Dieses Haus in Lublin, früher eine Jeschiwa (eine Schule für orthodoxe Rabbiner), war in staatlicher Hand ein Krankenhaus. Das Gebäude wurde der jüdischen Gemeinde inzwischen restituiert

Foto: Gabriele Lesser

"Die Regierung in Warschau will Juden, Protestanten und Russisch-Orthodoxe dafür bestrafen, dass die Katholiken sich der Korruption schuldig gemacht haben", empört sich Piotr Kadlcik, Vorsitzender des Jüdischen Gemeindebundes in Polen. "Für uns wäre das eine Katastrophe. Die jüdische Kommission hat noch nicht einmal die Hälfte aller Anträge abgearbeitet." Kadlcik kritisiert, dass die Regierung jetzt wolle, "dass noch offene Anträge zivilrechtlich entschieden werden".

Zwar hat Polen als einziges ehemaliges Ostblockland neben Weißrussland noch immer kein Reprivatisierungsgesetz beschlossen, seit Mitte der 90er-Jahre bekommen Kirchen und Religionsgemeinschaften das von den Kommunisten zwangsverstaatlichte Eigentum dennoch zurück. Wo dies nicht möglich ist, wird eine Entschädigung ausbezahlt. Als 2010 die Medien immer häufiger von korrupten Machenschaften in der römisch-katholischen Vermögenskommission berichteten, nahmen Polizei, Staatsanwaltschaft und Antikorruptionsbüro Ermittlungen auf. Ein Jahr später wurde die Kommission stillschweigend geschlossen. Jetzt machte die linksliberale Gazeta Wyborcza den Regierungsbericht publik: Die Kommission aus zwölf Vertretern des Episkopats und zwölf Vertretern des Innenministeriums führte die Akten demnach nur in Papierform, vergaß Eingangsstempel auf Anträgen anzubringen, den Wert einer Immobilie anzugeben oder ihre Rückgabe zu vermerken.

Akten dreifach bearbeitet

Außerdem bearbeitete die Kommission manche Anträge doppelt und dreifach. Weder sind die Akten beschriftet, noch gibt es ein Register, sodass nicht mehr nachprüfbar ist, ob sie komplett sind. In 57 Fällen gingen die Akten ganz verloren. Die Vertreter des Staates akzeptierten grundsätzlich die Wertangaben der Kirche, ohne eigene Gutachter zu beauftragen. Die Entscheidungen der Kommission, die in 22 Jahren nie kontrolliert wurde, waren unanfechtbar.

So gelang es der Kommission, alle 3036 Anträge auf Eigentumsrückerstattung abzuarbeiten sowie 500 Anträge ein zweites Mal zu begutachten und der katholischen Kirche eine weitere Kompensation zuzusprechen. Nur in 142 Fällen gab es keine Einigung.

"Wir haben rund 5000 Anträge eingereicht", so Kadlcik. Darunter seien allein 1200 Friedhöfe. Anders als bei der katholischen Kommission, die ihre Arbeit inzwischen beendet hat, ist die jüdische gerade einmal bei 42 Prozent aller Anträge angelangt. "Davon wurde rund die Hälfte abgelehnt", klagt Kadlcik. Wenn die restlichen Anträge in Zivilverfahren entschieden werden, müsse die jüdische Gemeinde einen Prozentsatz des Streitwertes ans Gericht zahlen und auch diverse Termine im ganzen Land wahrnehmen.

Kadlcik geht davon aus, dass lokale Gerichte eher gegen die jüdischen Antragssteller entscheiden würden und wohl erst das Oberste Gericht ein akzeptables Urteil sprechen würde. "Diese Kosten kann unsere kleine Gemeinde gar nicht tragen. Das ist offene Diskriminierung. Sollte die Regierung das tatsächlich beschließen, werden wir laut protestieren", kündigt Kadlcik an. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.3.2012)