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Verstehen sich gut: Häupl (l.), Faymann.

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Der knallrote Apfel als Symbol für die Wiener Machtverhältnisse aus sozialdemokratischer Sicht.

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Fragen nach einem Nachfolger für den Bürgermeister hörte man in Rust gar nicht gerne. Der 62-jährige Häupl dürfte noch länger weitermachen wollen.

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"Wien für alle. Alle für Wien." - Motto der zweitägigen Sitzungen am Neusiedler See.

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Gemeinderat Lindenmayr kämpft nicht nur fürs Rotwählen, sondern auch gegen das Blauwählen: "FPÖ-Wähler sind nicht alle Nazis, das sind sehr oft Unzufriedene."

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Wehsely: "Nicht gleich bei der Polizei anrufen."

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Peschek: Wahlen in Wien sind für die SPÖ nicht mehr wie ein Abo im Fußballstadion.

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Nurten Yilmaz zum Zusammenleben in Wien: "Ob Kebab oder Pferdeleberkäse - in der Straßenbahn stört beides."

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Rust - Ein Apfel erzählt manchmal mehr als tausend Worte. Wiens Bürgermeister Michael Häupl betonte in seiner Rede zwar, dass er Konflikte mit den Grünen immer so löse, "dass der andere nicht das Gesicht verliert und es nicht demütigend wirkt". Doch der rote Apfel mit winzigem grünem Fleck, der die Leistungsbilanz der Wiener Stadtregierung illustrierte, vermittelte was anderes: das Mitregieren der Grünen in der Hauptstadt als Schönheitsfehler, den man bei der nächsten Wahl korrigieren will.

Man ist schließlich bei der SPÖ-Klausur in Rust im Burgenland. Wie jedes Jahr sammeln sich hier die roten Wiener Gemeinderäte zum zweitägigen Arbeitstreffen. Motto diesmal: "Wien für alle. Alle für Wien." Von der Provinz aus soll die Metropole genesen. Neben aller Arbeit ist die Zusammenkunft am Neusiedler See auch immer eine Machtdemonstration der stolzen Wiener SPÖ. Wann sonst tummeln sich im Seehotel Rust bei der Mittagspause zwischen Tiramisu und Espresso der Gewerkschafts- ebenso wie der Rapid-Präsident? Wo sonst geben sich Bundeskanzler und Wiener Bürgermeister die Klinke in die Hand?

Häupl für Potpourri wie auf der Speisekarte

Auch inhaltlich trennte Häupl und Kanzler Werner Faymann am Donnerstag kein Blatt. Während Faymann, wie zuletzt öfter, vor allem über Europa sprach ("Brauchen niemanden, der die Europäische Union zerreißt"), widmete sich Häupl den harten Brocken der Stadtpolitik: Nulldefizit bis 2016, Bau von 18 neuen Ganztagsschulen, "alternative Finanzierungsformen" für Investitionen, Durchziehen der Spitalsreform.

Nur zum Schluss ging Häupl kurz auf die "Wiener Charta" ein und appellierte für mehr Toleranz: "Ein Blick auf die Speisekarte genügt, um diese Vielfalt spürbar zu machen. Wir haben Böhmen, Ungarn, Italien - das berühmte Wiener Schnitzel ist ja bekanntlich gar keines."

Aber wie genau will die SPÖ den Wienern ein neuerdings harmonisches Miteinander verordnen? Kann die Politik solches überhaupt leisten? derStandard.at fragte bei Wiener Gemeinderäten nach.

Kebab oder Leberkäse - beides stört

Zunächst einmal: Es gehe ums Zusammenleben aller Wiener, nicht nur um Integration. SPÖ-Integrationssprecherin Nurten Yilmaz fordert generell mehr Rücksicht: "Ob Kebab oder Pferdeleberkäse - in der Straßenbahn stört beides." Auch Gemeinderätin Tanja Wehsely, jüngere Schwester der Stadträtin, will die "Wiener Charta" nicht auf Migranten beschränkt sehen: "Wenn mir der türkische Nachbar auf die Nerven geht, weil er laut fernsieht, dann kann ich zum Beispiel selber raufgehen und brauch' nicht gleich bei der Polizei anrufen."

Zur Erinnerung: Am Dienstag präsentierten Rot und Grün ihr Vorhaben, eine "Wiener Charta" fürs gute Zusammenleben festzuschreiben. Möglichst viele Bürger sollen sich daran beteiligen, am Ende soll ein Kodex des guten Miteinanders stehen. Zunächst werden Themen auf einer Website gesammelt. Die werden dann auf Veranstaltungen diskutiert. Moderatoren stellt die Stadt zur Verfügung. Unternehmen und NGOs sollen dabei helfen, die Wiener zu animieren.

Lindenmayr: "Beschwichtigungen waren früher"

Gemeinderat Siegi Lindenmayr erklärt die Motivation der SPÖ so: "Im Wahlkampf lässt sich die Integration nicht wirklich vermarkten, aber wir können uns nicht drum herumschwindeln." Er gibt zu: "In frühen Jahren gab es Beschwichtigungen." Wobei: "Objektiv braucht man in Wien keine Angst haben, aber die subjektiven Ängste muss man ernst nehmen." Die FPÖ schüre diese zusätzlich.

Wobei die FPÖ laut Lindenmayr nicht nur gegen Migranten wütet: "Die Blauen hetzen ja in allen Bereichen auf", Inländer versus Ausländer genauso wie Auto- gegen Radfahrer. Der ehemalige Wiener SPÖ-Klubchef will die 26 Prozent Blauwähler bei der Wien-Wahl 2010 für die Sozialdemokratie aber nicht verloren geben: "Die Wähler der FPÖ sind nicht alle Nazis, das sind sehr oft Unzufriedene." Das heißt für Lindenmayr: "Wir müssen uns drum kümmern, dass sie nicht mehr unzufrieden sind." Aber wie konnte es zu einem so starken blauen Wahlergebnis überhaupt kommen? "Der Wiener lebt in Wien, und er lebt nicht im Vergleich. Ich glaube, die Leute wissen vieles nicht mehr so zu schätzen."

Rote Selbstvergewisserung

Auch Jungmandatar Christoph Peschek sagt: "Es ist nicht mehr so wie im Fußballstadion, wo du ein Abo hast. Gerade bei jungen Wählern beginnst du vor jeder Wahl wieder bei null."

Über eines besteht in den roten Reihen Einigkeit: Wenn die Wiener im Alltag besser miteinander auskommen, würde das wohl auch der SPÖ gut bekommen. Das fertige Papier, eben die "Wiener Charta", wird im November 2012 präsentiert werden. Dass die Grünen den etwaigen integrationspolitischen Erfolg dann für sich verbuchen könnten, glaubt hier niemand.

Yilmaz: Plädoyer für die zivilisierte Warteschlange

Wobei es um weit mehr geht als um die Probleme der "alten Wiener" mit den Zuwanderern und umgekehrt. "Mir geht's auch um die Vereinsamung der Menschen", sagt Yilmaz. Sie selber weiß übrigens schon, welche Themen sie für die Charta-Gespräche vorschlagen wird. Neben dem nervenden Essen in Bim und U-Bahn stört sie auch "die Kultur in dieser Stadt, sich nicht anstellen zu können".

Über potenzielle Nachfolger für den mittlerweile 62-jährigen Bürgermeister Häupl will in der SPÖ hingegen niemand offen sprechen. Weil er seine Sache so gut mache, begründet das Yilmaz: "Nach seiner heutigen Rede fällt mir überhaupt niemand ein, der ihn beerben könnte." (Lukas Kapeller, derStandard.at, 16.3.2012)