Martin Sajdik, jetzt UNO-Botschafter: "Vielen Chinesen geht es zu schnell."

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Zuletzt war Wiens neuer UN-Botschafter in New York, Martin Sajdik, viereinhalb Jahre Österreichs Missionschef in Peking. Lange davor, schon von 1980 an, hatte er in verschiedenen Aufgaben mehr als ein Jahrzehnt den Umbruch der Sowjetunion miterlebt. Das verschaffte ihm den für China wichtigen Einblick, was es heißt, unter "autoritären Strukturen zu leben und sie zu überwinden zu versuchen. Der Prozess des Übergangs ist schwieriger, als sich das die meisten im Westen vorstellen können."

Sajdik, der von 1997 bis 2007 in Wien für Fragen der EU-Integration zuständig war, bringt sich bei der Uno in New York nicht nur als überzeugter Europäer ein: "Ich glaube auch gelernt zu haben, wie man eine Sprache spricht, die von China und Russland verstanden wird." Österreich sei, um in der Uno Gehör zu finden, "zu einer Sicht der Dinge gezwungen, die partnerschaftlich orientiert ist".

Im Rückblick sieht Sajdik es als Versäumnis an, wie wenig ernsthaft sich Europa um eine Auseinandersetzung mit Chinas Riesenwandel bemühte. Viele Fragen warteten noch auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung, etwa, was sich in China während der jüngsten Weltwirtschaftskrisen verändert hat, was zehn Jahre Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) bewirkt haben, wie sich Europas traditionelle Industrien durch den Aufstieg Chinas veränderten.

Gerade weil Österreich und China ein so gutes Verhältnis untereinander pflegen, konnte er sich in Peking für ein deutliches Auftreten auch bei politisch heiklen Themen aussprechen. Hinter jeder Frage nach Menschenrechten stecke immer ein Plädoyer für mehr Rechtsstaatlichkeit. Ungeachtet aller Probleme habe er zugleich ein Maß an Offenheit in Chinas Gesellschaft gefunden, "das ich mir so vorher nicht vorgestellt hatte". Doch im Alltag komme immer wieder die große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zum Vorschein, zwischen dem Selbstverständnis des Reichs der Mitte als Hochkultur und seinem Verhalten, auch gegenüber den Minderheiten.

Unergründetes Geheimnis

Einem Geheimnis kam Hobby-Fußballer Sajdik in all seiner Zeit nicht auf die Spur. "Warum konnte ich keinen einzigen kickenden Buben an einer Straßenecke sehen? Nirgends gab es Höfe, wo Buben herumballern konnten." Fußball sei doch eines der Spiele, die den für eine offene Gesellschaft so wichtigen Teamgeist wecken.

Viereinhalb Jahre als Botschafter haben Sajdik nachdenklich zurückgelassen. Das Land stehe in einer Entwicklung, auf die es noch nicht vorbereitet sei. Die Menschen, mit denen er zu tun hatte, schwankten zwischen dem Stolz, es geschafft zu haben, und dem Bewusstsein, dass auch ihnen alles zu schnell geht. (DER STANDARD Printausgabe, 28.2.2012)