Verknotete Kommunikation: Schauspielerin Catrin Striebeck (li.) und Souffleuse Sibylle Fuchs in "Die Liebe zum Nochniedagewesenen".

Catrin Striebeck, geb. 1966 in Wien als Tochter der Burgschauspieler Ulla Purr und Peter Striebeck, studierte am Max-Reinhardt-Seminar, Theaterstationen u. a. Schauspielhaus Bochum, Volksbühne Berlin, Schauspielhaus Hamburg. Seit 2009 Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater. Zahlreiche Rollen in Kino- und TV-Filmen.

Sibylle Fuchs, geb. 1963 in Baden, auf Wunsch der Eltern "sicherheitshalber" HAK-Matura und dann erst Studium am Konservatorium Wien (Operette und Musical), danach Muscialdarstellerin, seit 25 Jahren Souffleuse beim "Jedermann" in Salzburg sowie ab 1993 am Burgtheater.

 

Foto: Reinhard Werner

STANDARD: Frau Fuchs, wie sind Sie denn Souffleuse geworden?

Fuchs: Ich bin sieben Jahre auf der Bühne gestanden: Operette, Musical, Schauspiel, Märchen, musste aber leider wegen einer berufsbedingten Allergie aufhören. Durch Zufall habe ich erfahren, dass im Burgtheater eine Souffleuse gesucht wird. Ich hatte dann ein Gespräch mit Claus Peymann, der sofort sagte: Operette findet er scheiße, und ich werde nie spielen, dafür gibt's hundert andere. Es war ein schwieriger Schritt, aus dem 20 Jahre wurden. Aber wenn man einmal vom Theatervirus infiziert ist, kommt man nicht los.

STANDARD: Mittlerweile stehen Sie auch immer wieder auf der Bühne - als Souffleuse. Wie kam es dazu?

Fuchs: René Pollesch hat 2006 bei Das purpurne Muttermal gesagt: Bei ihm spielt die Souffleuse mit und zwar auf der Bühne. Die Liebe zum Nochniedagewesenen ist jetzt mein viertes Stück von ihm.

STANDARD: Und Sie sagten damals: Juhu, zurück auf der Bühne?

Fuchs: Ich dachte, juhu, und dann: Komisch, wo stelle ich mich eigentlich hin, dass ich nicht störe?

Striebeck: Die Tendenz hast du ja immer noch. Dir muss man ja immer sagen: Jetzt komm mal mit! Ich habe sie auch jetzt in den gelben Knoten hochgezogen und gesagt: Jetzt komm, klettere mit!

Fuchs: Ja, aber das ist in einem drin, dass man sich zurücknimmt. Das ist der Job, sonst geht's nicht.

STANDARD: Frau Striebeck, wie war das für Sie, als zum ersten Mal die Souffleuse mit auf der Bühne war?

Striebeck: Ich finde das so angenehm! Mein erstes Mal mit Souffleuse auf der Bühne war 2000 in Hamburg am Schauspielhaus bei Pollesch. Wir haben eine Theater-Soap gemacht, www-slums, wo wir einmal die Woche eine neue Vorstellung hatten. Da brauchte man die Souffleuse wirklich, mit dieser wahnsinnigen Geschwindigkeit, mit der Pollesch spricht. Da ging's einfach darum, dass man nicht aus der Kurve fliegt. Dann hat die den Satz reingeschrien, man hat den Satz selber geschrien, und dann konnte man weiter durch die Achterbahn rasen.

STANDARD: Neben der spezifischen Notwendigkeit bei Pollesch-Stücken: Soll die Souffleuse auf der Bühne auch das Theater an sich verändern - oder doch mehr Gag?

Striebeck: Es soll auch zeigen, dass es nichts zu verstecken gibt, dass es kein Fehler ist zu hängen, sondern dass das eben passieren kann, und dann redet man weiter.

Fuchs: Und das Publikum liebt diese Situationen. Auch wenn was passiert - sie sind live dabei, das macht Theater aus.

Striebeck: Trotzdem wollen wir natürlich immer, dass es möglichst nicht passiert.

STANDARD: Gehen Sie damit anders um, wenn Sie die Souffleuse brauchen, als etwa Ihre Eltern, die beide auch am Burgtheater spielten?

Striebeck: Ganz bestimmt. Ich glaube, dass es noch eine andere Generation von Schauspielern gibt, für die das wirklich eine Frage der Ehre ist, den Text schon bei Probenbeginn zu können. Nur, das können wir ja gar nicht. Es gibt ja kaum noch Regisseure, die so arbeiten, dass man überhaupt eine Fassung bei Probenbeginn hat.

STANDARD: Woran merken Sie, dass Frau Striebeck vielleicht einen Satzbrocken von Ihnen braucht?

Fuchs: Blickkontakt. Man merkt es an den Augen.

Striebeck: Und es gibt Stellen, die man schon beim Proben merkt und sagt, da kannst du dir gleich schon mal ein Ausrufezeichen machen, da komm ich schwer rüber über die Hürde. Wenn ich weiß, sie hat das Ausrufezeichen da, ist das schon eine psychologische Hilfe. Darum ist Vertrauen auch so wichtig. Ich glaube, Sibylle spürt jetzt schon zwei Sätze vorher, ob ich auf dem richtigen Weg bin.

STANDARD: Welche Farbe hat Frau Striebeck? Ihr Textbuch ist mit verschiedenen Leuchtstiften markiert.

Fuchs: Pink.

Striebeck: Das habe ich eingeführt, dass sie jede Rolle anders anstreicht, das ist super, man sieht beim Vorbeigehen, da ist eine Seite, wo gar kein Pink ist, oder, ah, jetzt kommt die größere Passage, da lernt man visuell.

Fuchs: Es macht auch für mich das Lesen der Textblätter viel einfacher. Martin (Wuttke, Anm.) zum Beispiel, der war grün. Das musste ich ändern. Ich konnte den Textblock nicht mehr lesen, weil das Licht manchmal so dunkel ist.

STANDARD: Soufflieren Sie auch noch im Flüsterkasten?

Fuchs: Nein, ich habe das Privileg, bei den meisten Vorstellungen in der ersten Reihe zu sitzen. Das ist mir auch lieber. Ich bin wie ein Zuschauer und habe den Überblick. Ich hatte den Kasten nur beim Jedermann, wo ich seit 25 Jahren souffliere. Für die Schauspieler ist der Kasten sicher perfekt. Die Intimität. Du kannst anders agieren, herumdeuten. Das geht in der ersten Reihe nicht.

STANDARD: Was macht eine "gute" Souffleuse für Sie aus?

Striebeck: Für mich kommt es tatsächlich auf das Verstehen an. Ganz oft arbeitet man in Stücken, die sehr männerlastig sind. Dann ist das auch schön, wenn eine andere Frau dabei ist. Es gibt auch Vorstellungen, wo man sich nicht so wohl fühlt, dann guckt man mal rüber, wird angeguckt, ich bin doch da, ist doch alles gut, läuft doch, mach dir mal keine Sorgen. Du bist nicht so ungeschützt. Oft ist es ja auch so - man braucht das Soufflieren fürs Gefühl, für den Blickkontakt, aber für den Text, ehrlich gesagt, nicht.

STANDARD: Wurden Sie auch schon angeblafft nach dem Motto "Ich hatte keinen Hänger, du hast meine Kunstpause zerstört!"?

Fuchs: Ja, aber das merkt man in dem Moment, wo man souffliert und sich denkt, es war unnötig. Joachim (Meyerhoff, Anm.) hat mich mal angeguckt, und ich dachte, er hängt, auch weil er da in den Proben oft gestolpert ist, und ich gebe ihm dieses Wort und er sagt: "Ich weiß es eh." Ganz ruhig, wo du dir denkst, oh Gott! Jetzt warte ich zwei Sekunden und sage es dann erst. Ich habe nachher gesagt: Joachim, es tut mir wahnsinnig leid. Und er hat gesagt: Es ist okay. Und das war's.

Striebeck: Trotzdem finde ich, dass Souffleusen in den Proben oft zu leiden haben, weil Schauspieler ihren Text noch nicht gut können, und dann können sie ihn vielleicht an einer Stelle wider Erwarten doch, und die Souffleuse kriegt die ganze Probenspannung ab, weil der schreit: Jetzt sag doch mal! Oder: Weiß ich doch!

Fuchs: Darf man nicht persönlich nehmen. Wenn man in der ersten Reihe souffliert, überlegt man es sich natürlich schon sehr, ob man eingreift oder nicht. Da lässt man den Schauspielern schon sehr viele Freiheiten. Ich bin nur einmal eingeschritten. Ich habe gemerkt, der Schauspieler sucht nach Worten, sucht und sucht, es fällt ihm nix ein, ich gebe ihm den Halbsatz hinauf, den er übernehmen müsste, und der hat mir den Ball zurückgespielt, ganz laut, und gesagt: "Wie bitte?" In dem Moment möchte man versinken.

Striebeck: Ich bin mal genau an einer Stelle gehangen, die ich immer kompliziert fand und für die ich mir eine gestische Erinnerung gebaut hatte. Da rede ich das und das, und da mach ich mir eine Zigarette an, und dann sage ich: "Ich weiß, dass ich keine gute Mutter bin." Es war Premiere, ich mach das, und es funktioniert nicht. Ich habe die Zigarette wieder ausgemacht und den Vorgang wiederholt, weil ich dachte, dann kommt das. Es kam aber nicht. Danach sagte der Souffleur, er hat's dauernd gerufen, aber es gibt so eine Konzentration, dass man manchmal das Soufflieren gar nicht hören kann.

STANDARD: Das Wort Souffleuse kommt ja vom französischen "souffler" - flüstern, hauchen. Bei Ihnen aber füllt sie das Theater laut.

Striebeck: Ja, das wollen wir auch: vehement rein, laut und offensiv, nicht vorsichtig helfen, sondern dann lieber ganz klar. Dann kann man auch reagieren.

Fuchs: Ich glaube, es würde mehr auffallen, wenn ich leiser bin.

Striebeck: Sie ist ja ein Mitspieler.

Fuchs: Obwohl man in der Probenphase immer wieder in das Schema fällt, dass man leise gibt. Wenn wir auf der Bühne sind, spiel ich mit und suche mir mein Plätzchen, wo ich euch nicht störe.

Striebeck: Mich stört ja, wenn du sagst, du störst. Du störst nicht. Du bist dabei. Du musst ja dabei sein.

Fuchs: Ja, aber das Publikum will ja nicht die Souffleuse sehen. An das denkt man auch, wenn man vorn steht, ich geh jetzt einen Schritt zurück, damit die Zuschauer die Schauspieler sehen.

Striebeck: Aber du bist ja genauso Teil des Ganzen.

Fuchs: Ich weiß. Aber ihr habt die tolleren Kostüme.

Striebeck: Diesmal nicht - und du hast den Glitzergürtel. (Lachen)
(Lisa Nimmervoll / DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2012)