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Gratulationen und Blumen für Joachim Gauck.

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Joachim Gauck, neuer Präsident.

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Berlin - Der frühere DDR-Bürgerrechtler und evangelische Pastor Joachim Gauck ist das neue Staatsoberhaupt Deutschlands. Bei der Wahl im Berliner Reichstag erhielt der 72-jährige ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde am Sonntag erwartungsgemäß bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit.

Auf Gauck entfielen nach Angaben von Bundestagspräsident Norbert Lammert 991 Stimmen. Das entspricht einer Zustimmung von gut 80 Prozent. Die von der Linkspartei nominierte deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld erhielt 126 Stimmen. Damit bekam die als Nazi-Jägerin bekanntgewordene 73-Jährige mindestens drei Stimmen von Vertretern anderer Parteien. Der Kandidat der rechtsextremen NPD, Olaf Rose, bekam drei Stimmen. 108 Delegierte enthielten sich. 1.228 gültige Stimmen wurden registriert.

Gauck erinnert an seine erste freie Wahl vor 22 Jahren

Unmittelbar nach seiner Wahl hat Gauck an seine erste freie Wahl zur DDR-Volkskammer erinnert. Er wies darauf hin, dass er persönlich erst im Alter von 50 Jahren vor genau 22 Jahren zum ersten Mal habe wählen dürfen. "In jenem Moment war da in mir neben der Freude ein sicheres Wissen: Ich werde niemals eine Wahl versäumen", sagte Gauck in der Bundesversammlung.

Den Zusammenfall des Jahrestags der ersten freien Volkskammerwahl in der früheren DDR mit der Wahl des Bundespräsidenten kommentierte Gauck mit "Was für ein schöner Sonntag".

Gauck will sich gegen Politikverdrossenheit einsetzen. Er wolle an der Annäherung zwischen den Regierenden und der Bevölkerung "nach meinen Möglichkeiten unbedingt mitwirken".

"Unendliche Dankbarkeit"

In einer kurzen Rede zum Ende der Bundesversammlung hat Gauck seine Wahl mit "unendlicher Dankbarkeit" angenommen. Er sprach vom "Glück der Mitgestaltung" nach den "politischen Wüsten des 20. Jahrhunderts" in Deutschland.

Der frühere Stasiakten-Beauftragte betonte, dass für ihn die Themen Freiheit und Verantwortung zusammengehörten. Gauck sagte weiter, er könne "ganz sicher nicht alle Erwartungen erfüllen", er verspreche aber, sich mit allen Kräften einzusetzen. Er werde sich als Bundespräsident auch auf neue "Themen, Probleme und Personen einlassen". Dazu zählte er ausdrücklich auch die "Auseinandersetzung mit Europa". Einer der Kritikpunkte an Gauck hatte in den vergangenen Wochen gelautet, er habe bisher zu wenig zur aktuellen Krise in Europa beizutragen gehabt.

Merkel erwartet sich Denkanstöße

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erhofft sich voem neuen Bundespräsidenten Denkanstöße im politischen Alltag. Sie freue sich darauf, von Gauck "Anregungen zu bekommen", sagte Merkel am Sonntag. Konflikte mit dem neuen Präsidenten erwarte sie nicht, auch wenn sich in manchen Fragen sicherlich Meinungsunterschiede zeigen würden. Diese wolle sie im Dialog mit Gauck besprechen: "Es geht hier nicht um Erziehungsmethoden, sondern um Meinungsäußerungen."

Merkel wertete es als Signal, dass nun nach der Bundeskanzlerin auch der Bundespräsident aus der ehemaligen DDR stamme. Dies zeige: "Die Ostdeutschen sind angekommen, trotzdem bleibt bei der deutschen Einheit noch einiges zu tun."

Wulff-Nachfolge nach Niederlage 2010

Gauck war von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen unterstützt worden. Der parteilose Theologe soll an diesem Freitag in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat vereidigt werden. Er ist im höchsten deutschen Staatsamt Nachfolger von Christian Wulff, gegen den er bei der letzten Präsidentenwahl 2010 noch unterlegen war.

Wulff war am 17. Februar nach nur 20 Monaten im Amt wegen einer Kette von Vorwürfen aus seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident zurückgetreten. Die Justiz ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der Vorteilsannahme.

Gauck wird elfter Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Der frühere Bürgerrechtler hatte die Wahl von der Besuchertribüne im Reichstag an der Seite seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt verfolgt. (APA, derStandard.at, 18.3.2012)