Wissenschafter aus der ganzen Welt kritisieren überhöhte Abonnementgebühren für einzelne wissenschaftliche Journale und die Praxis, wenige wichtige Zeitschriften in großen Paketen an Bibliotheken zu verkaufen.

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Wien - "Ich werde nicht publizieren, nicht begutachten und keine redaktionellen Arbeiten übernehmen." Über 6.700 Wissenschaftler aus der ganzen Welt (Stand Montag Abend) protestieren mit diesem Bekenntnis und ihrer Unterschrift gegen einen der größten Fachverlage der Welt: Elsevier. Sie kritisieren überhöhte Abonnementgebühren für einzelne wissenschaftliche Journale und die Praxis, wenige wichtige Zeitschriften in großen Paketen an Bibliotheken zu verkaufen. Außerdem wirft die vom britischen Mathematiker Timothy Gowers begründetet Initiative "The Cost of Knowledge" dem niederländischen Verlag Lobbying gegen den freien Zugang zu Forschungsergebnissen vor.

Die Vorwürfe im Detail: Elsevier publiziert rund 2.600 Zeitschriften, darunter einige der wichtigsten naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften wie "Cell" und "The Lancet". Dabei stützt sich der Verlagsriese auf ein großes Netz an Forschern, die Artikel begutachten oder als Herausgeber fungieren - das "peer review"-Modell. Das geschieht meist auf ehrenamtlicher Basis. Dennoch sind die Preise für Elsevier-Journale hoch, was Bibliotheken oder Forschungseinrichtungen vor Probleme stellt. Deshalb setzt der Verlag auf die Praxis der Bündelung. Zusammen mit einigen wichtigen Magazinen werden im Paket zahlreiche weniger populäre Publikationen verkauft.

Recht auf freien Zugang zu Ergebnissen

Weil Forschungsergebnisse oft durch öffentliche Gelder finanziert wurden, argumentiert die Initiative rund um Fields-Medaillen-Träger Gowers, habe die Öffentlichkeit auch ein Recht auf freien Zugang zu den Resultaten. Sie fordern eine Ausweitung der sogenannten "Open Access"-Politik, die das Ziel verfolgt, Erkenntnisse allgemein und frei zugänglich zu machen. Besonders unbeliebt hat sich Elsevier daher mit seiner Unterstützung für Gesetze gemacht, die das in Zukunft unterbinden wollen. So zum Beispiel der in Planung befindliche US-amerikanische "Research Works Act", der die freie Veröffentlichung öffentlich finanzierter Forschung erschweren soll.

Elsevier wehrt sich in einem offenen Brief an die Forscher-Community gegen den Vorwurf der Preistreiberei: Es sei noch niemals so günstig gewesen, einzelne Artikel herunterzuladen. Der Durchschnittspreis betrage etwa ein Fünftel des Preises vor zehn Jahren. Außerdem gäbe es keinen Paket-Zwang für Bibliotheken - die meisten würden sich aufgrund der Rabattpreise dafür entscheiden. Auch betreibe man kein Lobbying gegen Open Access, sondern wolle nur die Zukunft der Journale sichern.

Der niederländische Verlag ist nicht der einzige, den die Forscher kritisieren. Langfristig will die Initiative auch bei anderen großen Wissenschaftsverlagen wie Springer ansetzen. Inzwischen empfehlen die Protestierenden, auf kostenlose oder billigere Fachzeitschriften auszuweichen und die Artikel auch online zu publizieren.

Bibliotheken "in der schwächsten Position"

Der Boykott Elseviers durch Tausende Forscher macht das Dilemma des wissenschaftlichen Publikationswesens deutlich, auf dessen einen Seite die auf Gewinn ausgerichteten Großverlage stehen, auf der anderen Seite die für freien Zugang zu Wissen kämpfende "Open Access-Bewegung". In der Mitte sitzen die Bibliotheken, "wir befinden uns in der schwächsten Position", sagt Eva Bertha, Leiterin der Bibliothek der TU Graz.

Die Bibliotheksbudgets schrumpfen, trotzdem müssen die Unis die jährlichen Preissteigerungen der großen Wissenschaftsverlage hinnehmen. Denn ihre Aufgabe ist es, Studenten und Forscher mit aktuellster Fachliteratur zu versorgen. Dem Elsevier-Boykott kann sich deshalb keine österreichische Uni-Bibliothek anschließen - auch wenn sie mit der aktuellen Situation unglücklich sind.

Verlage wie Springer, Wiley-Blackwell und Elsevier geben viele der wichtigsten Fachzeitschriften der Welt heraus. Hier zu publizieren ist Voraussetzung für ein Fortkommen in der wissenschaftlichen Community. Zwar arbeiten die meisten Forscher gratis für die Zeitschriften, dennoch lassen sich die Verleger die zur Verfügung gestellte Infrastruktur teuer bezahlen. Ihren Umsatz sichern die Verlage zusätzlich mit automatischen Preissteigerungen von mindestens fünf Prozent pro Jahr und der Etablierung neuer Geschäftsmodelle, wie etwa Bündelung. Die Kosten für ein naturwissenschaftliches Journal mit hohem Bekanntheitsgrad belaufen sich auf mehrere tausend Euro pro Jahr.

Angebot und Trick

Natürlich könne man auch für jede Fachzeitschrift einzeln bezahlen, sagt Maria Seissl, die Direktorin der Universitätsbibliothek Wien im Gespräch. Aber das käme viel zu teuer. Deshalb kaufen Bibliotheken gerne Pakete, die mehrere Zeitschriften beinhalten. "Das ist das verlockende Angebot und gleichzeitig auch der Trick", so Seissl. Zum Preis von drei, vier wichtigen Journalen erhalte man zehn. Darunter auch solche, die eigentlich nicht gebraucht würden. Problematisch werden diese Pakete aber erst, wenn man einzelne Zeitschriften nicht mehr wolle. "Die Verlage machen es schwer, einzelne Journale abzubestellen. Das Bestellvolumen muss immer gleich bleiben. Will die Bibliothek eine alte Zeitschrift nicht mehr, muss sie eine neue dazunehmen", so Bertha. Das schränke die Flexibilität enorm ein.

Als möglichen Ausweg aus der Monopolstellung der großen Verlage hoffen viele Forscher auf "Open Access". Auch der Wissenschaftsfonds (FWF) spricht sich dafür aus: "Entscheidend ist, dass einerseits eine ausreichende Diversität und damit Wettbewerb von Verlagen gesichert bleibt und andererseits wissenschaftliche Erkenntnisse als 'öffentliches Gut' für alle frei zugänglich gemacht werden", heißt es in einer Stellungnahme zu dem Elsevier-Boykott.

Hybridmodelle - u.a. Autorengebühren

Aber auch die großen Verlage haben sich schon mit dem "Open-Access"-Modell angefreundet und Hybridmodelle entwickelt, so Seissl. Die Verlage ermöglichen zwar die freie Zugänglichkeit von Arbeiten, lassen sich aber die Organisation der notwendigen Begutachtung durch Experten bezahlen - und zwar vom Autor selbst. "Damit werden die Kosten auf die Autoren abgewälzt. Ein freigekaufter Artikel kann mehrere tausend Euro kosten", sagte Seissl. Dieses "Open-Access"-Modell kann sich auch der FWF vorstellen: Zeitschriften sollen in Zukunft u.a. durch Autorengebühren, Forschungsinstitutionen, Fachgesellschaften oder Fördergeber finanziert werden.

Bruno Bauer, Leiter der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien und Vorsitzender des Forums Universitätsbibliotheken Österreichs, warnt im Gespräch vor "Open Access" als Allheilmittel. Beim Modell zum Beispiel, bei dem das Zeitschriftensystem bliebe, aber auf Autorengebühren umgestellt und diese von Unis bezahlt würden, käme das zwei- bis dreimal so teuer wie das momentan gängige Lizenzmodell. "Im schlimmsten Fall könnten dann nur noch Unis mit großen Geldressourcen in den wichtigen Journalen publizieren." Denn je bekannter ein Journal, desto höher wäre die Autorengebühr. "Um wirklich etwas zu ändern, müsste man das gesamte Zeitschriftensystem aushebeln und sich von der Idee des 'einflussreichen' Journals verabschieden", sagt Bauer.

Einkaufsgemeinschaft

Die Universitätsbibliotheken Österreichs haben derzeit ein Abkommen mit Elsevier, das den Zugriff auf alle Journale des Verlags ermöglicht. Gelungen ist dies durch den Zusammenschluss auch mit anderen Forschungseinrichtungen zur Einkaufsgemeinschaft "Kooperation E-Medien Österreich". "So können uns die Verlage nicht gegenseitig ausspielen und wir haben am Verhandlungstisch mehr Macht", erklärt Seissl. Dennoch geben die meisten Universitätsbibliotheken mindestens 50 Prozent ihres Budgets für Zeitschriften aus, bei den technischen Unis seien es sogar 80 bis 85 Prozent, so Bauer. (APA/red)