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Die Installation "Globos 2003" des brasilianischen Künstlers Rivane Neuenschwander. Von den in Venedig vertretenen Ländern des Globus wurde der Länderpavillon von Luxemburg präsmiert.

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Erhielten den Goldenen Löwen für das beste Werk der 50. Biennale von Venedig: die Schweizer Peter Fischli (li.) und David Weiss.

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Die Biennale-Jury hat Luxemburg (Installationen von Su-Mei Tse) mit dem Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag ausgezeichnet. Weitere Preisträger sind Peter Fischli/David Weiss, Oliver Payne/Nick Relph sowie Carol Rama und Michelangelo Pistoletto.


Vor Ort war dann endgültig jedem klar, was Biennale-Leiter Francesco Bonami mit seinem Motto "Diktatur des Betrachters" anzudeuten versucht hat: Venedig in Zeiten der Biennale ist endgültig unüberschaubar geworden.

Nicht nur, dass in sämtlichen Palazzi der Stadt zusätzliche Ausstellungen um Aufmerksamkeit ringen. Nicht nur, dass Abendtermine ob des Überangebots an parallelen Empfängen wohl überlegt sein müssen. Nicht nur, dass die Logistik Venedigs heillos überfordert ist angesichts allzu dichter Programme. Selbst in der Beschränkung auf das offizielle Biennale-Programm besteht kaum mehr Aussicht auf Überblick.

Und also liegt es am Betrachter, mehr oder weniger wahllos Entscheidungen zu treffen, was anzusehen sich eventuell lohnen könnte - und was nicht. Jede Videoinstallation bedeutet Stress: Die 20 Minuten für den ganzen Film fehlen dem nächsten. Und: Die Aufnahmefähigkeit für idealerweise komplex angelegtes Kunstmaterial ist nun einmal begrenzt. Diktatur heißt dann: zwangsläufig beliebige Selektion.

Und dann redet man sich ein, zumindest sämtliche Länderpavillons begutachtet zu haben - und dann gewinnt just Luxemburg den Goldenen Löwen für die beste Einzelpräsentation. Und dann geht eben ein Raunen durch Haig's Bar nahe San Marco, und Stress kommt auf, und man muss morgen doch noch gesehen haben, was man gestern fahrlässig in die Kategorie "Das spar' ich mir" gereiht hat.

"Was haben die eigentlich ausgestellt?", fragt man üblich vertrauenswürdige Kollegen und erfährt dann Unglaubliches. Mitten im heißesten Juni seit Menschengedenken gewinnt eine Präsentation mit dem Titel Air Conditioned! Das ist kein Scherz, sondern u. a. ein Video mit dem Untertitel Echo. Die Künstlerin Su-Mei Tse sitzt da vor einer Schweizer Bergwand auf saftig grünen Almwiesen, bearbeitet ein Cello, und "The Sound of (Heidis) Music" kommt verzögert zurück - ergibt einen Goldenen Löwen.

Einen weiteren hat das Duo Fischli/Weiss eingefahren. Die beiden kennt man jetzt annähernd 20 Jahre lang für ihr Kettenreaktionsvideo Der Lauf der Dinge. Diesmal haben sie 405 Dias über ein kleines Bett projiziert, um derart zu illustrieren, was man sich im Lauf einer Nacht, schwer träumend, so alles fragen kann. Zum Beispiel: "Was denkt mein Hund?" und "Warum weiß ich immer alles besser?". Der Betrachter, offiziell ermutigt, diktatorisch vorzugehen, denkt an einen großen Wiener Museumsdirektor, schmunzelt und geht weiter.

Keine Entdeckungen

Er kommt an Bonamis Sub-Schau Clandestines ("Blinde Passagiere") vorbei, erfährt, dass es sich hierbei um gemeinhin unbekannte Künstler handelt und dass Bonami deren Status für ungerecht hält. Entdeckung war dennoch keine darunter.

Aber um Althergebrachtes wie Qualität darf es ja diesmal gar nicht gehen. Die beiden Sondereinheiten im Arsenale - die Utopia Station von Molly Nesbit, Hans Ulrich Obrist und Rikrit Tirivanija; Hou Hanrus Zone der Dringlichkeit - zeigen warum: Teilhabe ist angesagt, kollektives Nachdenken und kreativ Sein. Was dabei herauskommt, ist weniger wichtig. Hauptsache, es dient dem guten Zweck, dem Eingedenken einer besseren Zukunft und der Neuordnung der Großstädte und der gerechten Verteilung der Güter und der Nächstenliebe ohne spezielle Konfession. Man muss sich das jetzt so vorstellen, als hätte in Woodstock jeder eine Laubsäge und einen Internetzugang dabei gehabt. Exakte Künstlerlisten gibt es keine mehr: Weil wenn schon der Betrachter diktatorisch agiert, dann kann umgekehrt ein jeder sich hinsetzen und die beliebte Behauptung "Ich bin ein Künstler" vom Stapel lassen - samt Belegbastelei.

Im Museo Correr geht es dafür ganz gegenteilig zur Sache, hier ist mit dem Kapitalismus noch alles in der rechten Ordnung: Malerei von Rauschenberg zu Murakami hängt an den Wänden, als hätte ein Experte von Sotheby's oder Christie's seine Lieblingsauktion zusammengestellt.

Und damit jetzt doch noch ein Künstler lobend aus der Masse hervorgehoben wird: Jimmie Durham notiert zu einem goldgestrichenen Vierkantholz: "A piece of wood sculpted by a machine, painted by a human". Und zu einem ebenfalls vergoldeten, offensichtlich angenagten Ast: "A piece of wood sculpted by a Dog, painted by a human." Der Diktator hat gesprochen. (DER STANDARD, Printausgabe vom 16.6.2003)