Schönbrunner Straße 102, 1050 Wien, www.dieradwerkstatt.at

Foto: Hersteller

Und dann waren sie irgendwann tot, die Rennräder. Die Mountainbikes hatten ihnen den Garaus gemacht. Willi Kasyk kramt so allerlei aus seiner Geschichtenkiste: Vor mehr als 30 Jahren stand er in den Diensten des legendären Ferry Dusika. Er betreute das Trainingslager des italienischen Rennradproduzenten Boschetti, verkaufte flinke Flitzer aller Art, war dann unter anderem Einkaufsleiter bei Lamborghini, ehe er wieder zurücksattelte und vor kurzem mit seinem Geschäftspartner Martin Kunath in der Schönbrunner Straße die Radwerkstatt eröffnete. Hier sollen Fahrräder aller Marken und Baujahre wieder fit gemacht werden und auch Rennräder ihre Auferstehung feiern. Mountainbikes werden auch repariert.

Der-Nächste-bitte-Zimmer

Kasyks neues Reich entspricht gar nicht dem gängigen Bild vom Schuppen voller Drahtesel-Herden. Eher wirkt die Radwerkstatt wie eine saubere, geräumige Schachtel. Wären da nicht die fein gestapelten Reifentürme, die blauen Schachteln mit Ventilen aus aller Welt oder die auf einer Stange aufgefädelten Felgen, man wähnte sich in einer Apotheke, irgendwie. Neben den Regalen besteht die Einrichtung aus schlichten, dunklen Vitrinen aus Birkensperrholz-Schalungstafeln gefertigt. Darin könnten anstatt der Pedale, der Fahrradlichter und anderer Ersatzteile genauso gut funkelnde Preziosen feilgeboten werden.

Insgesamt misst die neue Location, für dessen Architektur Martin Kunath bzw. "Kunath_Trenkwalder Architekten" verantwortlich zeichnet, 140 Quadratmeter. Neben dem Hauptraum, der straßenseitig mit einer Art gelbem Gitter verpackt wurde, das ein wenig an japanische Schiebetüren erinnert, führt eine minimalistische Saloon-Tür in einen Raum für bereits servicierte Fahrräder zur Abholung. Nebenan warten Räder aller Art auf ihre Behandlung, und wiederum einen Raum weiter liegt sozusagen das "Der-Nächste-bitte-Zimmer". Von hier rollen die Patienten in die Werkstatt, und selbst dort geht es überraschend aufgeräumt zu.

Bis zur letzten Schraube zerlegt

Obwohl Kasky dank seiner guten Kontakte zu Italien auch gern das eine oder andere zweirädrige Prachtstück aufzutreiben in der Lage ist, haben sich er und sein Team im Gegensatz zu den meisten Mitbewerbern ausschließlich auf die Reparatur von Fahrrädern sowie den Verkauf von Ersatzteilen spezialisiert. Kein Helm, keine Radlerhose weit und breit. Lediglich eine Handvoll solcher Räder, die man sich am liebsten an die Decke hängen möchte, ist auch im Geschäft zu finden.

Kasyk und seine Crew - im Moment schrauben ein Mechaniker und eine Mechanikerin in seinen Diensten - versprechen, jedes Fahrrad bis auf die letzte Schraube zerlegen zu können und technische Umbauarbeiten ebenso zu meistern wie Wunschlackierungen und Pulverbeschichtungen. Kleinere Pannen wie Patschen oder gerissene Seilzüge werden ratzfatz, sprich sofort behoben, für größere Malheurs will man nicht länger als drei Tage brauchen. Außerdem wird der Arbeitsaufwand in Fünf-Minuten-Einheiten abgerechnet, erfährt man von Kasky, übrigens einer der letzten konzessionierten Fahrradmechaniker Österreichs. Seit 1975 gibt es dieses Gewerbe nicht mehr.

Verkehrsmittel und Lifestyleobjekt

"Dass das Fahrrad einen derartigen Boom wie in den letzten Jahren erlebt hat, war kaum zu erwarten. Gehofft habe ich es schon", erzählt Kasyk und sagt: "früher war das Rennrad ein Sportgerät für eine relativ kurze Saison, heute ist es auch Verkehrsmittel und Lifestyleobjekt." Kasyk und Kunath wissen auch um den Trend zum Zweitrad, eines zum Fahren, das andere zum Streicheln, sozusagen. Und dennoch ist Wien bei weitem nicht so weit, wie manche glauben, die schon einmal gedankenverloren den Radweg an der Ringstraße zu passieren versuchten. Auf vier Prozent Verkehrsmittelanteil bringen es Fahrräder, mit einer Verdoppelung in den folgenden beiden Jahren wird gerechnet.

Graz zählt zu diesem Thema 27 Prozent, in Holland seien es bis zu 56 Prozent, so Kasyk. "Darum wundert es uns umso mehr, dass sich trotz unserer Einladung bislang keiner der Wiener Verkehrsbeauftragten, etwa der Rad-Beauftragte, blickenließ. Nur der Bezirksvorsteher war da", erzählt Kasky 14 Tage nach der Eröffnung. Wer keinen Grund hat, die neue Location zu besuchen, dafür aber neugierig ist, kann sich übrigens mit einem Reißnagel behelfen. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 23.03.2012)