Leitstelle Graz: Alle 59 Sekunden ein Einsatz,
270 Anrufe pro Stunde.

Foto: Rotes Kreuz/Nadja Meister
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Dispatcher Daniel.

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Einsatzleiter Toni Seelos: "Das nächste freie Auto muss nicht das schnellste sein."

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Alles passiert hier gleichzeitig. "Schauen Sie, ob er atmet." - "Was für einen Anfall hat sie?" - "Wir sind mit Blaulicht unterwegs." - "Keine Angst, ich bleibe bei Ihnen am Telefon." - "Können Sie selber gehen?" - "Bringen Sie sie in die stabile Seitenlage. Ich sage Ihnen, wie das geht." Alle 59 Sekunden ein Einsatz. Bis zu 90 Anrufe gleichzeitig. Bis zu 270 in der Stunde. Die Landesleitstelle des Roten Kreuzes in Graz brummt vor Aktivität. Hektik herrscht hier trotzdem nicht. 15 Rotkreuz-Helfer sitzen mit ihren Headsets an halbrunden Tischen vor Bildschirmen und Touchscreens. Sie sind das Bindeglied zwischen Anrufern, die den Notruf 144 wählen, und dem Rettungsdienst. Wer 144 wählt, setzt eine enorme Maschinerie in Gang.

Wo, was, wem?

Anton "Toni" Seelos ist heute diensthabender Offizier. Sein Job und der seiner Kollegen ist es, das richtige "Rettungsmittel"- Krankenwagen? Notarzt? Hubschrauber? - so rasch wie möglich zu kranken oder verletzten Patienten zu bringen: mehr als 200 Fahrzeuge, dazu die Flotte der Christophorus-Flugrettung. Unterstützt werden sie dabei von modernster Technik, die bis unter die Decke reicht.

Calltaker nehmen die Anrufe entgegen. Sie müssen aus aufgeregten Menschen rasch drei Dinge herausbringen: Wo ist etwas passiert? Was? Und wem? Namen und Adresse einer Patientin hat Toni schon auf seinem Schirm. Ihre Schwester berichtet von einem epileptischen Anfall. "Jetzt ist sie bewusstlos", schreit sie ins Telefon. "Das ist die Nachschlafphase nach einem Krampfanfall", spricht Toni ruhig ins Mikrofon. "Es sieht aus wie Bewusstlosigkeit. Deshalb behandeln wir sie auch wie eine Bewusstlose. Bringen Sie sie in die stabile Seitenlage."

Die Anruferin weiß nicht, wie das geht. Toni erklärt es Schritt für Schritt und tippt ins Keyboard: "A+ PAT IN SSL". Das bedeutet: Die Patientin atmet und befindet sich in stabiler Seitenlage, damit sie nicht erstickt. Inzwischen ist viel passiert. Seit Toni Einsatzort, Namen der Patientin und Art der Erkrankung kennt, ist der Notfall im Einsatzleitsystem gespeichert.

Während Toni noch Erste-Hilfe-Anweisungen gibt, ist schon ein Rettungswagen unterwegs. Daniel, heute Dispatcher, hat den Notfall längst auf seinem Schirm. Nach Tonis Angaben entscheidet er: Notarzt? Rettungswagen? Kann der Einsatz etwas warten? In diesem Fall schickt er einen Rettungswagen.

Flight Following

Das ist aber nicht alles, was er gerade tut. Irgendwo in den steirischen Bergen hängt ein Kollege am Seil von einem Hubschrauber herunter, um einen abgestürzten Alpinisten zu versorgen. Daniel verfolgt den Einsatz aufmerksam mit. Einen anderen Hubschrauber hat er zu einem lebensbedrohlichen Notfall entsendet, jetzt kommt das "Flight Following": Daniel verständigt das nächste Krankenhaus, der Patient wird auf dem Dach übergeben, wo das Team der Chirurgie wartet.

All das dauert nicht einmal eine Minute. Inzwischen hat Toni seine Anruferin immer noch in der Leitung. Auf dem Schirm sieht er ein Luftbild des Einsatzortes. "Da ist ein Hofer schräg gegenüber, stimmt das?", fragt er. Die Frau bejaht. "Davor ist ein Parkplatz, dahinter ein Park, nicht?" Die Informationen braucht er zwar nicht. Aber das Gespräch bewahrt die Angehörige der Patientin vor einem Nervenzusammenbruch. Da hört man über das Telefon schon das Folgetonhorn des Rettungswagens ...

Wie Schachspielen

Auf einem weiteren Schirm sieht Daniel den Status "seiner" Autos in verschiedenen Farben: Wer ist frei? Wer zu einem Einsatz unterwegs? Wer im Spital angekommen? "Das nächste freie Auto muss nicht immer das schnellste sein", erklärt Toni und zeigt auf die Zeile TA ("Transport Arrived"). "Der rote TA hier wird in zwei Minuten frei sein. Wenn in der Nähe etwas passiert, ist er schneller dort als ein freier Wagen, den ich erst durch die ganze Stadt schicken muss."

Auch die hellblau markierten Fahrzeuge behält der Dispatcher im Auge: "Die haben noch keinen Patienten an Bord. Der hier holt einen aus dem Krankenhaus ab. Wenn auf seinem Weg ein Notfall passiert, ziehe ich den Wagen mit einem Mausklick ab und schicke ihn dorthin." Noch ein Mausklick, und schon fährt ein anderer Wagen zur Abholung ins Krankenhaus.

Die Besatzungen der Rettungsfahrzeuge sehen diese Anweisungen auf den GPRS-Datenterminals, wohin sie per Datenfunk übertragen werden. Taktik ist beim Disponieren wichtig - "es ist so ähnlich wie Schachspielen", sagt Toni. Stressresistent müssen die Helfer auch sein. Wenn etwa, wie jetzt, Angehörige eines Verletzten am Telefon weinen und schreien. Ruhig stellt Toni die Fragen nach dem Wo, Was und Wem und sagt: "Keine Angst, ich bleibe bei Ihnen am Telefon." Und im Hintergrund: Telefon, Touchscreen - Tempo! (Robert Dempfer, Magazin Henri, 21.2.2012)