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Rund um das Bild von dem Schmerzensmann Daniel Pearl errichtet Bernard- Henri Lévy ein Weltgebäude, in dem Pakistan die Hölle ist.

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Bernard-Henri Lévys These ist einfach und gegen die USA gerichtet: Der Irak war der falsche Feind.

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... Vor allem aber ein grandioses Dokument paranoider Angstlust, wo Lévy in Pakistan den wahren Schurkenstaat der Gegenwart ausmacht.


Paris - Als der amerikanische Journalist Daniel Pearl im Jänner 2002 in Karatschi von der Hand seiner islamistischen Entführer starb, mit einem "unmenschlichen" Schmerzensschrei auf den Lippen, krähte gerade der Hahn. Das ist ein bizarres Detail, eher atmosphärisch als faktisch, aber der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy versäumt nicht, es zu notieren.

Was sich wissen lässt über den Fall Pearl, hat er gelesen, nachgesehen, herausgefunden. Was sich vermuten lässt, damit hält er nicht hinter dem Berg. Was dem Kolorit der Erzählung dient, das hat er niedergeschrieben. Qui a tué Daniel Pearl? (Wer hat Daniel Pearl getötet?), heißt das in Frankreich bei Grasset erschienene Buch, mit dem Lévy die Geschichte des Korrespondenten des Wall Street Journal in Pakistan noch einmal aufrollt. Er tut es in Form einer romanquête, eines investigativen Berichts, der immer wieder fiktionale Züge annimmt.

Lévy macht sich äußerst angreifbar mit diesem 540 Seiten langen Text, weil er einen exzessiven Umweg nimmt, um zu seinem Argument zu kommen. Die These ist letztlich sehr einfach, und sie ist gegen die USA gerichtet: Der Irak, so Lévy, war der falsche Feind. Der wahre Schurkenstaat ist Pakistan, offiziell ein Verbündeter im Kampf gegen den Terror, in Wirklichkeit in einem doppelten Spiel begriffen, bei dem Al-Kaida in den Besitz nuklearen Materials gelangen soll. Zwischen Islamabad und Karatschi, so Lévy, "weht der Geruch der Apokakalypse, und ich bin überzeugt, dass Danny ihn bemerkt hat".

Identifikation mit Pearl Der Umweg ist die provozierend intime Identifikation mit Daniel Pearl. Er spricht von ihm wie von einem Freund, er beschreibt ihn als jüdischen Internationalisten, skeptisch gegenüber der US-Regierung und aufgeschlossen für die muslimische Welt.

Vor allem aber schildert er Pearls Sterben so minutiös (und so subjektiv), dass auch die Berufung auf das Video, das während der Ermordung gedreht wurde und Lévy bekannt ist, kaum einen hinreichenden Grund für diese Form der Darstellung geben kann. Das Kapitel "La mise à mort" kommt ziemlich früh im Buch, und rund um dieses Bild von dem Schmerzensmann Daniel Pearl errichtet Lévy ein Weltgebäude, in dem Pakistan die Hölle ist.

Der pakistanische Geheimdienst und die Terrororganisation Al-Kaida haben darin tragende Rollen. Die Hauptfigur im zweiten Teil bildet aber einer der Mörder von Daniel Pearl: Omar Sheikh ist das Objekt der anderen, in diesem Fall negativen Identifikation von Lévy. Er rekonstruiert den Weg dieses Absolventen der London School of Economics durch die Krisengebiete der letzten Jahrzehnte und stellt fest, dass sein eigenes Engagement und die allmähliche Radikalisierung von Omar Sheikh immer wieder von den gleichen Orten ihren Ausgang nahmen. Aus der Tragödie der bosnischen Muslime ging Omar Sheikh, der sich damals noch humanitär engagierte, als ein "fou de Dieu" hervor, während Lévy das Zaudern des Westens attackierte. Lévys Ambivalenz gegenüber Pakistan rührt von seinen publizistischen Anfängen her: Im Unabhängigkeitskrieg von Bangladesch hatte er sich Anfang der Siebzigerjahre mit dem Buch Les Indes Rouges hervorgetan, noch heute gilt er deswegen in Pakistan als persona non grata.

Nichtsdestoweniger fährt er im Zuge seiner Romanquête dorthin, mehrmals und unter nicht ungefährlichen Umständen. Er besucht die Eltern von Daniel Pearl in Amerika, aber auch Ausbildungslager von Al-Kaida in Afghanistan, in denen Omar Sheikh gewesen ist. Er sucht nach einem Beweis für dessen Nähe zu Osama Bin Laden, und je stichhaltiger seine Beschreibung des terroristischen Netzwerks wird, desto mythischer wird seine Erzählung. Im Prinzip läuft die ganze Untersuchung auf einen Begriff hinaus: Die Entführung und Ermordung von Daniel Pearl war ein "Staatsverbrechen", in das selbst Pervez Musharraf durch Zitate involviert wird.

Durch die Wahl seiner literarischen Mittel ist Lévy zu diesem Zeitpunkt aber schon weit jenseits der Politik. Er ist tatsächlich im Herz der Finsternis angekommen, auf der Suche nach einem neuen Colonel Kurtz, dessen Tötung die radikale Selbstüberschreitung des Intellektuellen wäre.

Weil die pakistanische Exekutive dann doch schneller war, blieb Lévy nur, dieses Buch zu schreiben: ein grandioses Dokument der Angstlust unserer Zeit. (DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.6.2003)