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Michail Kasjanow, Jg. 1957, ehemals Russlands Finanzminister in der Ära Jelzin, danach Putins Regierungschef, wurde 2004 wegen angeblicher " Verschwörung" aus seinem Amt entlassen und ist heute Chef der oppositionellen Demokratischen Volksunion.

(Archivbild aus dem Jahr 2000)

Foto: Reuters/Karpukhin

Kaum jemand, und schon gar nicht Wladimir Putin, der am 4. März erneut russischer Präsident werden will, hätte sich im letzten Dezember vorstellen können, dass die Russen zum ersten Mal seit zwanzig Jahren aufwachen und zu Zehntausenden gegen die Regierung demonstrieren würden. Anders als bei den Rebellionen des Arabischen Frühlings sind die treibenden Kräfte hinter den Protesten nicht die russischen Armen und Unterprivilegierten, sondern die Mitglieder der wachsenden urbanen Mittelklasse des Landes. Dieser Unterschied ist wichtig, da historisch betrachtet für demokratische Veränderungen fast immer eine politisch mobilisierte Mittelklasse nötig war.

Gut ausgebildete und erfolgreiche Russen der Mittelklasse gingen auf die Straße, um von einer betrügerischen und korrupten Kreml-Hierarchie Respekt einzufordern. Das Fass zum Überlaufen brachten die dreisten Wahlfälschungen bei der Parlamentswahl im Dezember, die die Bürger in ihrer Ansicht bestärkten, dass ihnen vom Regime nur Verachtung entgegengebracht wird. Besonders wütend sind die Russen über Putins arrogante Art, wie er die Präsidentschaft an Verbündete wie den momentanen Amtsinhaber Dmitri Medwedew je nach Bedarf "verleiht" und wieder zurückzieht.

Regieren auf Biegen und Brechen

Aber trotz der massiven Proteste in Moskau, Sankt Petersburg und anderen Städten haben die Behörden die Forderungen der Demonstranten, die Wahlergebnisse zu annullieren, abgelehnt. Tatsächlich wird immer klarer, dass Putin Russland auf Biegen und Brechen weitere sechs Jahre lang regieren wird. - Was bedeutet eine weitere Präsidentschaft dieses Mannes für das Land?

Putin, der gut von echter politischer Opposition abgeschirmt ist, kann nicht als der "Präsident der Hoffnung" in den Kreml zurückkehren, als der er sich im Jahr 2000 zu Beginn seiner ersten Amtszeit stilisiert hatte. Auch ist er nicht mehr Putin, der "nationale Führer", der in seiner zweiten Amtszeit den Staat wiederbelebt und von einem Wirtschaftsboom profitiert hatte.Wie also könnte der dritte Putin aussehen? Wie wird er die enorme Macht, die der russische Präsident in einem politischen System ohne echte Kontrollmechanismen besitzt, einsetzen?

Nichts außer vulgäre Rhetorik

Seine Monologe und Artikel vor der Wahl sprechen eine unheilverkündende Sprache: Seine Präsidentschaft wird auf einer völligen Fehleinschätzung der Struktur moderner internationaler Beziehungen, Märkte und Demokratien beruhen und von seinem unkontrollierbaren Messianismus bestimmt sein. Rufe nach Liberalisierung gehen Hand in Hand mit starren Dogmen, und wortreicher Populismus siegt über Komplexität und harte Entscheidungen.

Tatsächlich hat Putin den Russen außer seiner vulgären, abgedroschenen Rhetorik nichts zu bieten. Er versteht die Probleme des Landes nicht mehr und hat deshalb keine Ahnung, was zu tun ist. Auch hat er kein Gefühl für den Schaden, den seine schlechte Regierung über die Zukunft Russlands bringen wird. Putins dritte Präsidentschaft wird nicht von Vernunft und Zurückhaltung, sondern von Instinkt und Machthunger bestimmt sein.

Zugeständnisse wegen dem politischen Machterhalt

Natürlich wird Putin seine neue Amtsperiode mit ernsthaften Worten über Erneuerung, Demokratisierung und Korruptionsbekämpfung beginnen. Vielleicht wird er sich sogar mit ein paar symbolischen Gesten von fragwürdigen Vertretern der Politik und der Medien distanzieren oder Nachsicht gegenüber von ihm eingesperrten Oppositionellen zeigen. Aber all dies würde nicht auf Reformen abzielen, sondern auf politischen Machterhalt.

Der Kreml hat in den letzten Jahren viel hochtrabendes Gerede über Freiheit und Modernisierung von sich gegeben. Aber ohne den politischen Willen zur Durchsetzung der dafür nötigen Veränderungen bleiben solche Versprechungen leer. Das Problem ist, dass das Prinzip freien und fairen Wettbewerbs, das der entwickelten Welt zugrunde liegt, für Putins russischen Staat eine Bedrohung darstellt - einen Staat, der auf der Verschmelzung von Regierung und Konzernen beruht.

Liste der Probleme wird länger

Selbst wenn im heutigen Kreml plötzlich ein wundersamer Wille zur Veränderung auftauchen würde, gäbe es deshalb aufgrund der Unrechtmäßigkeit der gesamten Regierung keine Möglichkeit für effektive Politik. Statt umfassende und transparente Reformen planen und umsetzen zu können, wäre die Regierung gezwungen, weiterhin die Interessen ihrer Klientel zu pflegen und zu füttern.

Niemand sollte sich durch Zugeständnisse des Kreml täuschen lassen. Die russischen Liberalen hätten nichts davon, der dritten Amtszeit Putins ihren Segen zu geben. Wie bereits zuvor würden sie im Gegenzug keine wirkliche Macht bekommen, und die Möglichkeiten echter Veränderungen aus der bestehenden Machtstruktur heraus wären minimal. Statt dessen werden die Versuche der Regierung, die öffentliche Meinung zu beschwichtigen, mit verstärktem Druck auf die Opposition und auf bürgerliche Organisationen einhergehen. In den ersten Monaten der erneuten Präsidentschaft Putins wird viel von der russischen Zivilgesellschaft und der Protestbewegung abhängen. Die Russen müssen durchhalten und konkrete politische Forderungen stellen sowie auf echten Veränderungen des politischen Systems ihres Landes bestehen. Bereits jetzt steht Russland vor einer langen Liste drängender Probleme, deren Lösung nicht mehr aufgeschoben werden kann. Solang Putin an der Macht bleibt, wird diese Liste nur noch länger werden. (Michael Kasjanow*/DER STANDARD Printausgabe, 3.3/4.3.2012)