Der Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Sensibilisierung für sexuellen Missbrauch und gleichzeitigem Abstumpfen gegenüber der Wirkung symbolischer sexueller Gewalt ist eklatant und ungelöst. Catharine MacKinnon und andere Vertreterinnen des Radikalfeminismus sind in den 1980er und 1990er Jahren mit ihren Versuchen gescheitert, "Pornografie" zu kriminalisieren.

Der Begriff ist nicht einfach zu fassen und wird auch sehr unterschiedlich interpretiert. Gemeinhin kann man darunter sexuell explizite Darstellungen (Schrift, Ton, Bild, Film) verstehen, die aus rechtlicher Sicht an der Grenze oder jenseits von Äußerungen liegen, die unter Meinungsfreiheit (auch Freiheit der Kunst) fallen.

Ausbeutung von Frauen

Mit Slogans wie "Pornografie ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis" wurde eine breite feministische Basis sensibilisiert, um die Sex-Industrie mitverantwortlich zu erklären für die soziale Unterordnung und die Ausbeutung von Frauen. Doch waren die Theorien zu grobmaschig gestrickt, um den Kritiken standhalten und in der Praxis bestehen zu können. Was diese Debatten aber mit befördert haben, ist die kritische Einschätzung von trivialem Sexismus. Er ist bedenklich, weil er verharmlost, und es wird unterschätzt, wie tief er das Wertesystem einer Zivilgesellschaft untergräbt.

Die Gefahr geht nicht von Sexshops aus, die ohne Außenwerbung wie Hochsicherheitsgefängnisse in unseren Städten Kunden und Kundinnen versorgen, die in blickdichten Plastiktaschen ohne Reklame ihre Einkäufe nach Hause tragen. Nein, es sind die Litfaßsäulen, von denen die eigentliche Macho-Botschaft 24 Stunden lang herunterlacht, fürs Kleinkind wie für die Oma und den Opa. Oder die klassenherrschaftlichen Familienserien und Trivialromane, die Frauen nicht beschränkt auf erotische Posen als dem Mann dienend zeichnen, sondern weibliche Passivität zum Lebensmodell erheben, da in der Ehe die Endlösung aller Probleme und die Erfüllung aller Wünsche propagiert wird. Und Donna Leon, die gerade im Fernsehen erklärt hat, eine Commissaria Brunetti hätte sich nie so gut verkauft, weil eine Frau, gerade in Italien, in dieser Rolle nicht glaubwürdig wäre, weil sie ständig Erklärungsbedarf wegen ihrer sozial inferioren Stellung hätte.

Porno im Unterricht

Die Problematik kann an einem Fall paradigmatisch dargestellt werden. Seit Jahren erhitzen sich die Gemüter in Italien wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs in einer Schule. Es handelt sich um keine Neuauflage der Philosophie "dans le Boudoir". Unterrichtet wurden hier nicht Mädchen im Badesalon über "l'usage des plaisirs", den Gebrauch der Lüste, knapp vor der Maturität, von einem Experten, der es wissen und können musste, nein, die vermeintliche Marquise ist - besser war - eine Professorin an einem höheren Institut. Bewaffnet nicht mit der Peitsche, sondern mit einem Perizoma (oder Stringtanga), der aus der hüftig sitzenden Hose hervorlugte, saß sie auf einem Sessel an einem Tisch inmitten ihrer Zöglinge im Trubel einer Unterrichtspause. Vielleicht.

Denn die Burschen standen, gingen oder lungerten im Klassenraum rund um sie herum, einige spielten mit dem Handy und blödelten. Wie zum Schein oder wirklich griffen sie mehrere Male an die Wäsche der Lehrerin, betasteten ihren hinteren Körperteil. Dann reagierte jemand, die Szene brach ab. Es war im März 2006, als die Jugendlichen dieses Home-School-Video auf YouTube bis vor kurzem zur Schau stellten. Es gibt noch ein zweites. Was folgte, waren Empörungen und Prozesse, ein Vergleich, Schadenersatzforderungen, bis in die Gegenwart.

Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen

Vorgeworfen wurde der Frau, die erotischen Manifestationen ihrer Schüler nicht unterbunden, sondern an ihnen teilgenommen zu haben. Damals war sie 41, die Schüler 16. Die Anklage lautete auf "sexuelle Handlungen mit Minderjährigen".

Nach Erreichen der Volljährigkeit brachte ein ehemaliger Schüler eine Klage auf Schadenersatz gegen die Professorin und die Schule ein. Sein Anwalt will 250.000 Euro dafür kassieren, dass sein Mandant keinen "approccio corretto con il genere femminile" oder "approccio sessuale correttto" mehr habe. Was man sich unter einem "korrekten Umgang mit dem weiblichen Geschlecht" oder "korrektem Sexualverhalten" vorzustellen hat, bleibt offen. Schuld an der ausgebliebenen Entwicklung dieser mysteriösen, offenbar männlich konnotierten Eigenschaft oder Befähigung soll jedenfalls das "libertine" Benehmen der Lehrerin gewesen sein.

Die Feststellung der Sachlage und ihre Bewertung, um das geltende italienische Recht zur Anwendung zu bringen, obliegen den Richterinnen und Richtern. Keinen Anlass zur Diskussion sollte die Frage nach dem an einer Erziehungs- und Bildungsanstalt opportunen Dresscode geben. Denn in einer demokratischen Zivilgesellschaft darf ein legerer Kleidungsstil, zumal er den allgemeinen Usancen entspricht, als freie Meinungsäußerung und Ausdruck freizügiger Gesinnung gelten. Gerade hier hakt aber der strenge Finger ein, am String des Tanga.

Mit Nachdruck wird behauptet, dass dadurch die Entwicklung eines Teenagers gestört und so verletzt wurde, dass er gravierende Schäden an seiner Persönlichkeitsentfaltung davontrug. Gerichte und Sachverständige sind um die Klärung dieser Fragen nicht zu beneiden. War er schon gestört, als er seine Hand auf die nackte Haut der Professorin legte, hemmungslos? Ist ihr Outfit in der Schule schuld daran, dass er in allen Frauen nur mehr Prostituierte sehen kann, zwangsläufig? Und glaubt er jetzt, dass er alle Frauen (= Prostituierte) auch betasten darf, fraglos?

Mann als Opfer seiner Lust

Diese Haltung führt in eine gefährliche Sackgasse. An deren dunklem Ende steht die Frau. "Und ewig lockt das Weib ..." Sie verführt den Mann, der nicht mehr Herr seiner Sinne ist und Opfer seiner Lust wird. In Vergewaltigungsprozessen wurde und wird diese Aussage gebetsmühlenartig vonseiten der angeklagten Männer vorgebracht. Sie führte und führt im Normalfall zum Freispruch der Beschuldigten. Auffassungen, Überzeugungen, Gemeinplätze, kulturelles Klima kreieren das (weibliche) Monster.

Wie immer beginnt auch hier "la caccia alla strega" mit Übertreibungen, Anspielungen, Ausgrenzungen. Die Professorin wird als schamlose Person stilisiert, die verbotenen Sex mit Jugendlichen gehabt habe. Ihr Vor- und Zuname, Geburtsdatum und Wohnort stehen im Netz, nur die Körpermaße fehlen, aber die sieht man ja auf dem Video. "La donna delinquente, la prostituta e la donna normale" ("Die Kriminelle, die Prostituierte und die normale Frau"), so lautet der Titel eines "Klassikers" der italienischen Kriminologie im 19. Jahrhundert. Die Verbrecherin und die Prostituierte haben Cesare Lombroso und Guglielmo Ferrero als praktisch fungibles Gegensatzpaar konstruiert zur "normalen", ehrbaren Frau und verantwortungsvollen Mutter. Wunschbild und Zerrbild einer Gesellschaft. Nur kein Abbild. Noch heute.

Verantwortung der Eltern und Medien

In der Kampagne fällt verhältnismäßig wenig Licht auf das Verhalten der jugendlichen Akteure. Jugendschutz? Wenn 16-Jährige den Po ihrer Lehrerin begrapschen, ist das nicht so schlimm? Allerbeste Jugendstube, Triple-A, bei einer PISA-Studie wären die aufgeweckten Jungs sicher vorne dabei gewesen. Ein Lob den erziehungsberechtigten Eltern, die ihre Sprösslinge so tüchtig vorbereitet haben.

Gemeinsam entspannen sich die Familien beim abendlichen Fernsehen, wenn Frauen in Shows auf die Knie rutschen, und folgen dem Blick der Kamera auf ihre Hintern, wenn sie unter Tische kriechen oder selbst als Möbel fungieren. Sie sehen, wie Frauen sich auf der prallen Arschbacke vom Showmaster einen Stempel aufdrücken lassen, der bestätigen soll, dass ihr Po der feisteste, knackigste ist, oder wie sie sich in leichter Bekleidung in transparenten Duschkabinen mit Wasser anspritzen, um zu zeigen, dass ihr Silikonimplantat noch perfekt sitzt.

Nein, wir sind nicht im Bordell, denn diese Frauen stöhnen nicht zur Musik. Und auch nicht im Theater, denn diese Protagonistinnen haben keinen Text. Nur ihre nackte Haut. Sie werden von anderen (meist Männern) kommentiert, präsentiert, vorgeführt. Im Hauptabendprogramm des öffentlichen oder privaten (das ist in Italien ziemlich einerlei) Fernsehens. Wir sind in der Soft-Porno-Schule für die liebe Familie, in der sich Eltern mit Kindern, Buben und Mädchen, vorbereiten für das Leben draußen, mit Werbespots, Shows, Next-Top-Model-Küren. Im Pool der Freiheiten einer landesweiten und stiefellangen Television. Für die Ragazzi von damals und heute.

Ein "gegenderter" Blogger hat geschrieben, dass ein Mann anstelle der Professoressa schon längst im Gefängnis gelandet wäre, seinen Job für immer verloren hätte. Welches Land meint er? Sicher nicht jenes, wo selbst der Bunga-Bunga-Skandal am Veranstalter der schlüpfrigen Partys abprallte wie ein Gummiball an der Betonwand. Offenbar lebt der Mann auf dem Mond. (Evelyn Höbenreich, derStandard.at, 5.3.2012)