"Die Superkombination ist, so leid es mir tut, nicht interessant."

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2010 verabschiedete sich Marco Büchel im Anzug von der Weltcupbühne.

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Schladming - Auch der Liechtensteiner Marco Büchel ist beim Weltcup-Finale in Schladming vor Ort. Nicht als Gast, sondern als Ski-Experte für das ZDF. Nicht nur darüber unterhielt er sich mit derStandard.at.

derStandard.at: Als Rennfahrer war die Zielsetzung klar. Welche Ziele verfolgen Sie als Journalist?

Marco Büchel: Das habe ich mich selbst oft gefragt. Ich möchte die Faszination des Sports wiedergeben. Und auch die emotionale Komponente transportieren. Ich kann mit der Stimmlage spielen, etwas hochleben lassen oder es ganz ruhig erklären. Als Experte möchte ich die Hintergründe ansprechen. Wenn das ZDF am Ende zufrieden ist, bin ich es auch.

derStandard.at: Ist das ZDF in puncto Skisport eine besondere Herausforderung?

Büchel: In Österreich oder der Schweiz könnte ich von einer "aggressiven Abstimmung" sprechen, in Deutschland muss ich das erklären. Wir gehen davon aus, dass die 90-jährige Oma aus Hamburg vor dem Fernseher sitzt, die soll auch etwas von der Übertragung haben, die will es ja auch verstehen. Also muss ich es plausibel erklären.

derStandard.at: Ihnen missfiel einst, dass man Sie trotz guter Leistung medial kaum beachtete. Wie schlimm war es wirklich?

Büchel: Ich wurde in Kranjska Gora Dritter und musste kein einziges TV-Interview geben. Ich wurde ganz einfach nicht gefragt. Zu Beginn meiner Karriere war das schon hart, in der Schweiz war ich der Ausländer. Heute versuche ich beim ZDF, Sportlern mit Potenzial Präsenz zu geben, wenngleich die Themen natürlich vor allem vom Sender vorgegeben werden.

derStandard.at: Im Laufe Ihrer Karriere entwickelten Sie sich zu einer Art Publikumsliebling. Wann trat für Sie die Wende ein?

Büchel: Irgendwann wurde es zum Vorteil, für Liechtenstein zu fahren. Wenn ich gewann, waren die Österreicher froh, dass kein Schweizer siegte, und umgekehrt. Ich war der Neutrale in der Mitte. Außerdem war ich bei Interviews immer gut gelaunt, da ich nur an guten Tagen gefragt war. Ich wurde als 17. nie vor eine Kamera gezerrt. Ich musste mich nie wie ein Österreicher oder Schweizer für ein Versagen rechtfertigen. Man hat mich nie grantig gesehen.

derStandard.at: Wie grantig waren Sie denn?

Büchel: Sogar meine Frau wusste, dass man nach einem schlechten Rennen besser eine Stunde nicht mit mir reden sollte. Wenn der Journalist aus Liechtenstein im Ziel stand und sagte "Schlecht, hä?", musste ich mich schon manchmal zurückhalten, um ihn nicht zu hauen (lacht). Ich war Diplomat, aber es war mühsam.

derStandard.at: Gibt es heute einen Fahrer im Weltcup, der für Ihren Geschmack zu viel oder zu wenig Aufmerksamkeit bekommt? Alexis Pinturault zum Beispiel?

Büchel: Zu viel Aufmerksamkeit bekommt keiner. In der Tat sieht man Pinturault kaum in den Medien, auch in der Schweiz nicht. In Deutschland fehlt uns einfach die Zeit, ihn genau zu porträtieren. Aksel Lund Svindal meinte erst heute zu mir, dass der Junge mit seinen 20 Jahren über 700 Punkte gesammelt hätte. Da wächst ein großer Star heran.

derStandard.at: Gibt es weitere Beispiele für unter Wert geschlagene Fahrer?

Büchel: Didier Defago hat Kitzbühel, Wengen und sogar die Olympia-Abfahrt gewonnen. Er wird in der Deutschschweiz stiefmütterlich behandelt, er ist in den Medien quasi inexistent. Wenn er gewinnt, ist es gut, wenn nicht, wird er komplett ignoriert.

derStandard.at: Sie kennen viele Skifahrer noch aus Ihrer aktiven Zeit. Müssen Sie journalistische Distanz halten?

Büchel: Ich habe mich mit Hans Knauß darüber unterhalten. Er will mit den jungen Fahrern gar nicht zu eng in Kontakt treten, um die Distanz zu wahren. Ich scheue mich nicht, auch kritische Worte zu finden, bleibe aber immer fachlich. Mit Kritik muss ein Fahrer umgehen können.

derStandard.at: Politik war Ihnen immer zuwider. Mit Ihrer Rolle in der "FIS-Arbeitsgruppe für Material und Sicherheit" stecken sie aber mittendrin, oder?

Büchel: Ich habe mich in dieser Diskussion gegen manche Fahrer gestellt, das war oft nicht einfach. Aber ich vertrete meinen Standpunkt mit gutem Gewissen. Man kann in der Sache hart diskutieren, aber trotzdem anschließend auf ein Bier gehen. Das schließt sich nicht aus.

derStandard.at: Mit Ted Ligety haben sich die Fronten aber doch verhärtet.

Büchel: Ja, ja (lacht). Er ist gegen die Materialreform. Ich akzeptiere seine Ansicht und er meine hoffentlich auch. Wir wollen im Endeffekt beide dasselbe: mehr Sicherheit. Wir haben nur komplett unterschiedliche Ansichten, wie man dieses Ziel erreicht.

derStandard.at: Ebenfalls Politik: Eric Guay stellte angesichts der schlechten Bedingungen vor dem Rennen die Frage, ob man in Schladming alles unternehmen würde, um die Abfahrt durchzuführen. Sind solche Ängste berechtigt?

Büchel: Klaus Kröll hatte 48 Punkte Vorsprung und auf seinem Helm steht "Planai". Eine interessante Frage, aber doch eine freche Unterstellung. Die FIS ist ein internationaler Verband und alle wollen einen fairen Wettkampf. Es geht um Verträge, TV-Übertragungen und Kosten ohne Ende. Jeder Pistenarbeiter hängt sich voll rein, um eine Abfahrt durchzuführen. Und selbst Kröll wünschte sich keine Absage, davon bin ich überzeugt.

derStandard.at: Sie sprechen sich für eine Abschaffung von Super-G und Superkombination aus. Würde sich der Sport damit im Hinblick auf die Olympischen Spiele nicht selber schaden?

Büchel: Das IOC hat sehr viel Macht und die FIS macht da, überspitzt formuliert, den Bückling. Aber Olympische Spiele finden nur alle vier Jahre statt und sollten nicht über die Gestaltung des Weltcups bestimmen. Der Skirennsport ist ein attraktives Produkt, das ist aber oft nicht angekommen, auch aufgrund der Inflation der Rennen. Es ist einfach zu viel.

derStandard.at: Haben Sie als ehemaliger Super-G-Sieger gar kein Faible für die Disziplin?

Büchel: Ich habe mich schon damals für eine Abschaffung ausgesprochen. Super-G ist für die Athleten eine der geilsten Disziplinen, toll zu fahren. Aber: Der Zuschauer sieht den Unterschied zwischen Super-G und Abfahrt, zwischen Super-G und Riesentorlauf nicht.

derStandard.at: Wäre eine Abschaffung der Kombination nicht eine endgültige Absage an die ohnehin schon aussterbenden Allrounder?

Büchel: Um den Gesamtweltcup zu gewinnen, muss man nach wie vor Allrounder sein. Die Superkombination ist, so leid es mir tut, nicht interessant. Wenn fünf Fahrer gewinnen können und der Rest als Beilage mitfährt, kann einfach keine Spannung aufkommen. Gähn.

derStandard.at: Wie lautet also Ihr Vorschlag für eine Weltcupreform?

Büchel: Ich bin für eine Rückkehr zu den drei Basis-Disziplinen Abfahrt, Riesentorlauf und Slalom. Und dort soll man die Klassiker hochleben lassen. Einen Teamwettkampf bei Olympischen Spielen kann ich mir jederzeit vorstellen. Als Liechtensteiner war ich zu meiner aktiven Zeit kein Fan dieses Bewerbs. Für den Zuseher ist es aber eine lustige Sache.

derStandard.at: Wenn wir beim Thema Show sind: Ihre Meinung zu Skicross?

Büchel: Spektakulär. Grandios. Geil. Gehört unbedingt zu den Olympischen Spielen. Aber die bei uns schon längst geführte Sicherheitsdiskussion ist dort erst mit dem letzten Wochenende angekommen. Jetzt muss man sich Gedanken machen, denn dieser Sport ist sehr gefährlich.

derStandard.at: Wie ist das Niveau der Fahrer verglichen zum alpinen Weltcup?

Büchel: Vielleicht lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, aber das Niveau ist nicht zu vergleichen. Intensität und Qualität sind bei den Alpinen sowohl im Training als auch im Rennen um etliche Klassen höher.

derStandard.at: Der Sturz von Daniel Albrecht in Kitzbühel hat Sie laut eigener Aussage kalt gelassen. Wie ist das zu verstehen?

Büchel: Der Skirennläufer ist ein Genie im Zusammenspiel von Bewusstsein und Unterbewusstsein. Das Unterbewusstsein sagt dir, es ist gefährlich, du hast Angst, du solltest das nicht machen. Aber der Skirennläufer kann diese Gefühle unterdrücken. Wenn also ein Kollege stürzt, fragt der Kopf: wo und warum? Alles andere ist in dem Moment unwichtig, mehr darf man nicht zulassen. Die emotionale Aufarbeitung findet zur eigenen Sicherheit später statt.

derStandard.at: Wie trainiert man diese Fähigkeit?

Büchel: Durch das Überstehen vieler heikler Momente. In vielen Wettkämpfen bekommt man Angstzustände, man fühlt sich nicht wohl. Man steht am Start, es ist steil, dunkel und eisig. Das ist jedes Mal eine Erfahrung, man lernt, damit umzugehen. Wäre Kitzbühel das erste Saisonrennen, hätten viele Fahrer ein seriöses Problem. Im Jänner ist man zum Glück schon in Form.

derStandard.at: Liechtenstein hat große Tradition. Wo bleibt der männliche Nachwuchs?

Büchel: Liechtenstein hat 36.000 Einwohner, ein Drittel sind Ausländer, bleiben 24.000 Personen. Von denen haben 2.000 Männer das richtige Alter. Zehn davon haben den Weg eingeschlagen, fünf Prozent schaffen es vielleicht. Bleibt also eine halbe Person übrig. Dass es Damen und Herren gleichzeitig gut geht, ist schwierig. Jetzt haben wir mal Tina Weirather. (Philip Bauer, derStandard.at, 16.3.2012)