen ist.

derStandard.at: Wie schnell haben Sie sich eingelebt, sowohl in der Stadt als auch im Verein, in den Sport? Wo sehen Sie Unterschiede zu Europa?

Gspurning: Die Leute hier machen es mir und meiner Familie wirklich einfach, sich wohlzufühlen. Wir sind zwar erst drei Monate hier, aber es fühlt sich an wie Jahre. Dieses Gefühl genießen wir richtig. Die Liga und der Klub sind perfekt organisiert, die Stadt hat eine speziell für Familien hohe Lebensqualität.

derStandard.at: In Österreich wurde dieser Transfer kaum thematisiert. Fühlen Sie sich unter Wert geschlagen?

Gspurning: Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie sehr es thematisiert wurde, aber ich sehe das sehr locker. Mein Lebensmittelpunkt ist halt seit mehr als fünf Jahren außerhalb der Heimat, und da ist es nur logisch, dass darüber mehr in den griechischen und amerikanischen Medien berichtet wird. Ich freue mich wie jeder andere auch über positive Berichte, wenn ich keine Erwähnung finde, fühle ich mich deshalb aber nicht gleich unter Wert geschlagen.

derStandard.at: Kasey Keller ist Ihr Vorgänger im Tor der Sounders, Sie treten die Nachfolge einer US-Legende an. Ein ganz besonderer Druck?

Gspurning: Als Tormann hast du immer einen gewissen Druck, das hängt nur bedingt vom Vorgänger ab. Kasey ist natürlich eine Legende, aber es ist doch erstaunlich, wie mich die Fans aufgenommen haben. Ich fühle mich wirklich schon als Teil der Sounders-Familie. Es hängen auch Kerberos- und Österreich-Flaggen im Stadion zur Begrüßung. Es ist schön zu sehen, dass die Leute im Team und die Fans mich als eigene Persönlichkeit akzeptieren und mir auch sofort die Chance geben, meinen Teil zum Erfolg beizutragen. Es war wohl auch clever vom Verein, einen Typen aus Österreich mit steirischem Akzent zu holen :-).

derStandard.at: Wie schnell hat sich entschieden, dass Sie die Nummer eins im Tor sind? Sehen Sie Ihre Position derzeit gefestigt?

Gspurning: Es war eigentlich klar, dass ich die Nummer eins bin. Das Team um Coach Schmid hat mich genau deswegen lange beobachten lassen und Infos eingeholt. Meine Torwartkollegen, Torwarttrainer Tom Dutra und ich sind ein wirklich tolles Team, das sich in jedem Training pusht, um aus jedem Einzelnen das Beste herauszuholen. Aber wie oben erwähnt ist meine Hauptaufgabe, die Zeit nach Kasey erfolgreich zu gestalten.

derStandard.at: Der Verein spielt erst seit 2009 in der MLS, hat aber einen Schnitt von rund 40.000 Zusehern. Wie ist diese Euphorie zu erklären?

Gspurning: Der Zuschauerschnitt der Liga, aber speziell der Sounders ist nicht nur großartig, sondern auch jedes Jahr am Wachsen. Dies zeigt, wie der Soccer seinen Platz in den USA einnimmt und auch ausbaut. In Seattle spürt man zudem, dass die Menschen zu 100 Prozent hinter den Sounders stehen und sich mit dem Verein auch identifizieren. Die US-Amerikaner haben mittlerweile auch richtig Ahnung vom Fußball.

derStandard.at: Die Bilder vom Meisterschaftsauftakt beim 3:1 gegen Toronto waren beeindruckend. Wie war Ihr erster persönlicher Eindruck von den Fans, von der Fankultur?

Gspurning: Die Atmosphäre ist schon grandios. 40.000, davon der Emerald City Supporters Fanclub direkt hinter dem Tor, dazu ein Stadion, das so konstruiert ist, dass der "Lärm" nicht entweicht. Einfach toll. Was mir natürlich im Gegensatz zu Griechenland auffällt, ist, dass hier Gewalt undenkbar ist und die ganze Familie die Spiele zelebriert. Und natürlich darf die Show vor und rund ums Spiel nicht fehlen. Für euch Journalisten ist es auch ein Paradies hier. 15 Minuten nach jedem Spiel habt ihr freien Eintritt in die Kabine für Interviews. Da heißt es, nach der Dusche schnell sein Handtuch umbinden.

derStandard.at: Welchen Stellenwert haben die Sounders in der Stadt im Vergleich zu den Seahawks (NFL) und den Mariners (MLB)? Wo steht die Bedeutung des Fußballs in den USA?

Gspurning: Wer denkt, dass da eine Rivalität besteht, liegt falsch. Die Seahawks und Sounders haben sogar gleiche Eigentümer, man unterstützt sich gegenseitig, wo es nur geht. Natürlich gehen einige Fans eher zu den Seahawks oder Mariners, dennoch sind sie auch für Spiele der Sounders zu begeistern. Weiters ist es ganz normal, dass Spieler in unserer Kabine ein Seahawks-Cap aufhaben. Ich kann es auch kaum erwarten, bis ich Spiele der Seahawks oder Mariners live sehen kann.

derStandard.at: Welche Spielphilosophie verfolgt Trainer Schmid?

Gspurnig: Bei unserer spielerischen Stärke muss unsere Spielweise offensiv ausgerichtet sein. Was aber nicht bedeutet, dass hinten nicht die Null stehen sollte. Am Trainer sieht man, dass er eine 100-prozentige Vorstellung hat, wie wir uns am Feld bewegen sollen.

derStandard.at: Man weiß aus den US-Profiligen NHL, NBA und NFL, dass Strategie ein großes Thema ist. Wie würden Sie das taktische Niveau der MLS einschätzen, auch im Vergleich zu Europa?

Gspurning: Das taktische Niveau ist wirklich hoch, es wird tatsächlich großer Wert darauf gelegt. Wir studieren zumindest jeden zweiten Tag Videoanalysen unserer Gegner und unseres eigenen Spiels. Da wird alles gnadenlos aufgedeckt. Wir sind wirklich gläserne Spieler geworden. Aber das bringt uns auch jeden Tag ein Stückchen weiter.

derStandard.at: In der Champions League der CONCACAF erlebten Sie in Mexiko einen bitteren Abend. Sechs Gegentore, die Verteidigung ließ Sie etwas im Stich. Was lief schief? War das auch ein Weckruf vor dem Start in die Meisterschaft?

Gspurning: Das war wirklich ein bitterer Abend, vor allem da wir dieses Resultat nicht verdient hatten. Wir gewannen 2:1 in Seattle, und trotz eines 0:2 nach zehn Minuten in Torreon waren wir zur Halbzeit wieder auf 1:2 dran. In den ersten Minuten nach der Halbzeit erwischte uns wieder die Schlafkrankheit, danach waren wir außerstande, noch einmal zurückzukommen. Es blieb uns nur die Möglichkeit, das Spiel zu vergessen und sich auf den Meisterschaftsstart drei Tage später zu konzentrieren. Die Reaktion im Match gegen Toronto war dann genau richtig. Wenn man so will, kann man es durchaus als Weckruf zum richtigen Zeitpunkt sehen.

derStandard.at: Die Position des Tormanns in der österreichischen Nationalmannschaft ist nicht überbesetzt. Vermissen Sie das ÖFB-Team?

Gspurning: Normalerweise kommt an dieser Stelle immer die Kampfansage. Es ist immer eine tolle Erfahrung, beim Nationalteam zu sein, auch wenn ich, wie einige andere, schwarze Stunden miterlebt habe. Was viele nicht wissen, ist, dass ich für die Sounders ein Angebot von Panathinaikos Athen ausgeschlagen habe. Von dort wäre eine Rückkehr ins Team einfacher gewesen. Mit meinem Gang in die MLS habe ich das Kapitel ÖFB aber vielleicht beendet. (Philip Bauer, derStandard.at, 27.3.2012)