Bild nicht mehr verfügbar.

Kärntner "Ortstafelsturm" alt und neu: Im Oktober 1972 eskalierte die Stimmung, zahlreiche zweisprachige Ortstafeln wurden demontiert (oben). Fast 40 Jahre später, im Oktober 2011, sind die Tafeln Ziel einer Schmieraktion (unten).

Foto: APA

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA

Wilfried Graf: "Viele deutschsprachige Kärntner wollen Versöhnung erreichen. Viele Slowenen wollen vorher Gerechtigkeit."

Foto: privat

Lena Yadlapalli stellte die Fragen.

STANDARD: Sie haben gerade mit "Kärnten liegt am Meer" ein zweites Buch über die deutschsprachige Mehrheit und die slowenische Minderheit in Kärnten herausgebracht – mit welchem Ziel?

Graf: Unser Projekt hat bereits zur Zeit des Kärntner Ortstafelstreits 2007 begonnen. Damals wurde in der eingerichteten Konsensgruppe ein erster Kompromiss erzielt, doch deren Mitglieder, vor allem Marjan Sturm vom Zentralverband slowenischer Organisationen und Josef Feldner vom Kärntner Heimatdienst, wurden von ihren jeweiligen Gruppen kritisiert, teilweise sogar als Verräter bezeichnet. Es gab großen Widerspruch. Ich hatte damals vorgeschlagen, mit Kärnten neu denken ein Buch herauszugeben, das den Konsensprozess transparent machen sollte. Im letzten Jahr hat man sich auf die 164 Ortstafeln geeinigt, aber es haben sich die sozialen und kulturellen Beziehungen zwischen den deutsch- und slowenischsprachigen Kärntnern noch nicht wirklich verbessert. Das zweite Buch zeigt, warum eine wirkliche Versöhnung nicht so einfach ist.

STANDARD: Inwiefern?

Graf: Im Ortstafelstreit gab es zwar eine politische Regelung. Es gibt aber noch zu viel Misstrauen in den Dörfern und Gemeinden. Wenn es nicht gelingt, den Konflikt über die Ortstafellösung hinaus auf eine nachhaltigere Weise zu lösen, wird er wahrscheinlich früher oder später auf einer anderen Ebene wieder weitergehen.

STANDARD: Wie könnte eine solche nachhaltigere Lösung aussehen?

Graf: Wir schlagen einen Dialog innerhalb und zwischen den Volksgruppen vor. Man muss dann die Suche nach gemeinsamen Zukunftsperspektiven mit einer Verarbeitung der Vergangenheit verbinden. Viele deutschsprachige Kärntner wollen, wenn sie in Richtung Dialog denken, häufig sofort die Versöhnung erreichen. Viele Slowenen wollen vorher Gerechtigkeit und Wahrheit. In Kärnten ist es nach wie vor sehr schwierig, Versöhnung und Wahrheit zusammenzudenken.

STANDARD: Sie regen auch eine grenzübergreifende Kooperation in der Alpen-Adria-Region an. Wie soll sie funktionieren?

Graf: In einem nächsten Schritt könnten sich Leute finden, die Kärnten neu gestalten wollen, grenzübergreifend mit Slowenien und Friaul. Wir stellen uns hier drei Bereiche vor: eine Förderung innovativer Regionalentwicklungsprojekte, eine Förderung der Mehrsprachigkeit und den Aufbau eines österreichisch-slowenischen Jugendwerks – begleitet von Trainings in Konfliktbearbeitung und wissenschaftlichen Projekten, um einen neuen Umgang mit der gemeinsamen österreichisch-slowenischen Geschichte zu finden. Das könnte auch Vorbildwirkung für Südosteuropa haben. Dort gilt es ja nach wie vor mit den jugoslawischen Nachfolgekriegen zurechtzukommen.

STANDARD: Die Begleitung von Konfliktprozessen ist auch der Fokus Ihres Instituts.

Graf: Wir bieten vor allem Beratung und Vermittlung in internationalen Konfliktsituationen an. Jüngst haben wir unser Institut für Integrative Konfliktbearbeitung und Friedensentwicklung in Herbert-C. -Kelman-Institut für Interaktive Konflikttransformation umbenannt. Denn Kelman – übrigens ein gebürtiger Wiener, der 1939 mit seiner Familie emigrieren musste und heute emeritierter Professor für Sozialpsychologie in Harvard ist – hat die Methode, die wir anwenden und auch weiterentwickeln, erfunden.

STANDARD: Was umfasst diese?

Graf: Wir arbeiten in Konfliktregionen in mehrjährigen Workshops mit Schlüsselpersonen, die zwar keine Entscheidungsträger sind, aber Zugang zu solchen haben. Ein Unterschied zur klassischen Mediation ist: Es wird nicht versucht, gleich mit Verhandlungen am runden Tisch zu beginnen. Dort kommen meist die "Moderaten" mit der Bereitschaft zum Dialog zusammen – und die "Hardliner" oder Fundamentalisten sind dagegen. Unser Dialogverfahren versucht auch innerhalb der jeweiligen Konfliktparteien zu arbeiten und dort die Diskussion zwischen Moderaten und Hardlinern zu befördern, bevor man sich mit den anderen zusammensetzt – oder parallel dazu. Ziel ist, die Personen längerfristig auf eine Begegnung vorzubereiten.

STANDARD: Sie unterstützen derzeit auch die Wiederbelebung eines Friedensprozesses zwischen Israel und Palästinensern. Wie?

Graf: Wir bieten seit 2005 Trainings zur Konfliktberatung an und haben etwa zehn Palästinenser und zehn Israelis als Konfliktvermittler ausgebildet. Nach sechs Jahren haben sie nun begonnen, konkret an Projekten zu arbeiten.

STANDARD: Das sind oft langwierige Prozesse?

Graf: Ja. Wenn Sie nach Erfolgen fragen, werden wir nicht viele finden. Wir haben es bei dieser informellen Diplomatie seitens der Zivilgesellschaft mit einem sehr jungen Arbeits- und Forschungszweig zu tun. Ich habe die Hoffnung, dass wir an etwas arbeiten, was in künftigen Generationen auf breiterer Ebene greift – quasi eine Pionierarbeit, auch wenn sie Herbert Kelman schon seit 50 Jahren betreibt. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.02.2012)