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Ersichtlich ist der seit bereits zehn Tagen andauernde Streik der Müllabfuhr in Marseille.

Foto: REUTERS/Jean Paul Pelissier
Paris - Mit Streiks, Straßenblockaden und Kundgebungen haben die französischen Gewerkschaften am Donnerstag ihren Protest gegen die Pensionsreform der konservativen Regierung von Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin fortgesetzt. Bei der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr kam es am zehnten Tag in Folge zu Behinderungen, doch schien die Mobilisierung weiter abzubröckeln. In zahlreichen Städten begannen die landesweiten Maturaprüfungen unter Polizeischutz. Besonders schlimm war die Situation in Marseille. Bei sommerlicher Hitze türmten sich stinkende Abfallberge auf den Straßen, weil die Müllabfuhr schon seit zehn Tagen streikt. Einer aktuellen Umfrage zufolge steht die Mehrheit der Franzosen hinter den Streiks.

Polizei sicherte Prüflingen Zugang

An Schulen in den südfranzösischen Städten Toulouse, Avignon, Marseille, Nizza und dem korsischen Bastia sicherte Bereitschaftspolizei den Prüflingen den Zugang und verhinderte Blockadeaktionen streikender Lehrer. Die Gewerkschaften im Erziehungswesen, die seit Monaten auch gegen Dezentralisierungspläne mobil machen, haben einen ordnungsgemäßen Ablauf der Reifeprüfungen zugesichert. Bildungsminister Luc Ferry und Staatspräsident Jacques Chirac lobten die "verantwortungsbewusste" Haltung der meisten Lehrer.

Schultore zugekettet

Allerdings ketteten Lehrer in Roanne (Zentralfrankreich) und in Avignon Schultore zu. Mancherorts beteiligten sich Pädagogen an Straßenblockaden. Die Staatsbahn SNCF setzte Sonderzüge für die Maturanten ein, die am Donnerstag ihre Philosophie-Prüfungen ablegen sollten. Den mehr als 500.000 betroffenen Maturanten wurde ausnahmsweise erlaubt, bis zu zwei Stunden verspätet bei der Prüfung zu erscheinen.

Großdemonstration

In der südfranzösischen Metropole Marseille riefen Gewerkschaften zu einer Großdemonstration auf, an der sich die nationalen Chefs der bedeutendsten Arbeitnehmerorganisationen beteiligten. Erneut fuhren in der Hafenstadt nur wenige Busse und Straßenbahnen. Die Feuerwehrleute mussten bereits mehr als hundertmal einschreiten, um Müllbrände zu löschen. Der Bürgermeister Jean-Claude Gaudin, von Raffarins Regierungspartei UMP sagte, die Situation sei nicht länger zu ertragen. Es machten sich Ratten breit und es gebe eine Masern-Epidemie in der Stadt, erklärte Gaudin im Radio Europe-1. Er wolle die Armee einsetzen, um zumindest gewisse Straßen vom Müll befreien zu lassen.

Öffentlicher Verkehr verlief unregelmäßig

Insgesamt kündigte die SNCF am Donnerstagvormittag die regelmäßige Abfahrt von zwei Drittel der Züge an. Die Linie Paris-Toulouse, sowie bei einigen Linien der Pariser S-Bahnen gab es Verspätungen, weil einige Streikteilnehmer den Bahnhof von Juvisy-su-Orge (Essonne) bei Paris besetzten. In Paris selbst fuhren nach Angaben des Verkehrsverbundes RATP 75 Prozent der Busse. In der U-Bahn verlief der Verkehr unregelmäßig. Laut Verkehrsmeldezentrale häuften sich in der Pariser Region am Vormittag 230 Kilometer Staus an.

Unterstützung aus England

Chirac stellte sich hinter die Regierung. Ohne Reformen entstünden Ungerechtigkeiten, die den "republikanischen Pakt" bedrohten, sagte er in Toulouse. Auch der britische Premierminister Tony Blair unterstützte den "persönlichen Mut" des Liberalkonservativen Raffarin. "Wir versuchen alle, unseren öffentlichen Dienst und die Sozialleistungen mit den Erfordernissen der modernen Welt in Einklang zu bringen", erklärte Blair. Das erfordere sehr schwere Entscheidungen. Raffarin greife diese Herausforderungen auf.

54 Prozent solidarisch mit Proteststreiks

Einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IPSOS zufolge gaben sich 54 Prozent der Franzosen mit den gegenwärtigen Proteststreiks der Lehrer gegen die Pensionsreform und die Dezentralisierung im Schulwesen "solidarisch". 44 Prozent sind gegen die Proteste, zwei Prozent haben keine Meinung. Allerdings sprachen sich 78 Prozent gegen einen Boykott der Maturaprüfungen aus.

Die von der französischen Regierung geplante Pensionsreform sieht insbesondere eine Anhebung der Beitragsjahre vor. Die Beamten sollen demnach ab 2008 wie ihre Kollegen in der Privatwirtschaft 40 anstatt 37,5 Jahre lang arbeiten. Ab 2012 wird die Zahl der Beitragsjahre auf 41 und ab 2020 auf 42 Jahre angehoben. Was die Dezentralisierung anlangt, so ist die Übertragung von mehr als 100.000 nicht unterrichtenden Angestellten des Schulwesens vom Staat auf die Regionen und Departements geplant.(APA/AP/dpa)