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Österreich ist sehr stolz auf seine Kultur, dazu gehören neben Lipizzanern, Walzer und Co. allerdings auch etwas weniger schöne Dinge.

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Mark Pieth: Österreich hat sich 2009 einen Bärendienst erwiesen.

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Laut dem OECD-Korruptions-Experten Mark Pieth hat die Führungselite in Österreich in Sachen Korruption nicht erst in jüngerer Vergangenheit versagt. Warum ihm die Diversionspläne Angst machen und er Österreich als Korruptionsoase bezeichnet hat und wie er die Lage derzeit einschätzt, erzählt er im derStandard.at-Interview.

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derStandard.at: Sie haben im vorigen Sommer Österreich als Korruptionsoase bezeichnet. Seither gibt es einige Bemühungen, in der Sache etwas voranzubringen. Sind die Österreicher auf dem Weg der Besserung?

Mark Pieth: Das war damals die Kritik der OECD an der Gesetzesänderung in Österreich. Man hatte 2008 ein neues Korruptionsgesetz in Kraft gesetzt und 2009 schon wieder geändert. 2009 hat man zwei Dinge gemacht: Die eine Geschichte, dass man das Anfüttern abgeschafft hat, geht die OECD nichts an. Das andere, dass man die Staatsunternehmen bei der Unterstellung unter das staatliche Korruptionsrecht ganz stark reduziert hat, sehr wohl.

Das macht dem Ausland nichts, solange es um österreichische Wasserwerke, Eisenbahnen etc. geht. Das hat aber bewirkt, dass international zum Beispiel solche Gesellschaften wie Gazprom oder früher Petrom ohne weiteres von österreichischem Territorium aus hätten bestochen werden können. Da haben wir nicht so recht gewusst, ob es Zufall oder Versehen ist oder ob man das absichtlich gemacht hat. Man hat gesagt, Österreich bietet sich praktisch für die ganze Welt an, um von hier aus Staatsunternehmen zu bestechen.

derStandard.at: Wie lautet Ihre Einschätzung jetzt?

Pieth: Es hat sich auf der praktischen Ebene viel getan. Die Tatsache, dass man viel findet, kann entweder Ausdruck dessen sein, dass man nun eine wesentlich aktivere Justiz hat, oder es kommt einfach mehr zum Vorschein. Das heißt, man hat wirklich große Probleme. Wahrscheinlich ist es ein bisschen von beidem.

derStandard.at: Ein Finanzminister, der kräftig an der Privatisierung von Bundeseigentum mitverdient haben soll, ein Staatskonzern, der sich Gesetze erkauft, Bestechungs- und Geldwäschevorwürfe: Österreich hat tatsächlich einige große Brocken zu verdauen.

Pieth: Ich weiß, ich musste einmal für den ORF einen Tag lang Fremdenführer durch das korrupte Wien spielen und habe da sozusagen die gesamten Skandaltatorte besucht. Das war anlässlich des 250. Jahrestages des Rechnungshofes.

derStandard.at: Woran hapert es nun in Österreich konkret?

Pieth: Das eine Problem mit Österreich ist das Recht. Da hat man sich mit dieser Rechtsänderung 2009 selbst einen Bärendienst erwiesen. Nicht nur, weil man die Staatsunternehmen reduziert hat. Man hat ja auch das Anfüttern durch Tatbestände ersetzt, die nie zur Anwendung kommen werden. Da hat man vielleicht die Staatsoper gerettet, den Opernball und die Salzburger Festspiele, aber der Stimmung auf dem Land ist man nicht entgegengetreten. Was vielleicht noch schwerer wiegt: Die Skandale, die jetzt alle zum Vorschein kommen, sind ja Ausdruck einer Haltung der früheren Führungsequipe, die bei Korruption und allen Formen von Interessenkollisionen sehr wenig sensibel war.

derStandard.at: So eine Haltung kann ja nicht von heute auf morgen erblühen.

Pieth: Nein, nein. Denken Sie etwa an den Verkauf der Buwog, wo man derartige Summen bezahlt an Intermediäre, die selbst gar keine Ahnung haben, wofür sie eigentlich Geld kriegen. Das sind Dinge, die aus einer längerfristigen Haltung heraus entstanden sind. Da hat die Führungselite von mehreren Jahrzehnten versagt.

derStandard.at: Gibt es da eine Art Kultur, die durch ein neues Recht ausgemerzt werden kann?

Pieth: Es ist jetzt tatsächlich die Frage, ob das neue Recht in der Lage ist, dagegen anzukämpfen. Man müsste halt - obwohl es mühsam ist, ein viertes Gesetz zu machen - noch einmal über die Bücher gehen, was das materielle Recht anbelangt, also die Tatbestände. Was mir eher Angst macht, ist - und da gibt es wahrscheinlich auch eine Meinungsverschiedenheit mit dem Herrn Geyer (Walter Geyer ist Leiter der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Anm.) -, dass man jetzt die diversionelle Erledigung von Korruption andenkt oder plant.

derStandard.at: Justizministerin Beatrix Karl hat nach heftiger Kritik den umstrittenen Passus, der in Korruptionsfällen ein Diversionsverfahren ermöglicht hätte, aus dem Stabilitätsgesetz gestrichen. Er hätte in der Praxis bedeutet, dass Beschuldigte gegen eine Geldbuße eine Verfahrenseinstellung erwirkt hätten. Karl will das Thema aber noch diskutieren.

Pieth: Das macht mir Bauchweh. Ich verkenne nicht, dass in den USA zum Beispiel "Plea Bargaining" ("Aushandeln" des Strafmaßes und der Schuld des Angeklagten. Der Staatsanwalt schlägt im Austausch für ein Geständnis eine geringere Bestrafung vor, als im Gerichtsverfahren abzusehen ist, Anm.) möglich ist und dass auch in anderen Ländern - etwa in Deutschland - Deals geschlossen werden.

derStandard.at: Was spricht also dagegen?

Pieth: Diversion bedeutet in Österreich bis jetzt etwas ganz anderes. Diversion ist etwas für kleine Kriminalität, wo einfache, klare Sachverhalte bestehen, die auch nach einiger Zeit erledigt werden können. Sie ist geeignet für Fälle, die keine große Öffentlichkeitswirksamkeit entfalten. Was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass man diese Form nun für Fälle verwendet, wo man die Sachfrage oder die Rechtsfragen gar nicht abgeklärt hat. Also dass man sich einfach die Sache leicht macht. Diversion bedeutet im österreichischen Kontext effektiv eine Form der Erledigung von Bagatellfällen.

derStandard.at: Eine Buwog-Affäre würde sich also definitiv nicht dafür eignen?

Pieth: Ich will Herrn Grasser keinen Vorwurf machen. Der Fall soll justiziell abgeklärt werden. Es gilt für ihn die Unschuldsvermutung. Aber ehrlich gesagt, eine diversionelle Erledigung dieses Falles in der österreichischen Landschaft würde das ganz, ganz falsche Signal senden. Es geht tatsächlich nicht darum, Herrn Grasser als Straftäter hinzustellen, aber es braucht eine saubere Abklärung. Man kann nicht einfach sagen, weil es uns zu mühsam ist und weil es politisch heikel ist, erledigen wir die Sache unter uns. Das, was die Deutschen mit Siemens gemacht haben, ist in dieser Landschaft möglich. Aber wenn man eine diversionelle Erledigung in Österreich will, müsste man ganz genau festlegen, welches die Bedingungen sind, auch die Rolle der Justiz darin, also zum Beispiel, dass das nicht der Staatsanwalt alleine machen darf etc.

derStandard.at: Diversion ist eine Sache. Aber müssten sich in solchen Causen nicht auch die Finanzbehörden viel stärker involvieren?

Pieth: Es gibt eine Forderung vonseiten der OECD, dass Steuerbehörden Bestechungsverdacht melden müssen. Dazu gibt es auch einen konkreten Anwendungsfall bei Steyr-Daimler-Puch. Da hat man hausintern gesagt, na ja, mehr als fünf Prozent an Vermittler, da kriegen wir Nachfrage von der Steuerbehörde, und wenn wir über zehn Prozent gehen, dann vermuten die Bestechung. Also bitte schaut drauf, wenn schon solche Zahlungen gemacht werden, dass ihr einen anderen Titel dafür findet. Man hat also heute schon Angst vor der Steuerbehörde, auch in Österreich.

derStandard.at: Dann gibt es natürlich auch den Rechnungshof ...

Pieth: Ja. Das war ein bisschen gespenstisch bei meinem Besuch in Wien. Ich wurde durch das Museum des Rechnungshofes geführt. Sehr schön und sehr interessant. Der Präsident des Rechnungshofes hatte leider gerade Bauchweh.

derStandard.at: Abgesehen von den juristischen Aspekten: Transparency International hat sich vor drei Jahren die Korruption in Griechenland angeschaut. Es hieß, dass eine Durchschnittsfamilie jährlich rund 1.450 Euro an Schmiergeldern zahlt. Ist der öffentliche Sektor die größte Baustelle in einem Staat?

Pieth: In der Dritten Welt ist wirklich der öffentliche Sektor das größte Problem. Je mehr ich in den Norden komme, verlagert sich das auch innerhalb des öffentlichen Sektors. Das Thema für Österreich wäre nicht, dass ich für jede Amtshandlung etwas zahlen muss. Da ist das Problem eher die öffentliche Vergabe. Ich denke da an den Flughafen in Wien, das wäre eine Illustration.

derStandard.at: Welche Bereiche sind noch anfällig für Misswirtschaft und Korruption?

Pieth: Es gibt eine Gemengelage, wo man auch nicht von klassischer Korruption spricht. Zum Beispiel dort, wo Subventionen erschlichen werden. Oder Privatisierungen, wie etwa diese Buwog-Geschichte. Ob da im Rahmen der Privatisierung Geld geflossen oder unter Wert verkauft worden ist: Das sind Dinge, die sind hochkomplex. Sowohl bei der öffentlichen Vergabe größeren Ausmaßes wie bei der Privatisierung brauche ich einen starken Rechnungshof, um wirklich effektiv kontrollieren zu können. Das finden die Staatsanwaltschaften nie alleine heraus.

derStandard.at: Das bedeutet wohl vor allem eines: Es reicht nicht, zwei, drei Gesetze zu ändern, und alles ist gut und sauber.

Pieth: Nein. Das ist eine ziemlich große Operation. Immerhin würde es helfen, wenn man jetzt im Rahmen eines neuen Gesetzgebungsverfahrens die Fragen noch einmal ansprechen würde. Man darf sie nicht unter den Teppich kehren.

derStandard.at: Die Gefahr sehen Sie?

Pieth: Es ist eine merkwürdige Situation. Noch vor kurzem hat es in Österreich geheißen: Staatskrise! Da hat richtig Panik geherrscht. Und im Moment sieht es fast so aus, als ob das alles wieder einschlafen würde. Von außen würde man erwarten, dass das Ganze sich zuspitzt und zu einem Gesetzgebungsverfahren führt. Ich hatte die neue Justizministerin auch so verstanden, dass sie das zum Anlass nehmen würde, da eine Kommission einzusetzen.

derStandard.at: Wir diskutieren derzeit die Sache mit dem Anfüttern ...

Pieth: Beim Anfüttern hatte die Schweiz praktisch das deutsche Modell übernommen und Österreich dann das Schweizer Modell und hat es wieder abgeschafft. Eigentlich könnte man jetzt schauen, warum war das problematisch? Sponsoring gibt es überall. Dass eine Firma sagt, ich unterstütze die Oper, gibt es in Zürich auch. Da gibt man einen Abend und lädt dazu seine Kunden ein, öffentlich Bedienstete darf man nicht einladen. Wenn ich raten dürfte, würde ich sagen, macht ein Gesetz und gebt dann eine Einführungsphase von einem Jahr und sagt, bereitet euch bitte darauf vor.

derStandard.at: Was kann man als Unternehmer gegen Korruption machen?

Pieth: Es wäre wohl eine schlechte Ausrede zu sagen, na ja, das tun alle. Der Druck ist da, das ist richtig. Aber der Druck ist auch auf alle gleich groß, es nicht zu tun. In Russland kann ich, wenn ich Ikea heiße, Nein sagen. Die Kleinen können sich das schlechter leisten. Aber sie schließen sich inzwischen zusammen und gehen gemeinsam zum Minister und sagen: Also wenn ihr wirklich hier eine Turbine bauen wollt, dann müsst ihr aufhören, uns unter Druck zu setzen, sonst bauen wir einfach bei euch keine Turbinen mehr.

Man muss auch Folgendes bedenken: Die Zuständigkeiten der verschiedenen Staaten überschneiden sich. Die USA und England haben sich inzwischen extensive Zuständigkeiten gegeben und könnten relativ leicht österreichische Firmen dafür belangen, was sie im Osten angestellt haben.

derStandard.at: In Österreich wird Korruption als Kavaliersdelikt empfunden, sagten Sie. Können wir uns von der Schweiz etwas abschauen?

Pieth: Ich würde sagen, bei uns gibt es andere Formen. Es gibt eine ganz starke Freunderlwirtschaft in dem Sinn, dass kein Geld fließt. Aber es ist vielleicht perfider: Man schuldet sich dann 20, 30 Jahre lang Gefallen. Ich will überhaupt nicht sagen, dass das besser ist, aber es fällt nicht unter das Strafrecht. (Regina Bruckner, derStandard.at, 6.3.2012)