Martin L. Gore von Depeche Mode und Vince Clarke von Erasure, produzieren als VCMG 90er-Jahre-MinimalTechno.

Foto: Mute Records

Vince Clarke und Martin L. Gore zählen mit den frühen Hits ihrer einstigen gemeinsamen Band Depeche Mode aus dem britischen Basildon längst zur DNA der Popmusik. Sie legten dank ihres Erfolgs auch den Grundstein für den Aufstieg des Londoner Mute-Labels. Und sie halfen zu dieser Zeit wohl mehr als einmal, Leuten wie Nick Cave oder Blixa Bargeld die Miete und die Freizeitchemie zu finanzieren, wenn es sich am Monatsende gerade wieder nicht ausging.

Noch bevor Depeche Mode mit ihrer aus einer Liebe zum Gassenhauer ebenso wie aus Industrial und Pop-Avantgarde gespeisten Hybridform des Synthiepop zu Weltstars wurden, deren Erfolg bis heute anhält, verließ Vince Clarke die Band. Er überließ Martin L. Gore die musikalischen Geschicke Depeche Modes. Clarke regierte mit anschließenden Duoprojekten wie den großartigen, nur einige Jahrhundertsongs wie Only You haltenden Yazoo und (bis heute) mit Erasure als Kapitän in seichteren Gewässern. Bei Martin L. Gore und Depeche Mode schlich sich darauf jener nun auch mit Gitarren bewaffnete Rockismus ein, der einen Erfolg in den USA erst ermöglichte. Vince Clarke blieb der synthetisch generierten Musik immer treu. Er kultivierte gemeinsam mit altvorderen Vorbildern wie Brian Eno weiterhin eine heimliche Liebe zur emotionalen Direktheit klassischen deutschen Schlagers.

Seither sind 30 Jahre vergangen. Depeche Mode ziehen noch immer durch die großen Hallen dieser Welt. Erasure hatten in letzter Zeit ein wenig Pech. Man konnte sie zwischendurch auch als Attraktionen nostalgischer Showpakete erleben, die gemeinsam mit anderen rüstigen Vertretern der 1980er-Jahre gemeinsam auf Gastspielreise gingen. Über die aktuellen Arbeiten Depeche Modes und Erasures muss man weiter keine Worte verlieren. Die Stagnation auf nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit befindlichem Niveau ist allerdings nicht wegzudiskutieren.

Bei einer Jubiläumsshow des Mute-Labels in London im Vorjahr traf man sich backstage, begrub möglicherweise einige Männerdinge wie die Frage, wer von ihnen beiden den größeren Synthesizer besitzen würde. Man begann mit der vorsichtshalber zwischengeschobenen Distanz der Elektropost, an gemeinsamen Tracks zu arbeiten. Es hatte sich herausgestellt, dass beide schon ab den 1990er-Jahren eine heimliche Liebe zu Techno hegten. Dafür muss man auch keine hübschen Melodien oder genialen Songtexte verschwenden, mit denen man seine Stammbands weiter über Wasser halten kann. Nun erscheint nach einer ersten EP im Herbst 2011 unter dem Signet VCMG das gemeinsame Album Ssss.

Im Vorfeld war zu hören, beide Herren würden sich darauf an Minimal Techno abarbeiten. Das ist jene Form von Techno, die derart auf das rhythmische Grundgerüst abgespeckt ist, dass sich alle Clubbetreiber dieser Welt über dieses Genre immerdar freuen - und es seit Jahrzehnten propagieren, weil sich das frustrierte Publikum die Euphorie nicht auf der Tanzfläche holen kann, sondern dazu an die Bar muss. Dem ist aber nicht so. VCMG üben sich lieber im Malen nach Zahlen und legen in den insgesamt zehn Tracks den Schwerpunkt lieber auf nostalgische, gut 20 Jahre alte Dancefloorerinnerungen und vorgefertigte Keyboardsounds. Dazu kommen durch lustige Sound-Gimmicks behübschte Marschierbeats, wie man sie speziell in der britischen Szene von Acts wie Underworld und anderen Vertretern der Generation Trainspotting in Erinnerung hat.

Nostalgie aber ist der Anfang vom Ende. Das weiß jeder Vertreter einer Bewegung, die sich den Fortschritt auf die Fahnen geschrieben hat. Manchmal, etwa im Track Skip This Track, geht es überhaupt zurück in jene Zeit, als mit Basssequencer und wuchtigen teutonischen Beats die absolute Körperkontrolle und die Verschwendung der eigenen Jugend eingefordert wurde. Back to basics. Aber die Jugend ist weg. Was tun? (Christian Schachinger  / DER STANDARD, Printausgabe, 24.2.2012)