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Verleugnen des Risikos oder so viele Sicherheitssysteme implementieren, dass die primäre Aufgabe nicht mehr erfüllt werden kann - zwei klassische und möglicherweise fatale Umgangsweisen in Hochrisiko-Unternehmen.

Foto: REUTERS/Giampiero Sposito

Dramatische Unfälle passieren - auf den ersten Blick unerwartet. Soweit eine triviale Beobachtung. Gleichzeitig wird immer gefragt: Hätte das Unglück verhindert werden können?

Diese Antworten nach Beherrschbarkeit eines Risikos, nach Vermeidbarkeit von Geschehnissen lässt sich schon gar nicht simpel beantworten, dennoch: Oft stehen blinde Flecken in den jeweiligen Organisationen und ihren Dynamiken im Hintergrund solcher Unfälle, sagen die beiden Organisationsberaterinnen Kornelia Steinhardt und Verena Tatra von der Vienna Consulting Group (VCG).

Raumfähre Challenger: Idealisiertes Selbstbild

Am Beispiel der 1990 explodierten Raumfähre Challenger erklären die beiden, es habe sich ein idealisiertes Selbstbild innerhalb der Nasa etabliert - die besten Ingenieure und Techniker wurden als Garant für maximale Sicherheit gesehen, das potenzielle Risiko wurde von der Führung geleugnet. Stattdessen identifizierte man sich mit dem Ideal einer immer erfolgreichen, unverwundbaren Organisation, die auf ihrem Weg ins All nicht aufzuhalten ist.

Damit sei psychologisch erreicht worden, dass das Angstniveau im Unternehmen gesunken sei und die Auseinandersetzung mit Risiken quasi obsolet wurde.

Costa Concordia: Inszenierte Erfolgsstory

Ein ähnlicher Prozess zeige sich beim jüngsten Schiffsunglück der Costa Concordia: Eine ganze Branche inszenierte sich als sichere, globale Erfolgsstory mit riesigen Kreuzfahrtschiffen, so sicher wie ein Landurlaub. Diese Illusion wollte von allen geteilt werden, vom Unternehmen, vom Kapitän, der Crew und den Passagieren. Nur so sei zu verstehen, dass es zwar ausgefeilte Sicherheitssysteme gab, diese aber nicht eingehalten wurden: Die Evakuierung des Schiffes lief zu spät an, frühzeitig angezogene Schwimmwesten wurden wieder abgelegt - kollektive Angst wurde geleugnet, jene Menschen, die durch ihre Angst zu schützenden Handlungen angeleitet worden seien, seien nicht ernst genommen worden.

Nach dem Motto "Uns kann nichts passieren" hätten sich Reederei und Besatzung in eine kollektive Selbstüberschätzung manövriert - es sei ja großzügig übersehen worden, dass der Kapitän in "narzisstischer Selbstdarstellung" schon öfters zu nah an Küsten herangefahren sei.

Führung in Hochrisiko-Unternehmen

Vereinfacht sehen Steinhardt und Tatra zwei "dysfunktionale" Umgangsweisen mit primärem Risiko: Entweder es wird geleugnet oder es werden so viele Sicherheitsmaßnahmen gesetzt, dass die primäre Aufgabe, etwa einen erholsamen Urlaub auf hoher See zu bieten, nicht mehr erfüllt werden kann.

Führung in Hochrisiko-Unternehmen sei daher eine Gratwanderung: Es darf nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Angst da sein. Führung stehe im Spannungsverhältnis von Angst und Risiko, diene quasi als "Behälter", um Ängste des Teams und der Kunden zu verdauen. Das bedeute: Ängste ernst nehmen, an sich heranlassen, aber gleichzeitig denk-, handlungs- und entscheidungsfähig bleiben. Sie müssten die Identifikation des Teams mit dem Unternehmen, der primären Aufgabe und dem damit verbundenen Risiko herstellen und fördern - ohne dabei Denken und Einschätzungsfähigkeit zu vernebeln. Nur allzu oft werde aber versucht, Hochrisiko-Aufgaben vermittels strikt autoritärer Strukturen ("Unser Kapitän weiß immer, was richtig ist") zu bewältigen. Notwendige Autorität werde überstrapaziert. (Karin Bauer, DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2012)