Wien - Offenbar kann es Pierre Boulez schon gar nicht mehr erwarten, bis er nächsten Sommer in Bayreuth wieder den Parsifal dirigiert. Kann aber auch sein, dass er zu Beginn der beiden Wiener philharmonischen Abonnementkonzerte einmal noch wenigstens das Vorspiel zu Richard Wagners Bühnenweihfestspiel ohne allfällige szenischen Ingerenzen von Christoph Schlingensief abfeiern wollte. Letzteren hat ihm Wolfgang Wagner ja erst kürzlich mit ungebrochener Besetzungslist als inszenatorischen Kompagnon verpasst.

Ob sich dieses Vorspiel auf dem Grünen Hügel trotz Schlingensief letztlich nicht doch besser anhört als im Goldenen Musikvereinssaal, bleibt allerdings die Frage. Denn Wagners Musik, schon gar die des Parsifal, bedarf eines akustischen Emulgators in Gestalt eines Orchestergrabens, am besten eines verdeckten wie in Bayreuth.

Prämusikalisches Rohmaterial

Auf dem Konzertpodium bleiben die unterschiedlichen Farben der Instrumente ungemischt - und die produzierten Klänge aus simplen physikalischen Gründen prämusikalisches Rohmaterial. Und dies auch bei aller interpretatorischer Sorgfalt, die vor allem zu Beginn in der perfekten Gleichschaltung von Streichern und Holzbläsern zu erstaunlichen Ergebnissen führte.

Anders zum Beispiel als in Gustav Mahlers Liedern eines fahrenden Gesellen. Da haben die beinah kammermusikalische Sorgfalt und die dynamische Diskretion, mit der Boulez und die Philharmoniker Thomas Quasthoff assistierten, ihre unmittelbare Wirkung nicht verfehlt. Freilich könnte man fragen, ob die jedem einzelnen Ton wie ein Gen immanente und diesen prägende Trauer in der Interpretation so deutlich werden muss wie durch Quasthoff. Doch seine von fühlbarer Anteilnahme gesteuerte Meisterschaft, mit der er jede Note zum Seelendrama weitete, lässt jeden diesbezüglichen Einwand verstummen.

Béla Bartók ohne virtuosen Schliff

Was bei den übrigen Positionen dieses Programms schon weniger der Fall war. Die nicht eben durch Transparenz bestechende Wiedergabe von Arnolds Schönbergs Zweiter Kammersymphonie (op. 38) nahm der Wahl dieses stilistisch zwischen Fort- und Rückschritt schwankenden Werkes schon von Haus aus den triftigen Grund. Und Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta wurde zumindest am Samstagnachmittag noch viel an Spannung und am virtuosen Schliff des Details vorenthalten.

"Pompfünebererhaft", sagte jemand beim Hinausgehen. Das ist das Wort. Man kann die Moderne eben nicht nur lebendig halten, sondern mitunter auch bestatten. (DER STANDARD, Printausgabe vom 16.6.2003)