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Michael Douglas zeigt in seiner Paraderolle als Banker Gordon Gekko, wie das Leben an der Wall Street aussehen kann.

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Alexandra Michel: "Wenn man sich länger in der Bankenkultur befindet, verschwinden die Grenzen."

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STANDARD: Für Ihre aktuelle Studie haben Sie zwei Investmentbanker neun Jahre lang begleitet und aufgezeigt, wie sehr dieser Job den Körper auslaugt. Was waren dabei die einschneidensten Erlebnisse?

Michel: Es gab zwei Einsichten: Im vierten Jahr fangen die Leute an, krank zu werden. Wenn sie ihre Arbeit weiterhin gut leisten wollen, beginnen sie, sich zu pushen. Es wird versucht, den Körper zu unterdrücken. Im sechsten Jahr geht das oft nicht mehr. Die Wochenarbeitszeit von bis zu 100 Stunden fordert ihren Tribut, Krankheiten nehmen überhand.

STANDARD: Wie gehen die Banker mit den körperlichen Folgen um?

Michel: Viele hören mit dem Job auf. Andere wollen unbedingt weitermachen. Hier gibt es zwei Gruppen: jene, die lernen mit dem Stress umzugehen, sich Auszeiten nehmen und letztlich viel kreativer sind. Der Rest bleibt so lange im Banking, wie es geht, und versucht, die Folgen - also Abhängigkeiten, Schlaflosigkeit, Allergien etc. - in den Griff zu bekommen.

STANDARD: Warum ist es für junge Menschen dennoch erstrebenswert, Investmentbanker zu werden? Ist es nur das viele Geld?

Michel: Wenn man für eine Investmentbank arbeitet, hat man danach gute Karrierechancen. Viele nutzen den Job als Sprungbrett. Andere haben ein Geldziel und wollen den Job nur machen, bis sie drei, vier, fünf Millionen gemacht haben. Dann wollen sie aussteigen und ihren Traum verwirklichen. Das ist aber kaum der Fall, weil in der Zwischenzeit ein Lebensstil aufgebaut wird, den man nicht mehr aufgeben möchte. Damit schafft man sich goldene Handschellen. Der Job ist ja auch interessant. Als junger Analyst kann man Einblick in die Top-Firmen weltweit bekommen. Der Chef redet mit ihnen, obwohl sie erst 22 Jahre alt sind, weil sie die Analyse für den nächsten Deal schreiben. Das motiviert.

STANDARD: Wie lange dauert es, bis Einsteiger den 80 bis 100 Stunden Rhythmus übernehmen?

Michel: Innerhalb von sechs Monaten findet diese Anpassung statt. Man eignet sich nicht nur das Firmenwissen an, man wird als Mensch total verändert. Diese Firmen werden zu "social cocoons".

STANDARD: Firmen versuchen ja mit Kantinenessen oder integriertem Fitnessstudio Möglichkeiten für eine Pause oder Auszeit zu bieten.

Michel: Die Firmen wissen, dass es nicht gut ist, wenn die Leute nonstop arbeiten. Also versucht man, es ihnen zu erleichtern. Alles, was die Firmen eingeführt haben, um die Arbeit zu erleichtern und Banker effizienter zu machen, scheint aber dazu zu führen, dass die Banker noch länger im Büro bleiben.

STANDARD: Das gut Gemeinte geht also in die falsche Richtung.

Michel: Ganz genau! Bleibt man länger als bis 18 Uhr, wird ein Abendessen bereitgestellt. Man bekommt ein Fahrservice, wenn es wieder mal spät geworden ist. Das, was für die Ausnahme gedacht war, wird zur Regelmäßigkeit. Ich kenne einen Fall, bei dem der Chef einer Beratungsgesellschaft einen freien Abend pro Woche einführen wollte. Das war nicht möglich, weil die Mitarbeiter Angst hatten, dass die Kunden das negativ aufnehmen könnten.

STANDARD: Seit der Finanzkrise hat man nicht mehr nur den perfekt gestylten, mit der besten Technik ausgestatteten Investmentbanker im Kopf, sondern kennt auch die massive Kritik an dem Job. Wird das zu wenig wahrgenommen?

Michel: Für die Banker selbst ist das ein ständiges Thema. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Firmen die viele Arbeitsstunden nicht ändern können, selbst wenn sie wollten. Ich habe noch nie gehört, dass jemand in die Arbeit kommt und sagt: "Ich hatte ein tolles Wochenende." Was ich höre sind Sätze wie: "Ich habe drei Nächte durchgearbeitet." Die Leute sind stolz darauf. Sie trainieren, nur 20 Minuten zu schlafen, um die Nacht durchzuarbeiten. Es gibt Fälle, wo die Leute so starke Rückenschmerzen haben, dass sie Meetings liegend am Tisch abhalten.

STANDARD: Inwieweit herrscht denn unter den Kollegen Leistungsdruck? Nach dem Motto: Bleibt einer bis 22 Uhr, muss ich mindestens bis 22.30 Uhr bleiben?

Michel: Das ist ein großes Thema. Geht man als junger Banker gegen zehn Uhr, bekommt man als spöttischen Kommentar oft nachgesagt, man arbeite nur halbtags. Im Investmentbanking ist es oft so, dass ganze Gruppen eingestellt werden, hier ist der Druck enorm groß. Man muss im Team performen, weil sich das Unternehmen von den fünf bis zehn schlechtesten Prozent wieder trennt. Daher müssen Strukturen gefunden werden, wie sich die Leute selbst überwachen. Der soziale Vergleich ist sehr wirkungsvoll.

STANDARD: Merken die Banker, dass die Arbeit sie kaputtmacht und die Lebensqualität sinkt?

Michel: Wenn man sich länger in der Bankenkultur befindet, verschwinden die Grenzen. Haben Banker mal einen Tag frei, wissen viele nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Man richtet das Leben nach den Erwartungen von anderen Menschen aus. Viele wissen nach all den Jahren nicht mehr, was sie glücklich macht.

STANDARD: Was haben Sie aus dieser Studie gelernt?

Michel: Für mich war erstaunlich zu sehen, was die Arbeit an den Menschen anrichtet. Das hat mich wachgerüttelt. Ich habe von jenen Bankern gelernt, die es geschafft haben, auf ihren Körper zu hören. Für mich war es eine Zeit lang auch undenkbar, ein Hobby zu haben. Während meines Studiums habe ich getanzt, später konnte ich mir nicht vorstellen, auch nur eine Tanzstunde zu nehmen. Heute mache ich das aber wieder.

STANDARD: Was wünschen Sie sich, das von Ihrer Studie bei den Banker hängenbleibt?

Michel: In der US-Presse wurde hochgespielt, dass rund 60 Prozent der Menschen durch den Job krank werden. Ich finde aber viel interessanter, dass 40 Prozent es geschafft haben, kreativ zu sein und dennoch Höchstleistung zu erbringen. Ich wünsche mir, dass diese 40 Prozent Vorbild werden. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 12.3.2012)