Karls Pläne: Bezirksgerichte werden aufgewertet, Kaffee-Einladungen sind auch künftig nicht kriminell.

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Wien - Sie wolle den Straftatbestand des "Anfütterns" wieder verschärfen und die Bestechung auch für "pflichtgemäßes Handeln" von Ministern, Mitgliedern der Bundesregierung, der Landesregierungen und Bürgermeister strafbar machen, sagte Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) im Standard-Interview.

Die Annahme von Geschenken soll auch im Nachhinein verboten werden. Karl: "Etwa, wenn ein Bürgermeister jemandem zwar rechtmäßig eine Baubewilligung erteilt, sich danach aber auf eine Karibikreise einladen lässt."

Karl verteidigte auch die Zusammenlegung von Bezirksgerichten und die von ihr geplante Diversion bei minder schweren Fällen von Wirtschafts-, Amtsmissbrauchs- und Korruptionsdelikten. Anwälte, Richter und Gewerkschaft protestieren, der Chef des Rechtsanwaltstags (Örak), Rupert Wolff, sagte, die Regelung erwecke "den Eindruck, dass es sich Politiker richten können".

Empörung herrschte am Wochenende auch in der Causa "Aktenschwärzung": Der parlamentarische Untersuchungsausschuss hat den Steuerakt des Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly mit vom Finanzamt zensurierten Passagen bekommen, wogegen alle Parteien protestierten. Experten geben den Kritikern recht.

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Standard: Frau Ministerin, Sie sind in Bad Gleichenberg aufgewachsen. Bisher waren es von dort 13 Kilometer zum nächsten Bezirksgericht, nach ihren Plänen sind es künftig 40. Ist das besserer Zugang zum Recht für die Bürger?

Beatrix Karl: Die Bürger fahren im Schnitt ein- bis zweimal im Leben zum Bezirksgericht. Da ist eine längere Anreise zumutbar. Dafür hat man handfeste Vorteile.

Standard: Welche?

Karl: Eine größere Spezialisierung, ein besseres Bürgerservice und besser Sicherheitsvorkehrungen.

Standard: Was meinen Sie mit Spezialisierung?

Karl: Es soll die Möglichkeit geben, dass sich ein Richter auf wenige Fachbereiche spezialisiert. Bei einer Scheidung nimmt man auch einen Scheidungsanwalt und keinen Wirtschaftsrechtler.

Standard: Die Zusammenlegungen erscheinen teilweise willkürlich. Ist das noch verhandelbar?

Karl: Mein Hauptkriterium war, dass ich nur noch Bezirksgerichte mit mindestens vier Richtern haben will. Die regionalen Besonderheiten werden natürlich in den Gesprächen mit den Ländern eine Rolle spielen. Aber man muss eines sehen - die Zeit der Kutschen ist vorbei. Die Grundzüge der Gerichtsorganisation gehen auf das Jahr 1869 zurück.

Standard: Warum, glauben Sie, haben die Landeshauptleute das dennoch reflexartig abgelehnt?

Karl: Sie haben es nicht reflexartig abgelehnt. Es haben alle Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Standard: Haben Sie den Eindruck, dass das auch eine Machtfrage ist? Nach dem Motto: Je mehr Bezirksgerichte, desto mächtiger bin ich als Landeshauptmann?

Karl: Nein, das glaube ich nicht. Aber aus Sicht der Bürgermeister ist es ein zentrales Thema. Es ist auch verständlich, dass die sich für die Infrastruktur in ihrem Ort einsetzen.

Standard: Was passiert, wenn der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler wie angekündigt ein Veto einlegt?

Karl: Ich setze nach wie vor auf den Gestaltungswillen der Landeshauptleute. Es geht hier ja um einen Beitrag zur dringend nötigen Verwaltungsreform.

Standard: 20 Millionen Euro muss die Justiz bis 2016 einsparen. Bedeutet das auch Personalkürzungen? Gleichzeitig wird der Versetzungsschutz von Beamten gelockert. Werden dann beispielsweise mehr Staatsanwälte aus Niederösterreich nach Wien beordert?

Karl: Ich spare bei den Strukturen und nicht beim Personal. Und im Moment sind keine Versetzungen angedacht. Es ist natürlich immer wieder schwierig hier in Wien die freien Planstellen zu besetzen. Aber nach und nach kommen neue Staatsanwälte dazu.

Standard: Aber es gibt noch immer eine hohe Fluktuation in Wien.

Karl: Es kommt dazu, dass gerade bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und auch der normalen Staatsanwaltschaft viele brisante Fälle anhängig sind, die sehr stark im Brennpunkt der Öffentlichkeit stehen. Und das ist vielleicht eine Situation, die nicht jedermanns Sache ist.

Standard: Nochmals zurück zum Personal. Wenn Ein-Mann-Bezirksgerichte geschlossen werden, werden ja wohl nicht auch alle Vertragsbediensteten von dort am neuen Standort benötigt?

Karl: Wir werten die neuen Bezirksgerichte ja auf. Momentan werden nur Fälle bis zu einem Streitwert von maximal 10.000 Euro bei Bezirksgerichten verhandelt. Künftig werden das 25.000 Euro sein, es werden also Fälle von den Landes- an die Bezirksgerichte abgegeben.

Standard: Sie wollen derzeit keine Versetzungen von Staatsanwälten. Gleichzeitig werden im Ausland bei den clamorosen Fällen ungleich mehr Beamte eingesetzt. Sehen Sie da keinen Nachholbedarf ?

Karl: Natürlich, bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sind noch offene Planstellen. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Wirtschafts-Know-how vorhanden ist. Da müssen wir auf externe Expertise zugreifen. Deshalb sind wir jetzt dazu übergegangen, den Staatsanwaltschaften auch Wirtschaftsexperten zur Verfügung zu stellen.

Standard: Es sind diese großen Fälle, die das Vertrauen in die Justiz beschädigen. Gleichzeitig wird ein schärferes Antikorruptionsgesetz ewig angekündigt und bis dato nicht realisiert.

Karl: Natürlich gibt es in unserem Korruptionsstrafrecht Lücken, die geschlossen werden müssen. Ich bereite Verbesserungsvorschläge vor - etwa beim "Anfüttern" oder Abgeordnetenbestechung. Ich werde dem Parlament kommende Woche die Vorschläge des Justizressorts übermitteln.

Standard: Wie viele Kaffee-Einladungen sind also künftig erlaubt?

Karl: (lacht) Ich weiß nicht? Zwei Große und drei Kleine? Nein, im Ernst: Die Kritik an der vorigen Regelung war ja, dass sie zu Unsicherheiten geführt hat. Das war so formuliert, dass die Leute wirklich nicht wussten, ob die Kaffee-Einladung schon kriminell ist. Dann hat man das geändert, und dann war es wieder zu lax. Die Kunst wird sein, die Novelle so zu formulieren, dass sie strenger ist als die bisherige Regelung und dabei Rechtssicherheit gibt. Von der Nennung konkreter Beträge im Gesetzestext halte ich wenig, es soll aber vor allem auch durch die Erläuterungen zum Gesetzestext klar herausgearbeitet werden, was erlaubt ist und was nicht.

Standard: Wie wird die Formulierung also lauten?

Karl: Die Details erfahren Sie in den nächsten Tagen. Im Grundsatz geht es darum, dass wir den Straftatbestand des "Anfütterns" wieder verschärfen und die Bestechung auch für pflichtgemäßes Handeln von Ministern, Mitgliedern der Bundesregierung, der Landesregierungen und der Bürgermeister strafbar machen. Damit folgen wir zugleich einer Empfehlung von Greco.

Standard: Wird Geschenkannahme grundsätzlich verboten?

Karl: Ja. Wichtig ist mir auch, dass die Annahme von Geschenken für pflichtgemäßes Handeln verboten sein wird, selbst wenn das "Geschenk" erst im Nachhinein gegeben wird: etwa, wenn ein Bürgermeister jemandem zwar rechtmäßig eine Baubewilligung erteilt, sich danach aber dafür auf eine Karibikreise einladen lässt.

Standard: Gibt es Geldbußen, oder reden wir von Haftstrafen?

Karl: Grundsätzlich sind bei so schweren Fällen des "Warmhaltens" Freiheitsstrafen vorgesehen.

Standard: In Deutschland zögert die Staatsanwaltschaft keinen Augenblick, gegen den Bundespräsidenten wegen des Verdachts der Vorteilsannahme zu ermitteln. In Österreich dauern die clamorosen Fälle ewig. Haben Sie sich im Zuge der Enthüllungen im U-Ausschuss gedacht: Da hätten wir schneller agieren müssen?

Karl: An den U-Ausschuss wurden sehr viele Akten angeliefert, der Großteil kommt von der Staatsanwaltschaft. Daran sieht man, wie fleißig hier gearbeitet wurde.

Standard: Warum gibt es bis dato keine Anklagen?

Karl: Weil die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind - das sieht man ja auch gerade bei diesen komplexen Materien. Es müssen auch Rechtshilfeersuchen ans Ausland gestellt werden, das kostet Zeit. Aber dass solche Verfahren lange dauern, liegt sicher nicht daran, dass die Staatsanwaltschaft schlecht arbeitet.

Standard: Bleibt wieder die Frage der personellen Ressourcen: Es macht einen Unterschied, ob ein Staatsanwalt zehn Laufmeter Akten durchackert oder zwei.

Karl: Da gebe ich Ihnen völlig recht, daher bin ich auch sehr dafür, dass mehr im Team gearbeitet wird. Und ich bin für mehr Diversion - obwohl das für große Aufregung gesorgt hat.

Standard: Kritisiert wird vor allem, dass man sich dadurch von Verfehlungen freikaufen kann.

Karl: Das ist nicht so. Wir wollen die Möglichkeit der Diversion auch auf Vermögens-, Amtsmissbrauch- und Korruptionsfälle ausdehnen - aber nur auf minder schwere Fälle, etwa, wenn die 16-jährige Amtsgehilfin verbotenerweise im Melderegister nachsieht, wo der Ex-Freund jetzt wohnt. Die steht bis dato vor einem Schöffengericht. In Hinkunft wird der Fall schnell erledigt, wenn sie Schuldeinsicht hat und zu Wiedergutmachung bereit ist. Es ist wichtig, dass sich die Staatsanwaltschaft auf die schweren Fälle konzentrieren kann. Das ist ein Wunsch vor allem der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. (Michael Möseneder, Petra Stuiber, DER STANDARD, Printausgabe, 27.2.2012)