Vancouver/Wien - Die über 5000 Jahre alten Steinkreise von Stonehenge im Süden von England haben schon zu allerlei archäologischen Spekulationen Anlass gegeben. Da zentrale Steine nach den Positionen der Sonnenwende und Tagundnachtgleiche angeordnet sind, nimmt die Archäologie an, dass die Anlage eine Art vorzeitliches Observatorium darstellt.

Doch die kultige Steinformation beherbergt auch ein erstaunliches akustisches Phänomen, das die Architekten der Anlage beeinflusst haben könnte. Das behauptet zumindest Steven Waller, ein kalifornischer Experte für akustische Archäologie. Er hat gerade auf der AAAS, der Wissenschaftskonferenz der American Association für Advancement of Science, einen vielbeachteten Vortrag gehalten.

Waller führte in Stonehenge ein Experiment mit zwei Flötenspielern durch, die für längere Zeit denselben Ton spielten. Je nach Aufenthaltsort der Zuhörer waren die Schallwellen durch die Steine verstärkt oder ausgelöscht. Geht man im Kreis um die beiden Flöten herum, so werden die Töne entsprechend lauter und leiser; an manchen Stellen ist es aufgrund der Interferenz ganz still.

Waller geht davon aus, dass sich die Benützer der Kultstätte tatsächlich auf diese Weise zur Flötenmusik bewegt haben könnten - und vom für sie unerklärlichen akustischen Phänomen beeindruckt waren. Es dürfte wie ein Wunder auf sie gewirkt haben, so Waller, "und wie eine Vision, die ihnen das Jenseits schickt". Deshalb hätten die Erbauer die Steinblöcke genau so angeordnet, wie es ihnen die Interferenzmuster vorgaben.

Akustik-Labyrinth in Peru

Wallers Vortrag bei der AAAS-Tagung in Vancouver war indes nicht der einzige, in dem es um akustische Archäologie ging. Eine interdisziplinäre Forschergruppe der Universität Stanford in Kalifornien hat in der nordperuanischen Tempelanlage Chavín de Huántar, dem ältesten Steinbauwerk Perus, einige Tests durchgeführt, die ebenfalls darauf schließen lassen, dass in dem rund 3000 Jahre alten Tempel Akustikdesign eine wichtige Rolle spielte.

Die Forscher um Miriam Kolar hatten nahe der Anlage Reste von Muschelhörnern gefunden. Bei Experimenten mit deren trompetenartigem Klang zeigten sich gleich mehrere beeindruckende akustische Phänomene: Die verwinkelten Gänge sorgten zum einen dafür, dass nur der Sound der Muschelhörner von innen nach außen drang und alle anderen Frequenzen herausgefiltert wurden. Zum anderen ließ sich in der labyrinthischen Anlage nicht erkennen, aus welcher Richtung die mystischen Töne kommen. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.02.2012)