Hellgrau und mit großen Fenstern ragt der Amtssitz des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in den Himmel, ein Bürokomplex wie viele andere in den Außenbezirken von Den Haag. Innerhalb dieser Wände geht es um die schlimmsten Verbrechen, die die Menschheit kennt: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord. Sie zu verhüten und zu bestrafen - das ist die Aufgabe des ICC.

Der ICC, der 2002 seine Arbeit aufgenommen hat und dem heute 120 Staaten angehören, ist der erste ständige Gerichtshof für diese Delikte - der Höhepunkt einer Entwicklung, die mit den Nürnberger Prozessen gegen die Naziverbrecher begann. Die UN-Tribunale für Exjugoslawien und Ruanda, die Gerichtshöfe für Verbrechen in Sierra Leone, Kambodscha und dem Libanon wie auch entsprechende nationale Gesetze - sie alle eint vor allem ein Grundsatz, zu dem sich inzwischen ein Großteil der Staatengemeinschaft bekennt: keine Straflosigkeit mehr, denn die schwersten Verbrechen gehen alle etwas an.

Ein hehres Ziel, das die Wirklichkeit nicht immer einlösen kann. "Vom Anspruch auf Universalität ist wenig übrig geblieben, denn nur in sehr wenigen Fällen wird reagiert", sagt der deutsche Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der sich in einem neuen Buch (Mit zweierlei Maß, Verlag Wagenbach, Berlin) kritisch mit der internationalen Strafgerichtsbarkeit auseinandersetzt. "Es ist ein Irrglaube, dass hier rein nach juristischen Kriterien vorgegangen wird." Das Völkerstrafrecht, schreibt er, werde politisch selektiv und überwiegend gegen schwache, gefallene und besiegte Potentaten angewandt.

Tatsächlich hat, wer noch mächtige Verbündete auf seiner Seite weiß, wenig zu befürchten. Beispiel: Während der Uno-Sicherheitsrat den Fall Libyen sehr rasch an den ICC überwies, kann die syrische Staatsspitze einstweilen auf die Unterstützung der UN-Vetomacht Russland zählen.

Mögliche Verbrechen von westlicher Seite wie die Folterskandale im Antiterrorkampf der USA sind bis jetzt gar nicht zur Sprache gekommen - für Kaleck ein ernstes Problem für die Glaubwürdigkeit des Völkerstrafrechts. "Überall auf der Welt wird gesagt, dass hier etwas passieren muss - nur unsere Politiker meinen, das ausblenden zu können." Deshalb hatte der Anwalt zweimal - vergeblich - in Deutschland eine Anzeige gegen Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere hochrangige US-Vertreter eingebracht. Grundlage ist das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, das auch die Ahndung von schwersten Verbrechen erlaubt, die keinen Bezug zu Deutschland haben.

Befürworter verweisen dagegen auf den Grundsatz, dass die internationale Strafgerichtsbarkeit nur dann greift, wenn nationale Gerichte nicht aktiv werden können oder wollen. Das treffe auf die westlichen Staaten gar nicht zu, im Gegensatz etwa zu einigen Ländern in Afrika, wo sich alle Fälle ansiedeln, die der ICC bis jetzt behandelt. Neben Libyen, dem Sudan, Kenia und Uganda sind das Zentralafrika, die Demokratische Republik Kongo und Côte d'Ivoire, drei dieser Länder haben den Internationalen Strafgerichtshof selbst mit den Ermittlungen beauftragt. Das erste Urteil des im Fall des kongolesischen Exmilizführers Thomas Lubanga wird in den nächsten Wochen erwartet. (raa/DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.2.2012)